Polen in der Normalität der westlichen Welt angekommen

Von Christoph Koch

 

Das Thema unserer Tagung und der Hauptversammlung, wie sollte es anders sein, sind die deutsch-polnischen Beziehungen - Beziehungen, von denen man gestern hörte, sie seien nicht gut - sondern sehr gut, sie seien so gut wie nie zuvor, ihre natürliche Existenzform sei eine deutsch-polnische “Interessensgemeinschaft”. Inzwischen sind in diesen Beziehungen nicht unerhebliche Irritationen eingetreten.

 

Das Polen, das geflissentlich alle Aspekte übersah, die dem Gerede von der deutsch -polnischen Interessensgemeinschaft entgegenstanden, das Polen, das im Interesse einer raschen Eingliederung in NATO und EU die letzte Chance versäumte, die völkerrechtliche Anerkennung seiner Westgrenze durch die Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen, das Polen, das, um den erhofften Mittler seiner europäischen Aspirationen nicht zu verprellen, die Missachtung seiner Personalhoheit über die eigenen Staatsbürger durch den westlichen Nachbarn in Kauf nahm, das Polen, dessen Richter, um das Verhältnis zu Deutschland nicht zu beeinträchtigen, Urteile fällten, die in Widerspruch zur Rechtsordnung ihres Landes standen, kurzum das Polen, das um der zeitgleich vom Bundesverfassungsgericht als Rechtsquelle ausgemachten „Gunst der Stunde“ willen jede nur erdenkliche Vorleistung erbrachte, um von der Brust des einen Nachbarn zu der des anderen genommen zu werden - eben dieses Polen figuriert durch die Feder seines Ministerpräsidenten unter den Unterzeichnern des Appells von acht europäischen Regierungschefs, der aus Anlass der Vorbereitungen des Irakkriegs und der dadurch aufgeworfenen Frage des Verhältnisses Europas zu den USA einen Riss durch Europa dokumentiert, der künftige Frontstellungen innereuropäischer Verwerfungen vorwegnimmt und Polen in klarem Gegensatz zu seinem traditionellen Verbündeten Frankreich und seinem vielbeschworenen neuen Verbündeten Deutschland Stellung zugunsten eines transatlantischen Rückhalts beziehen lässt.

Die Suche nach einem außereuropäischen Rückhalt ist gewiss den historischen Erfahrungen Polens mit seinen westlichen und östlichen Nachbarn und gewiss auch den jüngsten Erfahrungen mit der Praxis der deutsch-polnischen „Interessensgemeinschaft“ geschuldet und liegt insofern im Rahmen der polnischen Staatsraison. Auch ist es unbestritten jedermanns Recht, Wertgegenstände dort zu kaufen, wo ihm die Rahmenbedingungen am günstigsten zu sein scheinen. Dass Polen sich bereits in der Rolle des Mittlers und Moderators europäisch-amerikanischer Konflikte sieht, hängt mit dem aus einer leidvollen Geschichte überkommenen Prisma liebevoll vergrößernder Selbstwahrnehmung zusammen. Dass es sich freundlich bemüht, das durch die Ablehnung einer Beteiligung an dem amerikanisch-irakischen Waffengang ein wenig in die Isolation geratene Deutschland wieder ins Boot zu holen, entbehrt nicht der Delikatesse.

Polen glaubt sich auf hoher See. (...) Tatsächlich hat das Schiff seinen Ankerplatz im Ostseehafen zwischen den rechts und links vertäuten Stahlkolossen keineswegs verlassen.. Und hier ergibt sich ein Problem. Die jüngste polnisch-amerikanische Interessensgemeinschaft findet ihren Ausdruck in der Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Krieg und der völkerrechtswidrigen Besetzung eines Landes, in der unverhohlenen Missachtung der vertraglichen verankerten Hoheitsrechte der Vereinten Nationen, kurzum in einem Angriff auf die internationale Rechtsordnung, der alle Chancen hat, das Tor zur Barbarei aufzustoßen.

Gewiss schließt sich hier der Kreis zur Vernachlässigung der Lösung völkerrechtlicher Probleme im eigenen Hause. Eine solche Politik aber stellt alles andere als eine Empfehlung des Landes für eine Zusammenarbeit demokratischer Länder dar. Sie ist insbesondere auch ein Hindernis für die Arbeit der deutsch-polnischen Gesellschaften. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Gesellschaft erreichen uns Erwägungen unserer Mitglieder, die Gesellschaft zu verlassen, weil sie keinen Sinn im weiteren Bemühen um die Normalisierung der Beziehungen zu einem Lande sehen, das sich derart bedenkenlos über die Grundprinzipien des Zusammenlebens der Völker hinwegsetzt.

Es ist Übergangszeit - Übergangszeit nicht allein in den deutsch-polnischen Beziehungen und nicht allein in den Beziehungen zwischen Europa resp. einzelner europäischer Staaten und der, wie es heißt, einzig verbliebenen Weltmacht USA, sondern Übergangszeit wohl in einem weit umfassenderen Sinne. Wenig mehr als ein Jahr-zehnt trennen uns von dem „Sieg“ der westlichen Wirtschaftsordnung über den Sozialismus. Als die Sowjetunion zusammenbrach, erreichte mich ein Telegramm mit den Worten: „Der Sozialismus ist die einzige Gesellschaftsordnung, die ohne Blutvergießen aus der Geschichte abtritt - allein das erweist seine Überlegenheit.“ Heute liest man aus der Feder von Günther Gaus weitaus sorgenvollere Befürchtungen über das historische Ende der entgegengesetzten Gesellschaftsordnung,

Zehn Jahre Sieg haben genügt, um die Führungsmacht der kapitalistischen Welt an den Punkt zu bringen, an dem sie ihren substantiellen Niedergang nurmehr mit militärischen Maßnahmen steuern und kompensieren kann, wo sie die nach dem Zweiten Weltkrieg mühevoll errichteten internationalen Strukturen, wo sie selbst die engsten Bindungen innerhalb der “westlichen Welt” bei Seite schiebt, um mit einer zufälligen Schar „williger“ Vaganten militärische Siege über unbedeutende Gegner zu erzielen.

Es sind keine Kämpfe der Stärke, gar des Guten, die wir erleben, sondern Endkämpfe, Endkämpfe einer Gesellschaftsordnung, die zunächst das Aus der „einzig verbliebenen Weltmacht“, auf längere Sicht jedoch den Niedergang der westlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung überhaupt einleiten. (...)

Die Situation der Deutsch-Polnischen Gesellschaft erscheint vor diesem Hintergrund als verzweifelt. (...) Das Polen, dem das Bemühen um die Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen gilt, ist ja keineswegs verschwunden. Geändert haben sich lediglich der Adressat und die Frontlinien der Auseinandersetzung. Die polnische Regierung hat die Beteiligung an dem amerikanischen Eroberungskrieg und an der Besetzung des Irak gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der eigenen Bevölkerung betrieben. Auch insofern ist Polen mithin in der Normalität der westlichen Welt angekommen. Für die deutsch- polnische Gesellschaft bedeutet das, dass sie ihre Partner und Verbündeten, wo sie sie in der offiziellen Politik des Landes nicht findet, dort suchen muss, wo sie zu finden sind: bei den Menschen, Gruppierungen und Institutionen guten Willens und guter Einsicht, an denen Polen gewiss nicht ärmer ist als andere Länder. Wenngleich es mithin wenig Anlass zum Optimismus gibt, so gibt es keinen Anlass zum Pessimismus. Die Notwendigkeit der Gesellschaft ist unerschüttert, und an Arbeit wird es ihr nicht mangeln.

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