Krakauer Hochschulen sagen dem Examensbetrug Kampf an

Von Joachim Neander

 

Im März dieses Jahres setzten sich Vertreter der Krakauer Hochschulen zusammen, um Maßnahmen zu beraten, wie man den ihrer Ansicht nach überhand nehmenden Betrug bei Examina eindämmen könnte. Besonderes Sorgenkind der Professorenschaft sind Magister- und Doktorarbeiten, die die Examenskandidaten von semi-professionellen „Ghostwritern“ schreiben lassen, die ihre Dienste nicht nur im Internet, sondern ungeniert auch vor den Toren der Hochschulen auf Handzetteln anpreisen. Die verordnete Medizin: Die Betreuer der Magister- und Doktorarbeiten sollen deren Entstehungsprozess kontinuierlich überwachen. Der Haken: Den ohnehin überlasteten Hochschullehrern fehlt einfach die Zeit hierzu, und ihre dürftige Entlohnung motiviert sie auch nicht gerade zu unbezahlter Mehrarbeit.

 

Erfahrungen im „Mogeln“ sammeln polnische Jugendliche schon früh. Das hochgradig zentralisierte polnische Schulwesen mit seinen starren Vorgaben für Lehr- und Prüfungsstoffe, seinen stark formalisierten Prüfungen am Ende jeder Schulstufe und seiner „Zensurengläubigkeit“ lädt geradezu zum Betrug ein. So ist etwa im Fach Polnisch genau festgelegt, welche Lektüren wann durchgenommen werden müssen. Zusätzlich engen die Prüfungsrichtlinien die Anzahl möglicher Aufgabenstel-lungen für Klassenarbeiten und Examina ein. Findige Verleger und Autoren produzieren daher Heftchen im Scheckkartenformat, in denen in winzigem Druck die schulischen Pflichtlektüren so „aufgearbeitet“ werden, dass der Schüler mit einigen der leicht heraustrennbaren Seiten im Jackenärmel der Klausur getrost entgegen sehen kann. Auch bei der Anfertigung von Haus- oder Semesterarbeiten greifen die Schüler lieber zu diesen “brik”, “scigi” oder “scigawki” genannten Produkten oder laden sich diese vom Internet herunter, als sich die Lektüre dickleibiger und (ihrer Meinung nach) langweiliger Werke längst verstorbener Autoren anzutun.

“Scigi” bekommt man für alle Schulfächer völlig legal überall da, wo auch Schulbücher verkauft werden, sowie an fast allen Zeitungsständen. Zwar ist ihre Benutzung grundsätzlich nicht erlaubt. Die Chance aufzufallen ist jedoch – nach Aussagen von Schülern – äußerst gering bei Klausuren und fast Null bei Hausarbeiten (der Lehrer muss dem Schüler detailliert nachweisen können, wo er aus welchem “brik” abgeschrieben hat). Die Konsequenzen beim Ertapptwerden sind ebenfalls in der Regel harmlos: Fortnahme des “brik”, im schlimmsten Fall Wiederholung der Klassenarbeit. Anders als bei den humanistischen Fächern spielen “scigi” bei Klau-suren in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern keine große Rolle. Hier wird in der Regel noch „konventionell“ gemogelt: Ein oder zwei besonders gute Schüler, die die Aufgaben schnell bearbeiten, schreiben die Lösungen auf Zettelchen, die von Tisch zu Tisch wandern oder auf dem Weg zur Toilette deponiert werden.

Moderne Informationstechnologie

Selbstverständlich wird auch der technische Fortschritt genutzt, vor allem beim Abitur, wo alle Schüler Polens in den schriftlichen Prüfungen dieselben Aufgaben zur gleichen Zeit bearbeiten müssen. Hier lohnt sich der Einsatz von Helfern außerhalb des Schulgebäudes, denen per Handy die Aufgaben durchgegeben werden und die die Lösungen ebenfalls per Handy zurück übermitteln. Der letzte Schrei auf dem Markt ist ein Sender-Empfänger-Set zum Gebrauch bei mündlichen Prüfungen. Der Kandidat hat in der Innentasche seines Jacketts ein empfindliches Mikrofon mit Minisender, der die Fragen des Prüfers an den außerhalb des Prüfungsgebäudes sitzenden „Helfer“ übermittelt. Dessen Antworten empfängt der Kandidat über ein winziges Hörgerät, das von außen unsichtbar im Ohr getragen wird. Der Krakauer Erfinder gibt an, monatlich mehrere Sets zu verkaufen, überwiegend an Studenten. Übrigens ebenfalls völlig legal.

Mogeln bei Haus- und Klassenarbeiten und in Prüfungen wird in der Schüler- und Studentenschaft kaum als unrechtmäßiges Handeln empfunden und gesellschaftlich ebenso toleriert wie etwa Falschparken oder die Annahme von Schmiergeldern. Nicht selten drücken Lehrer beide Augen zu, um Problemen mit ertappten Schülern oder Ärger mit Direktion und Eltern wegen zu schlecht ausgefallener Klausuren oder Prüfungen aus dem Wege zu gehen. Sorgen macht man sich eher in der Professorenschaft der Hochschulen, die das Renommee ihrer Institutionen wahren und die Anerkennung der von ihnen verliehenen akademischen Grade im internationalen Rahmen nicht gefährdet sehen möchte. Vor allem in den angelsächsischen Ländern verstößt nämlich Mogeln in Schule und Hochschule gegen den allgemeinen Sittenkodex. Ein ertappter Student wird in der Regel von allen Hochschulen des Landes ausgeschlossen und sein Fall oft sogar dem Staatsanwalt übergeben, ein Fakt, auf den die Gazeta Wyborcza kürzlich in ihrer Sonderbeilage „Auslandsstudium“ potentielle Bewerber für ein Studium in den USA warnend hinwies.

Das weitverbreitete Mogeln in der Schule wird wohl nicht zu Unrecht als Einübung in Praktiken von Betrug und Korruption gesehen, deren Allgegenwart im öffentlichen Raum vor allem von der liberalen Presse Polens immer wieder gebrandmarkt wird und als eines der gesellschaftlichen Grundübel und Haupthindernis bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes gilt. Einig sind sich alle Kritiker, dass nur ein Mentalitätswandel hier Abhilfe schaffen kann, der jedoch realistischerweise bei der jungen Generation ansetzen muss. Zumindest diejenigen Jugendlichen, die ihre berufliche Zukunft auf internationalen Arbeits- und Dienstleistungsmärkten sehen, haben begriffen, dass sie sich nicht nur formal - durch gute Noten in Examina - sondern auch inhaltlich – durch eigenes Können – qualifizieren müssen. Ein viel beachtetes Beispiel hat kürzlich Jan Prosiński, landesweit bekannt als „Paweł“ in der beliebten Fernsehserie „Na dobre i na złe“ und kurz vor dem Abitur stehend gegeben. Unter der Überschrift „Abitur ohne Mogeln“ berichteten die Fernsehzeitungen seine Worte: „Ich bereite mich nicht mit “ścigi” vor. Ich gehe von der Voraussetzung aus, dass dann, wenn ich nichts selber lerne, mir “scigi” auch nicht helfen.“ Es ist Polen zu wünschen, dass sein Beispiel im Wortsinne „Schule macht“.     m