Von Udo Kühn
„Als ich noch so aussah wie auf dieser Fotografie, da wollte ich selbst all das tun, was hier geschrieben steht. Aber dann habe ich es vergessen, und heute bin ich alt. Und ich habe weder die Zeit noch die Kraft mehr, um Krieg zu führen oder zu den Menschenfressern zu fahren. Und dieses Bild habe ich hier hingesetzt, weil es darauf ankommt, wann ich einmal König sein wollte, und nicht, wann ich über den König Hänschen schreibe. Ich halte es überhaupt für besser, Bilder von Königen, Reisenden und Schriftstellern zu bringen, auf denen man sie sieht, als sie noch nicht erwachsen und alt waren, denn sonst könnte man ja auf den Gedanken kommen, sie wären schon immer so klug und niemals klein gewesen. Die Kinder denken dann, sie selbst könnten niemals Minister, Reisende oder Schriftsteller werden, und dabei stimmt das gar nicht. Erwachsene sollten mein Buch überhaupt nicht lesen, denn manche Kapitel darin sind nicht für sie bestimmt, sie werden es nicht verstehen und nur darüber lachen. Na, aber wenn sie durchaus wollen, dann können sie es ja einmal versuchen. Den Erwachsenen kann man ja doch nichts verbieten, weil sie nicht gehorchen - und wer soll sie daran hindern?“ (JANUSZ KORCZAK)
Pisa hin, Pisa her, wenn eine
deutsche Studentin noch nie etwas über Janusz Korczak gehört hat, halte ich
dies für bedenklicher, als in Mathematik nur Durchschnitt zu sein. Eine
polnische Journalistin, mit der ich darüber korrespondierte, wollte mich zwar
damit trösten, dass dies in Polen ähnlich sein könne, das nehme ich ihr aber
nicht ab. Keinesfalls will ich auf der jungen Generation „rumhacken“, denn sie
weiß nicht viel mehr, als ihr die alte Generation darüber vermittelt hat.
Hapert es daran?
Das wohl bekannteste Kinderbuch
von Janusz Korczak, nämlich „König Hänschen I.“, ist 1972 bereits in der
dritten deutschsprachigen Auflage1 erschienen. Eine besonders schöne Ausgabe,
die ich immer wieder gerne lese und auch allen unseren Kindern vorgelesen habe.
Die erste Ausgabe kam im Jahre 1970 heraus, als die deutsch-polnischen
Beziehungen durch den Warschauer Vertrag auf eine neue Grundlage gestellt
wurden. Deutschen Pädagogen und Spezialisten waren die Ideen und Schriften von
Janusz Korczak natürlich schon vorher bekannt. So übersetzte Armin Th. Dross
beispielsweise eine literarische Studie 1967 für eine Fachzeit-schrift2. Ein
breites Interesse erwachte durch die postume Verleihung des Friedenspreises des
Deutschen Buchhandels anlässlich der Frankfurter Buchmesse 1972. Es wurden
viele Reden3 gehalten, aber es folgten auch konkrete Schritte in der
Öffentlichkeit. Am 7. Oktober 1973 erfolgte zum Beispiel in Göttingen-Niko-lausberg
eine Namensgebung und Einweihung einer Janusz-Korczak-Schule. Inzwischen gibt
es in Deutschland 23 Schulen, 4 Kindergärten und eine Reihe anderer
öffentlicher Einrichtungen, die den Namen “Janusz Korczak” tragen, wie aus dem
Internet4 zu entnehmen. Überhaupt bietet das Internet vielseitige Informationen,
auch aktuelle Hinweise, zu Korczak an.
1977 wurde von Erich Dauzenroth
und Adolf Hampel die Deutsche Korczak-Gesellschaft in Gießen gegründet, einige
regionale Gesellschaften folgten. Die Deutsch-Polnische Gesellschaft mit Sitz
in Düsseldorf gab eine Schrift5 heraus. Zur Übersicht des kaum noch
überschaubaren Schrifttums wurden Bibliographien er-stellt. So zum Beispiel von
Rainer Pörz-gen6, für die er 1983 von der Janusz-Korczak-Vereinigung in
Warschau (gegründet 1978) die Korczak-Medaille verliehen bekam.
„Bulletins der Internationalen
Janusz Korczak-Vereinigung“ wurden von der Monatsschrift Polen in Warschau
erarbeitet7. Die Deutsche Korczak Gesellschaft Wuppertal gibt seit 1992 ein
„Korczak-Bulletin“ heraus. Das erste Wuppertaler Korczak-Kolloquium fand am 7.
Dezem-ber 1982 statt. Erwin Sylvanus schrieb ein Bühnenstück „Korczak und die
Kinder“8 und ein Film von Andrzej Wajda gab 1991 Anlaß zu Debatten9.
Der 100. Geburtstag von Janusz
Korczak ging an der breiteren Öffentlichkeit weitgehend vorbei, es war eher
eine Ausnahme10 daran zu erinnern. Am 22. Juli 2003 ist nun der 125. Geburtstag
von Janusz Korczak.
Ein kurzer Rückblick auf sein
Leben und seinen Tod aus dem Nachwort von Elisabeth Heimpel zu seinem Buch
König Hänschen I.:
„...als der Verfasser dieser Geschichte aussah wie auf der
Photographie [...], hieß er noch nicht Janusz Korczak, sondern Henryk
Goldszmit. Noch waren seine Eltern wohlhabend und er ein behütetes ‚Salonkind’;
so heißt der Titel eines seiner frühen Romane, und für sie nahm er dann den
Schriftstellernamen Janusz Korczak an.
Henryks Vater starb früh, die
Familie verarmte und der junge Medizinstudent musste sein Studium verdienen und
seine Mutter unterstützen. Schon damals sammelte er die vernachlässigten Kinder
der Armenviertel in Warschau um sich, erzählte ihnen Geschichten und arbeitete
in Sommerlagern als Erzieher unter ihnen. Er wurde ein bekannter Kinderarzt und
Schriftsteller. Mit 32 Jahren jedoch brach er seine Laufbahn ab, um ganz für
die Kinder zu leben, die am nötigsten der Hilfe bedurften: Er übernahm das
Warschauer Waisenhaus für arme jüdische Kinder. Er war 45 Jahre alt (1923), als
er ‚König Hänschen’ schrieb, heute noch ein Lieblingsbuch der polnischen
Kinder.
Als dann das
nationalsozialistische Deutschland in Polen einmarschierte und Warschau besetzte,
kämpfte er bis zuletzt um Brot, Gesundheit und ein bißchen Fröhlichkeit für
seine Kinder. Obwohl es ihm freistand, das eigene Leben zu retten, bestieg er
mit ihnen den Eisenbahnwagen, der sie alle in den Tod führte. An der Spitze des
Zuges der 200 Kinder durch die Straßen von Warschau zum Verladeplatz nach
Treblinka aber flatterte die grüne Fahne des Waisenhauses, die Fahne König
Hänschens, die im zweiten Band dieser Geschichte [König Hänschen auf der
einsamen Insel] eine wichtige Rolle spielen wird...“ m
1 Janusz Korczak: König Hänschen I., Illustrationen
Jerzy Srokowski, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen,
3. Auflage 1972. Titel der polnischen
Originalausgabe: Król Macius Pierwszy, Deutsch von Katja Weintraub mit einem
Nachwort von Elisabeth Heimpel, 262 S.
2 Janusz Korczak: Bobo, Eine literarische Studie,
Übersetzung a. d. Polnischen: Armin Th. Dross,
In: Neue Sammlung, Heft 2, 7. Jg., Göttingen 1967
3 Börsenverein des Deutschen Buchhandels (Hrsg.): Janusz
Korczak, Ansprachen anläßlich der Verleihung des Friedenspreises, Bibliographie
des Preisträgers. Verlag der Buchhändler-Vereinigung, Frankfurt/M, 1972, 120 S.
4 siehe unter: www.janusz-korczak.de
5 Deutsch-Polnische Gesellschaft (Hrsg.): Janusz Koczak,
Die Verantwortung des Pädagogen, Erinnerungen der Mitarbeiter, Tagebuch im
Ghetto. Rochus-Verlag, Düsseldorf, 1972, 56 S.
6 Rainer Pörzgen: Janusz Korczak Bibliographie.
Saur, München, 1982, 97 S.
7 siehe auch Udo Kühn: Amicus Poloniae, S. 11
8 siehe: Erwin Sylvanus: Korczak und die Kinder,
Interview von Anne-Maria Fabian
In: Begegnung mit Polen Nr. 15 (1978), Nr. 2, S.
47-50
9 Claudia Kühner: Korczak – ein antisemitischer
Film? Zur Debatte um das neue Werk des Polen Andrzej Wajda
In: Neue Zürcher Zeitung vom 31. Oktober 1991
10 Renate Wompel: Rückblick auf den 100. Geburtstag
von Janusz Korczak. In: Die Deutsche Schule, Hannover, Februar 1979, Nr. 2, S.
131 ff.