Mit der Reichsbahn in den Tod

Neue Dauerausstellung im Nürnberger Bahnmuseum

Karl Forster

 

„Mit der Reichsbahn in den Tod“ war der Titel des Buches, mit dem Polen und wir–Autor Heiner Lichtenstein 1985 die Rolle der Bahn bei der Abwicklung des Holocaust beleuchtete. Die Deutsche Bundesbahn wollte damals noch nichts von ihrer Vergangenheit wissen, nicht dazu stehen. Beim gleichzeitig stattgefundenen Jubiläum zum 150. Jahrestag der Deutschen Eisenbahn wurde das Thema ausgeklammert. Jetzt hat auch bei der Deutschen Bahn AG (DB) ein Wandel stattgefunden. Im Nürnberger DB Museum (früher Verkehrsmuseum) wurde ein neuer Abschnitt der Dauerausstellung überarbeitet eröffnet, der sich mit der Rolle der Reichsbahn „im Dienst von Demokratie und Diktatur“ mit der Zeit von 1920 bis 1945 befasst und dabei kein Blatt vor den Mund nimmt.

 

In dem neuen Ausstellungsteil geht es um die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus, die wohl ereignisreichste Zeit der deutschen Bahngeschich-te: „Glanz und Elend, Licht und Schatten, Leistungen und Verfehlungen wechselten sich in rascher Folge ab. Nur wenige Jahre trennen zukunftsweisende Entwicklungen wie die Reichsbahngründung in den zwanziger Jahren und die Entwicklung der “Fliegenden Züge” um 1930 von Krieg und Holocaust, die ohne die logistische Leistung der Bahn in ihrer völkermordenden Dimension nicht hätten durchgeführt werden können“, heißt es in der Darstellung des Museums

War bisher die Rolle der Reichsbahn im Nationalsozialismus in den Ausstellungen des Museums nur am Rande dargestellt, so wurde jetzt ein eigener Raum neu eingerichtet. Gezeigt wird, wie sich die Reichsbahn personell und organisatorisch den Zwecken des Nationalsozialisten unterordnete. Bisher unveröffentlichte Fotos, Originaldokumente und -objekte dokumentieren den Weg der Reichsbahn von der Gleichschaltung bis zu ihrer Beteiligung am Angriffskrieg, dem planmäßig organisierten Völkermord und der Zwangsarbeit.

Die Ausstellung stellt das Thema unter anderem in zahlreichen Fotos und Dokumenten dar. Dazu gehören auch Transportlisten in das KZ Auschwitz, Videos von Zeitzeugenberichten ergänzen die mit modernsten Mitteln gestaltete Ausstellung. Hier ein Auszug aus der Selbstdarstellung des DB-Museums zu diesem Thema:

„Die nationalsozialistischen Machthaber betreiben seit der Übernahme der Regierungsgewalt am 30.Januar 1933 systematisch eine allumfassende ideologisch-politische Einordnung staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen in ihr Herrschaftssystem. Die Gleichschaltung “unter dem Hakenkreuz” verschont auch die Reichsbahn nicht: Sie wird zum Propagandainstrument und als Verkehrsträger zum organisatorischen Mittel für parteipolitische Massenveranstaltungen (1933 - 1939).

In den Dienstanweisungen wird angeordnet:

Dienstmützen mit Hakenkreuz sind zu tragen.

Der “Hitlergruß” ist Pflicht in und außer Dienst.

Eisenbahner sollen ihre Kinder in die Organisationen der NSDAP eintreten lassen.

Politisch unliebsame Reichsbahner werden ebenso aus dem Dienst entfernt wie Eisenbahner jüdischer Herkunft. In einer Ergebenheitsadresse versichert Bahnchef Dorpmüller bereits im März 1933 dem neuen Regime die Loyalität der Reichsbahn. Doch die Nationalsozialisten danken es den Eisenbahnern nicht: Hitler selbst ist kein Freund der Eisenbahn, sondern sieht im Auto das Massenverkehrsmittel der Zukunft. So muss die Reichsbahn die nach dem Ende der Reparationen im Jahr 1932 frei gewordenen Überschüsse zum großen Teil für den ihr zugeordneten Autobahnbau verwenden, der auf Geheiß Hitlers nun forciert wird. Bei den pompös inszenierten Feiern zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Eisenbahn im Jahr 1935 nennt Hitler die Reichsbahn einen “nationalsozialistischen Musterbetrieb”, womit er die Verfügbarkeit der Bahn für die Zwecke der NS-Machthaber andeutet.1937 wird die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft (DRG) folgerichtig wieder unter Staatshoheit gestellt und in die Vorbereitung zum Zweiten Weltkrieg eingebunden.

Am 1. September 1939 löst Hitler den zweiten Weltkrieg aus. Die Reichsbahn wird zu einem wesentlichen Instrument der Kriegsmaschinerie. Die logistische Leis-tung aber auch der Verschleiß sind enorm. Bis 1944 werden nahezu 13.000 Lokomotiven neu gebaut. In diesen Zeitraum fällt auch die Umsiedlung von Auslandsdeutschen in den Ostraum. Zugleich beginnt der Transport jüdischer Bevölkerungsteile in die Ghettos im Osten in Vorbereitung der vom NS-Regime geplanten Vernichtungsmaßnahmen.

Die Reichsbahn wird zum Holocaust herangezogen. Mindestens 3 Millionen Juden sowie Hunderttausende von Sinti und Roma werden auf der Schiene in die Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka, Sobibór, Bełżec und Majdanek transportiert. Hierfür fordert das von Eichmann geleitete Referat für “Judenangelegenheiten” des Reichssicherheitshauptamts die Züge bei der Reichsbahn an. Diese führt die Transporte durch. Für die als „Umsiedlungen“ getarnten und von SS- und Polizei-mannschaften bewachten Transporte werden weitgehend vergitterte und versperrte Güterwagen eingesetzt. Bis zu 100 Personen sind oft in einem Wagen zusammengepfercht. Sie bleiben vielfach ohne Wasser und sonstige Versorgung. Im Sommer der Hitze, im Winter der Kälte ausgesetzt, sterben viele bereits während des Transports.

Der Reichspropagandaminister Goebbels proklamiert 1943 den “totalen Krieg”. Unter dem Motto “Räder müssen rollen für den Sieg” wird auch von der Reichsbahn letzter schonungsloser Einsatz mit vielen weiteren Opfern gefordert.“

Bei  der Eröffnung der Ausstellung Ende September in Nürnberg verwies der Sprecher des Konzernvorstandes der DB darauf, dass es nicht allein bei der Gestaltung der Ausstellung bleibe. So gibt es inzwischen auch ein Projekt von DB-Auszubildenden für Toleranz und gegen rechte Gewalt.

Zu der Ausstellung ist ein Katalog (120 Seiten, zahlreiche Abbildungen) erschienen, der im Shop des DB Museum und im Buchhandel erhältlich ist.