Entdeckungen im östlichen Polen

Eine Fahrt nach Ostrowiec-świętokrzyski

Von Clemens Müller

 

Vom 24. März bis zum 1. April 2003 hielt sich eine Gruppe des Märkischen Gymnasiums Iserlohn zum Gegenbesuch in Ostrowiec-świętokrzyski auf; eingeladen hatte das dortige Broniewskij-Lyzeum. Schüler/innen dieses Lyzeums waren vom 30. September bis 5. Oktober 2002 Gäste in Iserlohn (siehe auch „POLEN und wir“, 2/2003). Keiner aus der deutschen Gruppe kannte vorher Ostpolen aus eigener Anschauung; auch nicht die Schüler und Schülerinnen, die in Polen geboren waren. Das von Frau Wojsa und Frau Węglewicz erstellte Programm bot reichlich Gelegenheit, diese in vieler Hinsicht faszinierende Gegend kennen zu lernen. In Radom, ca. 50 km von Ostrowiec-św. entfernt, holten uns die polnischen Gastgeber ab. Nach einer Besichtigung dieser immer noch eindrucksvollen Stadt trafen sich die deutschen Begleiter, Dr. Bleicher und Herr Müller, mit dem Stadtarchivar; dabei leistete Frau Węglewicz als Übersetzerin wertvolle Dienste.

 

Im Herbst 1939 hatte eine Iserlohner Sanitätskompanie in Radom Quartier bezogen und Dr. Bleicher erhoffte sich vom Archivar nähere Informationen darüber. Dieser versprach im Laufe des angeregten Gesprächs, sich darum zu bemühen.

Rund um Ostrowiec- świętokrzyski gab es eine Porzellan-Fabrik samt angeschlossenem Museum zu sehen, die Kirche und das Zarinnentor in Szewna sowie die berühmte Flintsteingrube Krzemionki. In der weiteren Umgebung war besonders die Tropfsteinhöhle Raj interessant, gibt es doch in der Umgebung Iserlohns ebenfalls drei solcher Höhlen. Einen Einblick in die dörfliche Kultur Polens bot das Freilichtmuseum Tokarnia; eindrucksvoll waren aber auch die Wallfahrtskirche in święty Krzyż,  Szydlow, das „polnische Carcassone“, und die Bisonaufzuchtstation  in Kurozweki.

Eine zweitägige Fahrt führte zu-nächst nach Krakau. Dort gab es eine lebhafte und kenntnisreiche Führung durch den Wawel, wobei auch die düstere Zeit des letzten Weltkriegs nicht ausgespart wurde.  Übernachtet wurde im Salzbergwerk Bochnia, was für alle ein besonderes Erlebnis darstellte. Mehr als ergänzt wurde es durch das berühmtere Salzbergwerk  in Wieliczka.

Einer der Höhepunkte der Reise, wenn auch ein sehr bedrückender, war der Rundgang durch das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz I. Zeigten sich die Schü-lerinnen und Schülern sonst nicht immer gleichmäßig interessiert an Besichtigungen, so war es hier völlig anders. Die Führung dauerte gut zwei Stunden, und dennoch waren alle Teilnehmenden ständig bei der Sache. Allerdings umfasste  nach einhelliger Meinung dieser Programmpunkt zu wenig Zeit.

Ein weiterer ungewöhnlicher Programmpunkt war die Besichtigung eines Behinderten-Zentrums in Ostrowiec-świętokrzyski. Überraschend waren vor allem die schöpferischen Leistungen dieser Menschen. So führte eine Tanzgruppe einen Ausschnitt aus ihrem Programm vor, mit dem sie bereits Auszeichnungen gewonnen hatte.

Zunächst wurde von den Jugendlichen vermisst, dass kein Besuch in Warschau vorgesehen war. Aber es zeigte sich, dass die Besichtigung der beiden großen Städte Krakau und Wrocław, dazu noch von Auschwitz,  ausreichend war. Denn sonst wären die anderen Ziele, die kleinen Städte und Orte, zu kurz gekommen und man hätte die świętokrzyski -Wojewodschaft kaum so gut kennen lernen können, wie es dann erfolgt ist.

Zum Abschluss dieser Tage stand Wrocław auf dem Programm; hierhin wurden die Deutschen trotz der großen Entfernung von den beiden polnischen Lehrerinnen und zweien ihrer Schüler begleitet. So konnte der Versuch eines Schaffners abgewiesen werden, von der deutschen Gruppe eine Nachzahlung zu fordern. Überwältigend war die Wiederaufbau-Leistung in der niederschlesischen Metropole, die hier nach dem Krieg vollbracht worden war. Nach übereinstimmender Meinung war die Stadt eine der schönsten, die man bisher gesehen hatte.

Neben diesen Besichtigungen kamen jedoch auch die menschlichen Beziehungen nicht zu kurz. So gab es besonders bei den Teilnehmern, die noch nie in Polen gewesen waren, vorher durchaus Vorurteile, auch wenn sie meist in scherzhaftem Ton geäußert wurden. Doch gerade diese Gruppenmitglieder äußerten auf der Rückfahrt großes Interesse an einer erneuten Teilnahme am Austausch. Die deutschen Schülerinnen und Schüler waren überrascht und beeindruckt von der Gastfreundschaft der „polnischen  Seite“. Sie fühlten sich hervorragend betreut und verwöhnt, wozu sicher auch der programmfreie Sonntag beitrug. An diesem Tag unternahmen alle Familien Ausflüge mit ihren Gästen. Die Jugendlichen organisierten aber auch selbst ihre Freizeit, wobei Polen und Deutsche eng zusammen arbeiteten. Vereinzelte Probleme lösten die Betroffenen selbst.

Im Vorfeld wurde von einigen Lehrern des Märkischen Gymnasiums kritisiert, dass auch Schüler und Schülerinnen mitfuhren, die in Polen geboren sind und die Sprache beherrschen. Aber auch das erwies sich im Laufe der Maßnahme als positiv: Erstens konnten die beiden Betreuer während der Hin- und der Rückfahrt auf sie zurückgreifen, wenn eine Verständigung auf Polnisch nötig war; zweitens galt das auch für die übrigen deutschen Gruppenmitglieder beim Aufenthalt vor Ort.

Der bisherige Austausch der beiden Schulen ist zunächst ein Versuch gewesen, der jedoch sehr positiv verlaufen ist. Deshalb hoffen alle Beteiligten darauf, dass das bisherige Provisorium jetzt in eine dauerhafte Form umgewandelt wird. Dann wird es im nächsten Jahr wieder gegenseitige Besuche geben.                                  m