Sie konnten zusammen nicht kommen...

Von Gudrun Künaß

 

Diese Geschichte beginnt in Afrika mit einem jungen Studenten. Nennen wir ihn Claude. Er studierte Betriebswirtschaft an der Universität Kinshasa in seiner Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, damals noch Zaire genannt. Nach Semesterschluss war er auf einem der landesüblichen Überlandlastwagen mit anderen Studenten auf dem Weg nach Hause zu seiner Mutter, als eine militärische Straßenkontrolle stattfand. Die Überprüfung der Papiere war bereits erfolgt, als aus der Mitte der studentischen Passagiere ein versteckter Schimpfruf erfolgte. Aufs Geratewohl wurden stellvertretend Claude und ein anderer Student verhaftet, obwohl sie es nicht gewesen waren. Sie wurden in ein Militärlager gezwungen, wo sie brutal zu Elitesoldaten "geschliffen" wurden. Bei Claude führte diese Tortur zu einem gesundheitlichen Zusammenbruch und zur Einlieferung in ein Militärkrankenhaus.

 

Der Zufall wollte es, dass der ihn behandelnde Arzt seinen verstorbenen Vater gekannt hatte. Er sagte ihm: „Du musst fliehen, sonst überlebst du das nicht.“ Er schmuggelte ihn aus dem Hospital und verhalf ihm zu einer Fluchtverbindung nach Deutschland. Claude stellte einen Asylantrag und erhielt eine Aufenthaltsbefugnis. Es gelang ihm, nach Hannover zu ziehen, eine Arbeit zu finden und sich eine kleine Wohnung schön einzurichten. Er lernte eine junge Polin kennen, die gerade einen Au-pair Ferienjob in Deutschland ausübte. Es kam, wie es kommen sollte: Die beiden verliebten sich und heirateten im Februar 2001. Alles konnte gut sein. Aber....

Nach der Heirat mit Claude in Polen stellte Maria einen Antrag auf Familienzusammenführung, um ihrem Mann nach Deutschland folgen zu können. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Die Ausländerbehörde Hannover verlangte, dass das Paar nach Polen ziehen solle, weil Maria von den beiden dort das „höhere“ Bleiberecht habe.

Aber Polen war für Maria keinen Aufenthalt mehr wert: Ihre kleinstädtisch geprägten Eltern hatten sich wegen der Schande, dass ihre Tochter „einen Schwarzen hatte“, von ihr losgesagt und waren nicht einmal zur Hochzeit gekommen. Maria besaß ein Hochschulexamen in Mikrobiologie und bereitete an einem gering bezahlten Laborplatz ihre Promotion vor, als sie Claude kennen lernte. Nach der Heirat hatte sie in Erwartung einer baldigen Übersiedelung nach Deutschland diesen Arbeitsplatz aufgegeben. Jetzt fuhr sie mit einem Touristenvisum alle drei Monate nach Hannover, um bei ihrem Mann sein zu können. Dieser verdiente soviel, dass sie beide bescheiden davon leben konnten, seine Wohnung war auch groß genug. Maria spricht gutes Deutsch, Claude spricht aber kein Polnisch. Wie sollte er in Polen Arbeit finden?

Ein Baby kündigte sich an. Das Paar entschloss sich für das Kind und stellte einen erneuten Antrag auf Familienzusammenführung - jetzt mit einem zusätzlichen Argument. Der kleine Frank kam im März 2002 gesund zur Welt und wurde durch Eintragung in den Pass des Vaters kongolesischer Staatsbürger. Die Frage der Familienzusammenführung zog sich hin. Ein Anwalt wurde eingeschaltet.

Im August 2002 entschied die Ausländerbehörde unter Androhung der Abschiebung erneut, Maria müsse Deutschland mit ihrem Kind verlassen, Claude könne seinerseits einen Antrag auf Familienzusammenführung in Polen stellen.

Es entstand eine Debatte zwischen dem Ehepaar und der Ausländerbehörde über die Staatsangehörigkeit des Kindes. In Polen gibt es keine doppelte Staatsbürger-schaft. Also darf Frank gar nicht nach Polen einreisen (so die Eltern und ihr Anwalt). Als Kind einer polnischen Mutter ist Frank automatisch auch Pole und kann einreisen (so die Aus1änderbehörde), Maria muss ihn nur in ihren Pass eintragen lassen. Die polnische Botschaft verlautete: „Ja, das geht.“ Können die Eltern gezwungen werden, ihrem Kind die polnische Staatsbürgerschaft zu geben? Letztendlich hatten Claude und Maria nicht die Nerven, diesen Streit auf die Spitze zu treiben. Sie fügten sich und stellten um die Jahreswende bei der polnischen Botschaft einen Antrag auf Dokumentation der polnischen Staatsbürgerschaft ihres Kindes in Marias Pass. Über ihnen schwebte den ganzen Herbst das Damoklesschwert der Abschiebung. Auf jenen Antrag hat sie übrigens bis heute keine Antwort erhalten.

Anfang November 2002 hielt Maria zwei Dokumente in der Hand: je eine Grenzübertrittsbescheinigung für sich und ihren kleinen Sohn, „einzulösen“ innerhalb von 14 Tagen. Sie wusste nicht, wohin sie in Polen gehen sollte, wie eine Wohnung finden, wovon leben ... Die Familie tat mir schrecklich leid. So kurz vor Weihnachten drängten sich regelrecht Parallelen auf. Die biblischen Maria und Joseph waren auch ohne Herberge, aber sie waren wenigstens gemeinsam unterwegs...

Ich richtete eine Petition an den Nieder-sächsischen Landtag, die die erlösende „aufschiebende Wirkung“ entfaltete und der Familie zunächst einmal ein einigermaßen entspanntes Weihnachtsfest und weitere ruhige Wochen verschaffte.

Inzwischen wurde jedoch auf der höheren Ebene weiter gearbeitet. Der Anwalt hatte bei der Bezirksregierung Hannover Widerspruch gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde Hannover eingelegt; der Petitionsausschuss wandte sich seinerseits zur Einholung einer Stellungnahme an die Bezirksregierung. Der Petitionsausschuss, so hörte ich im übrigen, entscheide immer „nach Rechtslage“. Ich habe das so verstanden, dass er dem Standpunkt der Bezirksregierung nicht widersprechen würde.

In meiner Petition hatte ich u.a. geschrieben: „Der Beitritt Polens zur EU steht bevor. Welche Unfreundlichkeit wird hier auf deutscher Seite an den Tag gelegt, wenn man eine junge polnische Ehefrau und Mutter so behandelt, als wäre sie eine arglistig in unser Staatsgefüge eindringende Fremde, die es um jeden Preis abzuwehren gilt! Ich vermute, dass Frau S. in einer abzusehenden Zeit, nämlich nach dem EU-Beitritt Polens, ganz ungehindert zu ihrem Ehemann würde ziehen können. Warum dann jetzt noch solche Schwierigkeiten aufbauen?

Frau S. ist es meiner Meinung nach nicht zuzumuten, nach Polen zurückzukehren und auf einen späteren, eventuell günstigeren Einreisezeitpunkt zu warten. Eine solche Trennung wäre eine schwere Hypothek auf der jungen Familie. Bereits jetzt tut es mir unendlich leid mit anzusehen, dass das Paar, das seit mehr als 1 1/2 Jahren verheiratet ist, kaum in Ruhe seine Beziehung leben und entfalten konnte. Ich finde, man sollte auch nicht wissentlich ein Kind von seinem Vater trennen. Denn selbst wenn sich Herr S. entschließen könnte, einen Einreiseantrag nach Polen zu stellen, scheint mir das erneut eine langfristige behördliche Entscheidungsangelegenheit zu werden.“

Damals wusste ich noch nicht einmal, was wir inzwischen einem amtlichen Merkblatt der polnischen Botschaft in Deutschland entnehmen konnten. Demnach bekommt ein ausländischer Ehegatte eine Einreiseerlaubnis zum Zweck der Familienzusammenführung nach Polen nur unter folgenden Bedingungen: Seine Ehefrau muss in Polen eine Wohnung bereithalten und finanzieren, die groß genug für alle drei ist. Sie muss den Nachweis erbringen, dass sie den Lebensunterhalt für sich, ihren Mann und ihr Kind bestreiten kann. Sie muss die Krankenkasse für alle drei bezahlen können.

Der ausländische Ehegatte erhält vorab keine Arbeitserlaubnis. Erst wenn er rechtmäßig eingereist ist, kann er vor Ort eine Arbeit suchen und dann für diese eine Genehmigung beantragen.

In einem Telefongespräch mit der Bezirksregierung sagte mir die Sachbearbeiterin: „Wenn ich positiv entscheiden soll, müssen Sie mir einen zwingenden Grund nennen, warum es Frau S. unmöglich sein soll, ihren Mann nachkommen zu lassen.“ Der Sachbearbeiterin wurde das Merkblatt mit einer anwaltlichen Argumentation übersandt.

Dennoch fiel der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover Ende April dieses Jahres  negativ aus. Familie S. klagt nun gegen den Widerspruchsbescheid und muss für das Gericht den Nachweis erbringen, dass eine alleinerziehende Mutter in Polen unmöglich so viel verdienen kann, um die Vorbedingungen für die Einreise Ihres Mannes zu erfüllen. Wie macht man das mit Arbeitslosenstatistiken, Mietspiegel etc.? Wird das Gericht sich darauf einlassen?

Über die Petition ist bis jetzt nicht entschieden. Zwei Nachbarländer, die auf dem brüchigen Boden der Vergangenheit ein gemeinsames Haus bauen wollen, haben offenbar noch nicht überlegt, dass die Annäherung auf der Ebene der Menschen und deren Zusammenleben eingeleitet werden muss.

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