Von Agata Paluszek
Als Henryk Bereska in einem Interview gefragt wurde, was ihn zur
Übersetzerei brachte, antwortete er, dass er seine Übersetzerarbeit wohl der
polnischen Staats-sicherheit verdankt. In der Tat, wären es nicht die
polnischen Sicherheitsorgane, die ihn 1947 zur Flucht aus Polen zwangen, wäre
er nach dem Krieg in seiner Heimat-stadt Kattowitz geblieben, wo er 1926 zur
Welt kam und aufgewachsen ist. Er würde dort seinen Lebensunterhalt vielleicht
als Lehrer oder Ingenieur verdienen. Die Zeit nach dem Krieg war jedoch in
Polen besonders schwierig für Menschen wie Bereska, der während des Krieges
Mitglied in der Hitlerjugend war und 1944 eine Ausbildung in der Luftwaffe
machte. Es wundert nicht, dass ihn die polnische Staatssicherheit bald ins Visier
nahm. Ihm blieben zwei Möglichkeiten, entweder mit der Staatssicherheit
zusammen zu arbeiten und seine Schulkameraden zu bespitzeln oder wegzugehen.
Bereska wählte die zweite Alternative.
Hinter dieser Tatsache von
äußeren Ereignissen, die Bereskas Lebensweg bestimmten, verbargen sich
tiefgreifendere Gründe, seinen Beruf zu ergreifen. Erlebnisse, die sein
Interesse an der Übersetzung weckten und sie zu seiner Leidenschaft wachsen
ließen. Neben der deutsch-polnischen Umgebung, in der Bereska seine Kindheit
verbrachte, prägten sein Verhältnis zu Polen vor allem die Ereignisse des Krieges.
Als Mitläufer des Naziregimes fühlte sich Bereska für die Verbrechen
Hitlerdeutschlands mitverantwortlich. Seine Arbeit wurde für ihn zu einer
moralischen Verpflichtung. Er sah sich vor die Aufgabe gestellt, die
Feindschaft, die seit Jahrhunderten beide Völker trennte und sich im Zweiten
Weltkrieg zuspitzte, überwinden zu helfen. Er wollte eine Grundlage für ein
gutnachbarschaftliches Zusam-menleben schaffen. Das wirksamste Mittel dazu
schien ihm die Literatur. Die Vorurteile und Stereotype entstanden doch gerade
durch die Unkenntnis der Literatur und Kultur des anderen Volkes.
Besonders der jungen Generation,
die in Nazideutschland aufwuchs, war die polnische Literatur völlig unbekannt.
Es fehlte vor allem an Übersetzern, um die polnische Literatur überhaupt lesbar
zu machen. Bereska studierte an der Berliner Humboldt-Universität von 1948-1952
Polonistik, Germanistik und Slawistik. Bereits während des Studiums arbeitete
er an der Redaktion und Übersetzung der Anthologie Mickiewicz. Ein Lesebuch für
unsere Zeit (1953) mit. Heute gehört Henryk Bereska zu den bedeutendsten
Übersetzern polnischer Literatur, der für sein translatorisches Schaffen
mehrmals ausgezeichnet wurde. Er bekam u.a. das Offizierskreuz zum Orden „Polonia
Restituta“ (1971), die Kochanowski-Medaille (1984), den St. I. Witkiewicz-Preis
des ITI Warschau (1987), das Bundesverdienstkreuz am Band (1997) und das
Kommandeurskreuz zum Verdienstorden der Republik Polen (1998).
Es ist unmöglich, Bereskas
Verdienste für die Verbreitung polnischer Literatur in Deutschland zu
überschätzen. Selten wurden große idealistische Vorhaben so gewissenhaft und
qualitativ umgesetzt. In den 40 Jahren seiner Übersetzertätigkeit in der DDR
und dem letzten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen
Staaten machte Bereska den deutschen Leser mit den wertvollsten Positionen
polnischer Literatur bekannt. Er präsentierte ihren breiten formalen und thematischen
Reichtum.
Übersetzung unbekannter und
schwieriger Autoren
Ein besonderer Verdienst des
Übersetzers liegt darin, dass er sich vor allem unbekannten Schriftstellern und
Werken widmete. Das betrifft besonders Autoren jüngerer Generation, wie Bryll,
Stachura, Zagajewski, Goerke und Za³uski, die Bereska auf den deutschen Markt
einführte. Auf diese Weise beeinflusste er den Stellenwert dieser Bücher in der
polnischen, deutschen und europäischen Literaturgeschichte mit. Bereska griff
ebenfalls nach Werken alter polnischer Literatur, die bisher in deutscher
Sprache nicht publiziert wurden, weil sie als unübersetzbar galten. Hierzu
gehören vor allem Werke von Witkiewicz, Wyspiański, Norwid und
Kochanowski.
Von dem breiten Themenspektrum
polnischer Literatur wählte Bereska neben der Kriegsliteratur (Nałkowska,
Rudnicki, Borowski und Wojdowski) Werke, die sich aktuellen gesellschaftlichen
und politischen Themen widmeten (Iwaszkiewicz, Lem, Breza, Brandys, Andrzejewski
und Różewicz). Darunter befinden sich ne-ben den Büchern von
nationalspezifischer polnischer Thematik Werke von universeller, übernationaler
Aussage. Besondere Vor-liebe entwickelte Bereska in den 70er und 80er Jahren
für die satirische und groteske Literatur von Redliński, Choromañski und
Madej.
Bezeichnend ist, dass Bereska
während seiner Tätigkeit in der DDR nicht nur gegen die Stereotype unter den
Deutschen und Polen kämpfen musste, sondern ebenfalls gegen die ideologischen
Schranken in beiden kommunistischen Staaten. Spätestens seit dem
kulturpolitischen „Tauwetter“ in Polen 1956 und der Relativierung des
„Sozialistischen Realismus“ in Kunst und Literatur, hegten die DDR-Kulturbehörden
deutliches Misstrauen gegenüber den Büchern aus Polen. Das führte oft zu
kulturpolitischen Kuriositäten. Beispiele davon häufen sich im Schaffen des
Übersetzers. So konnte der Roman Asche und Diamant von Jerzy Andrzejewski 1958
in der DDR nicht erscheinen, weil der Autor kurz davor aus der polnischen
Partei ausgetreten war. Der Aufbau-Verlag verkaufte das Werk 1961 an den
westdeutschen Langen-Müller-Verlag, um es ein Jahr später zurück zu kaufen,
nachdem sich einer der bedeutenden polnischen Politiker für die Veröffentlichung
des Buches bei den ostdeutschen Parteigenossen eingesetzt hatte. Ein anderes
Werk von Andrzejewski Siehe, er kommt und hüpft über die Berge, wurde in den
60er Jahren abgelehnt, weil sich darin Anspielungen auf den Roman Ulysses von
James Joyce befanden, der zu dieser Zeit in der DDR verboten war. Andrzejewskis
Roman erschien erst 1984, nachdem in den 70er Jahren auch der Roman von Joyce
veröffentlicht wurde. Auch die Herausgabe des biographischen Buches von Hanna
Mortkowicz-Olcza-kowa über Janusz Korczak (1961) wäre beinahe gescheitert, weil
Korczak kein Kommunist, sondern ein bürgerlicher Intellektueller war. Dieser
polnisch-jüdische Arzt und Pädagoge wurde 1943 mit den Zöglingen aus seinem
Waisenhaus in Auschwitz umgebracht. Um die Dramen von Tadeusz Różewicz
übersetzen zu können, musste Bereska bis in die 70er Jahre warten. Auf dem 11.
Plenum der SED 1965 warf man dem polnischen Autor „Pessimismus“ und „Nihilismus“
vor. Różewicz kritisierte in seinen Dramen u.a. die Gleichgültigkeit und
Selbstsucht sowie den Egoismus in der gegenwärtigen Gesellschaft. Diese
Darstellung entsprach nicht dem offiziellen Bild in der DDR von einer „sozialistischen
Menschengemeinschaft“.
Die Übersetzungstätigkeit, obwohl
der wesentlichste, ist nicht der einzige Bestandteil kultureller Arbeit
Bereskas. Er machte sich auch als Herausgeber polnischer Literatur einen Namen.
Besonders mit der Anthologie polnischer Lyrik aus fünf Jahrzehnten (1975) und
dem Sammelband Stücke von Witkiewicz (1982) bewies er seine umfangreiche Kenntnis
polnischer Literatur. Als Kenner der polnischen Literaturgeschichte zeigte sich
Bereska ebenfalls durch Nachworte zu verschiedenen Werken (z.B. Die Puppe und
Die Emanzipierten von Prus) sowie zahlreiche Beiträge zur Rezeption polnischer
Literatur in Deutschland (u.a. zu Mickiewicz, Kruczkowski, Różewicz,
Borowski und Lubosz).
Nach 1990 veränderten sich die
Arbeitsbedingungen des Übersetzers schlagartig. Statt gegen die Zensur zu
kämpfen, kämpfte Bereska gegen das sinkende Interesse der ostdeutschen Verlage
an polnischer Literatur. Mehrere Bücher, die Bereska um 1990 übersetzte, wurden
aus den Verlagsprogrammen als druckfertige Manuskripte herausgenommen, weil
sich die Verlage diese Ausgaben finanziell nicht mehr leisten konnten. Dies
betraf sogar die in der DDR so bekannten Autoren wie Różewicz und Breza.
Bereska nahm die Herausforderung, die die neue Zeit mit sich brachte, an. Statt
auf die Angebote großer Verlage zu warten, machte er kleine Verlage ausfindig
und bot ihnen selbst polnische Werke an. Auf diese Weise gelang es ihm, viele
der um 1990 abgelehnten Bücher zu veröffentlichen.
Seiner Beharrlichkeit und seinem
Engagement verdankt Bereska, dass er, heute über 75jährig, auf ein riesiges
Werk seines Lebens blicken kann: Auf über 200 Titel aus Prosa, Drama und Lyrik,
publiziert als Einzelveröffentlichungen, in Anthologien und kulturellen
Zeitungen und Zeitschriften.
Wenn man Henryk Bereska nach den
Kriterien fragt, nach denen er seine zu übersetzenden Werke wählt, antwortet
er, dass er alles übersetze, was ihn herausfordere, ihm eine „schöpferische
Qual“ bereite, dafür aber viel Genugtuung gebe. Ein Beispiel solcher
Schwierigkeiten stellt Wyspiańskis Drama Die Hochzeit dar. Bei der
Übersetzung dieses Dramas stand Bereska vor der Frage, wie die Sprache der
Goralen aus der Krakauer Gegend in Deutsch wiederzugeben ist. Man kann sie
nicht in Sächsisch, Bayrisch oder Platt-deutsch wiedergeben, weil das Stück
dadurch seine Atmosphäre verlieren würde. Es entsteht immer eine Assoziation an
bestimmte Werke in dem jeweiligen Dialekt. Der polnischen Mundart am nächsten
wäre vielleicht der schlesische Dialekt, den Gerhard Hauptmann in seinen Werken
verwendete, aber dann wäre in Die Hochzeit nicht Wyspiański sondern eben
Hauptmann anwesend. Schließlich entschloss sich der Übersetzer, den polnischen
Dialekt in die deutsche Umgangssprache zu übersetzen, ähnlich wie sie Brecht in
manchen seinen Stücken verwendete.
Das Beispiel von Henryk Bereska
zeigt, dass die Kenntnis der Kultur und Sprache, aus der man übersetzt, nicht
ausreichend ist, man muss vor allem die Kultur und Sprache, in die man
übersetzt, vollkommen beherrschen. Die Geheimnisse der kongenialen Übersetzung
sind dem Übersetzer nicht fremd. Seine Übersetzungen lesen sich wie
Originaltexte.
Eine der Werkstattgeheimnisse von
Bereska war und ist die persönliche Bekanntschaft mit vielen, der von ihm
übersetzten Autoren, u.a. mit Borowski, Różewicz, Morcinek und Breza.
Dieses hilft ihm, den Schriftsteller, seinen Charakter kennen zu lernen und
dadurch die Spezifik seiner Bücher besser zu begreifen.
Das übersetzerische Schaffen Henryk Bereskas und sein Engagement für die polnische Kultur lassen in ihm einen wichtigen Mittler zwischen Deutschen und Polen sehen. Es stellt ihn in die Reihe der herausragendsten zeitgenössischen Übersetzer polnischer Literatur weltweit. Die Verleihung des Ehrendoktortitels der Universität Wrocław (Breslau) im April 2002 bestätigt es auf eine besondere Weise. In seiner Ansprache formulierte Prof. Romuald Gellers, Rektor der Universität Wrocław, die Entscheidung des Universitätssenats so asketisch wie unmissverständlich: „In Anerkennung der Verdienste um die polnische Kultur...“. m