Eurogalla – Europa-Politik mit dem Fahrrad

Karl Forster

 

Irgendetwas muss es auf sich haben, mit dem Ort Weißwasser in der Oberlausitz. Nicht nur Werner Stenzel, Begründer der Radtouren der deutsch-polnischen guten Nachbarschaft (wir berichteten darüber) kommt aus diesem Ort, sondern auch ein weiterer Politik-Radsportler, der seit nunmehr 22 Jahren internationale Begegnungstouren organisiert: der Rechtsanwalt Dr. Dieter Rogalla.

 

Am 30. September 1981 rückte Rogalla (“Eurogalla”) für die SPD in das Europa-Parlament nach und wurde bei zwei Europawahlen, 1984 und 1989, direkt gewählt. Sein politisches Tätigkeitsfeld waren Bochum und das Münsterland. Als Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik widmete er sich dem wachsenden Binnenmarkt, besonders  der Steuerharmonisierung und dem Abbau der Binnengrenzen, wobei er gerade das Letztgenannte für damalige Zeiten überraschend ernst nahm. Europa wurde für ihn zur Herzensangelegenheit und so kämpfte er früh für die Lockerung der Grenzkontrollen, internationale Begegnun-gen – besonders auch unter Jugendlichen – und entdeckte das Fahrrad als aufsehenerregendes Verkehrsmittel. Schon 1982 fuhr er erstmals per Fahrrad von seiner Heimat im Münsterland über seinen Wahlkreissitz Bochum ins Straßburger Parlament. Dabei überquerte er mehrfach die deutsch-niederländischen, deutsch-belgischen und deutsch-französischen Grenzübergänge. Im darauffolgenden Jahr ging es entlang der Westgrenze der Bundesrepublik von Emden nach Straßburg und 1984 anlässlich der Brenner-Blockade von Verona nach Innsbruck.  Dann wurden die Strecken immer länger. 1985 führte seine Fahrrad-Europa-Werbetour nach Großbritannien und Dänemark. Uns so ging es weiter, ab 1990 unter der Bezeichnung „Eurotour“. 1991 führte die Route von Straßburg durch Deutschland und Polen bis Moskau und ab 1994 wurde seine Begleitgruppe dann auch durch eine Gruppe polnischer Jugendlicher verstärkt. Zu den Zielorten gehörten nun alle alten und zukünftigen Länder der EU, die Reiseroute führte auch nach Auschwitz und im vergangenen Jahr von Brüssel über Arnheim, Hamburg, Berlin, Kolberg und Brest bis nach Lublin.

Rogalla lädt Jugendliche aus ganz Europa zu seiner Radtour durch Europa ein. Wo über Krisengebiete oder Länder, die erst in die Europäische Union wachsen müssen, geredet wird, ist er bereits vor Ort. In den verschiedenen Ländern treffen die Radfahrer auf Jugendliche und Politiker, die sich gern den Fragen stellen; man trifft auf  Menschen, die ihr Land, ihre Sitten und Gebräuche nicht “a la Touristik” zeigen - für viele Jugendliche unvergessliche Erlebnisse!

Grenzüberschreitungen mit Zoll, Schranken und Zöllnern sind Dr. Dieter Rogalla schon immer ein Dorn im Auge gewesen, denn viele denken auch “beschränkt”. Das muss man ändern, dafür wird schließlich geradelt. Mal mit einer Säge, mal mit einem Lied, und immer wieder mit einer Horde radfahrender Jugendlicher mit ei-nem Pass in der Hand werden Grenzen überschritten. Manch Grenzhäuschen könnte da so eine Geschichte erzählen.

Trotz aller politischen Absichten wird natürlich jede Menge Rad, Tandem oder Dreirad gefahren. Mit einigen Begleitfahrzeugen geht es stets sicher durch Europa, manchmal hilft auch die einheimische Polizei. Landschaft, Luft und Sonne werden intensiv durch Auge, Nase, Gehör oder durch die Haut aufgenommen. Bei manch strapaziöser Tour denkt sich so mancher: Kann Europa anstrengend schön sein.

Obwohl die Jugendlichen, in den letzten Jahren auch Behinderte, aus den verschiedenen Ländern kommen, wachsen sie während der Tour zu einer Familie zusammen, Kommunikationsprobleme gibt es nicht. Am Ende jeder Tour beherrschen Abschiedsschmerz und Tränen den letzten Tag. Es folgen unendlich viele Mails, Briefe und SMS. Manch europäische Liebe ist während der Tour geboren und viele tiefe Freundschaften sind entstanden.

Eigentlich wollte er sich nach 20 Jahren Euro-Radtouren zur Ruhe setzen. Aber wer Dr. Rogalla kennt, wusste, dass das nicht funktioniert. Und so stand er am 28. Juli dieses Jahres morgens wieder vor dem Europa-Haus nahe dem Brandenburger Tor in Berlin und nutzte eine Pressekonferenz der Europa-Union für den Startschuss der 22. Eurotour. Auch wenn gelegentlich eine kleine Strecke mit Fähre oder Pkw zurückgelegt werden muss,  täglich galt es zwischen  90 und 140 km Radstrecke zu bewältigen. Und so hatte sich Rogalla für die 22. Tour wieder eine besonders spannende und anstrengende Strecke zusammengestellt. Von Berlin führte der Weg über Leipzig und Dresden nach Prag, von hier weiter über Opole und Kraków nach Bańska Bystrica. Über Budapest, hier wurde ein Ruhetag eingelegt, ging es weiter nach Szeget und Bukarest. Dann folgten Varna, Burgas, Alexandropoles, Tessaloniki und Athen. Hier gab es den zweiten Ruhetag, bevor es von Patraj mit der Fähre nach Triest ging. Der Epilog führte dann noch nach Bratislava, wo die Tour am 17. August nach 22 Tagen und 1660 km endete.

Vielleicht gelingt es im  kommenden Jahr, ein Treffen zwischen der EurogallaTour und der Radtour der guten Nachbarschaft zu arrangieren?                                     m