Mikołaj Kopernik, Toruń und ein neues Denken

Von Klaus-Ulrich Göttner

 

Dank der Einladung der Polnischen Vereinigung der Europa-Häuser und der Veit-Stoß-Stiftung zur Bewahrung Polnisch-Deutschen Kulturerbes war es mir als Vertreter der Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen möglich, ein zum Nachdenken anregendes Wochenende in Toruń, der „Königin der Weichsel“, zu verbringen. Unter der Schirmherrschaft und in Anwesenheit des Marschalls des Sejms der Republik Polen wurde das Kopernikus-Denkmal am 25. Oktober 2003 nach einer gründlichen Restaurierung nochmals symbolisch enthüllt. Vom polnischen Außenminister wurde eine Grußbotschaft übermittelt. Das bekannteste Wahrzeichen Toruńs erstrahlt jetzt wieder in seiner alten Schönheit und gibt der ehrwürdigen Hansestadt im Rahmen der sorgsam restaurierten Häuser im Zentrum seinen Glanz.

 

Die Feierlichkeiten am 25.10.2003 zum 150. Jahrestag der erstmaligen Denkmalsenthüllung wurden mit einer eindrucksvollen Ausstellung zur Geschichte des Denkmals, seines Schöpfers Friedrich Tieck und Informationen über den Prozess der Restaurierung eröffnet.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Konferenz beschäftigte sich Frau Czok aus Berlin in einem die Aufmerksamkeit der Zuhörer fesselnden Vortrag mit dem Leben, Werk und der Wirkung von Friedrich Tieck. Nachfolgend berichtete Frau Niedzielska sehr anschaulich über die Geschichte des Toruner Denkmals und die damit verbundenen zwischenmenschlichen deutsch-polnischen Beziehungen. Herr Krause erläuterte faktenreich und kompetent die Methoden und Probleme der erstmalig erfolgten umfassenden Restaurierung seit 1853, und Frau Mazurkiewicz  erzählte  lebendig und engagiert über die Kopernik-Denkmäler in Polen und in der Welt. Krönender Abschluss war ein Konzert mit dem Toruner Kammerorchester, einigen Solisten und dem Universitätschor. Es wurden die Werke gespielt und in Deutsch gesungen, die bereits 1853 zur Aufführung kamen: Otto Nicoleis Ouvertüre „Ein’ feste Burg ist unser Gott“, Felix-Mendelsohn-Bartholdys „Kommt lasset uns anbeten“ 95. Psalm sowie von Georg Friedrich Händel das „Halleluja“ aus dem Messias. Die mitreißenden Auftritte des Chors, die spürbare Musizierfreude des Orchesters und der Solisten, nicht zu vergessen die sichere Stabführung von Herrn Wicherek begeisterten das Publikum, das sich mit anhaltendem Beifall und vielen Bravos auch für die Zugaben bedankte.

Gemeinsames Erbe

Kopernikus hat mit seinem Werk „De revolutionibus orbium coelestium“ nicht nur die Astronomie, sondern vor allem das menschliche Denken revolutioniert. Er befreite es von bis dahin herrschenden Konventionen und trat damit gegen die höchsten Autoritäten seiner Zeit und die von der Kirche sanktionierten Anschauungen und Dogmen auf. Die bewusste Bezugnahme auf die deutsche Geschichte dieser Stadt und den Bildhauer Friedrich Tieck im Rahmen der symbolischen Denkmalsenthüllung zeugen ebenfalls von einem Bruch mit bisher gängigen Auffassungen, von einem neuen Herangehen an das gemeinsam geschaffene Kulturerbe, insbesondere in den Nord- und Westgebieten Polens. Das zeigt auch die Feststellung im Vortrag von Frau Niedzielska, „die Anwesenheit einer deutschen Gesellschaft (in Toruń-d. Verf.) resultierte nicht nur aus der Eroberungspolitik des preußischen Staates, sondern sie entwickelte sich auch aus der Jahrhunderte langen Verbindung zwischen Pommern und Toruń, die wesentlich mit zur Entwicklung der Identität und zur Schaffung des historischen Erbes beigetragen hat“. Diese gegenseitige Akzeptanz von Höhen und Leistungen im Miteinander von Deutschen und Polen, und die Bewahrung der Erfahrungen aus Gegnerschaft und Feindschaft als Mahnung, so etwas zwischen beiden Völkern nicht wieder zuzulassen, sind Voraussetzungen, um den Anforderungen eines sich vereinigenden Europas gerecht zu werden.

Sicherlich ist das angesichts der Geschichte unserer Nachbarschaft und den damit verbundenen Problemen im Zusammenleben beider Völker nicht einfach, vor allem wenn man die jüngste Geschichte - den Überfall auf Polen und die deutschen Verbrechen in der Okkupationszeit - berücksichtigt. Aber man muss dabei auch sehen, dass die über tausendjährige Nachbarschaft nicht nur aus einer Ära deutscher Bedrohung und Feindschaft bestand. Es gab ebenso lange Perioden friedlichen und für beide Seiten fruchtbaren gutnachbarschaftlichen Zusammenwirkens, von gegenseitiger menschlicher Hilfe und Unterstützung auch in Zeiten der Barbarei.

Die Zukunft schaffen heißt Stereotype überwinden

Wer ist sich der zerstörerischen Kraft der bekannten beiderseitigen Stereotype bewusst, wenn bei Fragen zum Nachbarland oftmals zuerst Negativa und Vorbehalte genannt werden und nicht die in allen Jahrhunderten vorhandenen gutnachbarschaftlichen Zeiten, die vielfältigen kulturellen Verflechtungen, die gewichtiger Bestandteil des Kulturerbes sind: Erinnert sei beispielsweise Krasicki, dem zu Ehren die zweite Glocke in der Berliner HedwigskathedraleIgnacy“ genannt wurde, an Kraszewskis Romane aus der polnischen Sachsenepoche, an das während seines Berlin-Aufenthaltes entstandene Lied „Eine Wasserfahrt nach Potsdam“ von Moniuszko, oder an die vom polnischen Freiheitskampf beeinflussten Polenlieder, die Lortzing-Oper „Der Pole und sein Kind“, und gar nicht zu reden von den vielen Literaten, die mit ihren Werken im letzten Jahrhundert versuchten, das Denken über den Nachbarn zu verändern.

Mit dem Beitritt Polens zur EU gibt es eine gewisse Zäsur in der Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen. Denn der Prozess des Zusammenwachsens von Europa schafft ebenfalls neue Bedingungen für das nachbarschaftliche Zusammenleben. Die Dimensionen unserer Partnerschaft ändern sich grundlegend. Das sind Herausforderungen, denen wir uns mental und vorausschauend praktisch stellen müssen. Das ist mit Umwälzungen verbunden, die eine ähnliche Wirkung haben werden wie die Erkenntnisse Koperniks in seiner Zeit. Deshalb ist gerade heute neues grenzüberschreitendes Denken gefordert. Dabei spielen die Kultur, der Umgang mit der Geschichte und dem Kulturerbe als „Gedächtnis“ unserer Völker, aber auch als Mittler für ein friedliches und nutzbringendes Miteinander eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kultur kann die Herzen der Menschen öffnen und das Verständnis füreinander fördern.

Das, was jahrzehntelang ins Abseits gestellt und – gewiss nicht unbegründet –vergessen werden sollte, kommt jetzt hervor und wird auf eine neue Weise ins Bewusstsein gerückt. Heute sprechen wir von einem Europa der Regionen, die durch die unmittelbare Zusammenarbeit ihren Menschen neue Perspektiven eröffnen sollen. Damit das möglichst störungsfrei gelingt, ist sicherlich die lückenlose Kenntnis und Akzeptanz der Geschichte, aber auch eine Überprüfung bisher geläufiger Ansichten, um langwirkende Ressentiments abzubauen und so das gemeinsame Beschreiten neuer Wege zu erleichtern, notwendig.

Dazu gehört auch, – als Reflexion zu einem aktuellen Thema – die prinzipielle Zurückweisung der Forderung des Bundes der Vertriebenen, ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin zu schaffen, wie sie von unserer Gesellschaft vertreten wird. Wenn schon ein solches Zentrum errichtet werden soll, dann im europäischen Maßstab und gemäß dem Vorschlag des tschechischen Präsidenten als „Zentrum zur Erforschung der Gründe und Folgen von Kriegen“. So wäre eine ausgewogene Sicht auf diese Problematik besser gewährleistet.

 

Auszüge aus dem Referat von Frau Niedzielska:

„Als Zeuge der feierlichen Begrüßung der Kopernik-Statue im Februar 1852 beschrieb der Gutsbesitzer Natalis Sulerzyski den Verlauf der Feierlichkeiten in den Straßen der Stadt wie folgt: “Als ich in Toruñ war, sah ich um die Mittagszeit auf dem Markt einen großen, von Rauch umwehten feierlichen Umzug. Ich fragte einen mir bekannten Deutschen, was das bedeute. Er antwortete mir, das ist das Kopernik-Denkmal, dieser Rauch kommt von Fackeln. Denn das Denkmal sollte bereits gestern Abend vom Schiff auf der Weichsel hergebracht werden. Da aber der Redner so betrunken war, hat man das Denkmal zurück auf das Schiff gebracht. Heute wollte man nun nicht bis zum Abend warten, damit der Redner seine Rede nüchtern vortragen kann. Da die Fackeln bezahlt waren, wurden sie, obwohl es heller Tag ist, benutzt. So kam die Prozession endlich vor der lutherischen Kirche zum Stehen, wo ein anderer Redner dem großen deutschen Astronomen seine Ehre erwies. Diesen Unsinn wollte ich nicht hören. Ich wartete nur, um aus der Ferne zu sehen, was mit dem Denkmal geschieht. So wurde der katholische Domherr für die Nacht in der lutherischen Kirche untergestellt.” Die Darlegungen Sulerzyskis entbehren nicht einer gewissen Bosheit, da die Frage der Nationalität Koperniks in dieser Zeit ein politischer Streitpunkt war, der Deutsche und Polen trennte, wobei der Autor selbst in diesem deutsch-polnischen Konflikt als prominenter Funktionär der nationalen polnischen Bewegung in Westpreußen einen entschiedenen Standpunkt vertrat.“

 

[Zur Inschrift auf dem Sockel des Denkmals gab es verschiedene Vorschläge:]

Die größte Kontroverse löste ein Vorschlag aus – „Das preußische Vaterland“, bezugnehmend auf das Vaterland Koperniks. Auf diesen nationalen Kontext verwies der aus Wroclaw kommende Astronom Prof. Galle. Ähnlicher Ansicht waren die Mitglieder des Kopernikus-Vereins. Man schloss im Text eine Bezugnahme auf die Nationalität des Astronomen aus, weil das ein ungutes Echo unter den Polen auslösen könnte. Man muss unterstreichen, dass der Verein von Anfang an bezüglich der Nationalität Koperniks eine Entrüstung in der polnischen Gesellschaft vermeiden wollte. Schon die Wahl des Lateinischen für die Sockelinschrift war – unabhängig von der Tendenz in dieser Zeit – bezeichnend und eine gewisse Geste auf die großen wissenschaftlichen Leistungen Koperniks hinzuweisen, unabhängig von seiner Nationalität.“