20 Jahre POLEN
und wir
Verständigung
mit Polen als fortdauernde Aufgabe
Von Wulf Schade
20 Jahre ist es nun her, seitdem die erste Ausgabe von POLEN und wir erschien. 20 Jahre, während der
wir insgesamt mit der vorliegenden Ausgabe 69 Hefte produziert haben. Alle
diese Ausgaben wurden ohne öffentliche Zuschüsse hergestellt, nur von den Beiträgen
der Mitglieder der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik
Deutschland und den Abonnements finanziert. Die Arbeit an dieser Zeitschrift
geschah und geschieht weiterhin weitgehend ehrenamtlich, dasselbe gilt auch für
die Arbeit der Autorinnen und Autoren. Dafür möchten wir an dieser Stelle ganz
herzlich danken! Festzuhalten bleibt auch, dass bis
Ende der 80er Jahre POLEN und wir die
einzige bundesweite Zeitschrift auf dem Feld der deutsch-polnischen Verständigung
war. Erst einige Jahre später kam mit der Zeitschrift Dialog, die mit hohen
Summen aus verschiedenen Ministerien finanziert wird, als offizielles Organ des
sich heute Deutsch-Polnische Gesellschaft Bundesverband e.V. nennenden
Verbandes eine zweite Zeitschrift auf diesem Feld heraus.
Die Herstellung von POLEN und wir ging nicht immer ohne
finanzielle Probleme vonstatten. Die Kosten schienen uns in der Mitte der 90er
Jahre davonzulaufen. 1996 stand unsere Gesellschaft vor der Frage, ob sie sich
diese Zeitschrift noch leisten könne.
Aufgrund der finanziellen Lage
der Gesellschaft musste sie die Herausgabe nach der
Ausgabe Nr. 1 und 2/1996 vorerst einstellen. Nach ausführlicher Diskussion im
Vorstand über die Bedeutung von POLEN und
wir für unsere Gesellschaft wie auch für die an guten Beziehungen mit Polen
interessierten Menschen in Deutschland wurde die weitere Herausgabe der Zeitschrift
beschlossen, sämtliche Kosten wurden überprüft. Durch diese Überprüfung gelang
es, gut ein Drittel der ständig wachsenden Kosten durch ehrenamtliche Arbeit, v.a.
im Lay-out Bereich, aufzufangen. Das neu gebildete
Redaktionsteam nahm die Arbeit mit der Ausgabe 1/1997 in Angriff. Die
Herausgabe dieses Heftes wurde mit einem Spendenaufruf verbunden, der die
Entscheidung des Vorstandes, am Erscheinen der Zeitschrift festzuhalten, voll
bestätigte. Durch die nun eingegangenen Spenden war die Herausgabe von POLEN und wir für die nächste Zukunft
gesichert.
Die nunmehr 20jährige Existenz
von POLEN und wir kann man in drei
Phasen unterteilen. Die erste Phase dauerte von 1984 bis zur Änderung des
politischen Systems 1989/90 und den in diesem Zusammenhang abgeschlossenen
Verträgen zwischen Deutschland und Polen. Die zweite reichte bis zur
Finanzkrise Mitte 1996. In dieser Zeit stand die Entwicklung des neuen Gesellschaftssystems
in Polen und das Verhalten der Bundesregierung demgegenüber im Zentrum. Die
dritte Phase begann 1997 und dauert noch an. Sie setzte neue inhaltliche Schwerpunkte,
v.a. im dokumentarischen Bereich.
Die Inhalte von POLEN und wir standen immer im engsten
Zusammenhang mit der politischen Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen.
Eine zentrale Aufgabe der Zeitschrift sollte es ja sein, die offizielle
deutsche Politik gegenüber Polen zu beobachten und kritisch zu begleiten. Dabei
richtete die Redaktion ihr Hauptaugenmerk auf die ihr für den Frieden in Europa
am wichtigsten erscheinenden Punkte:
· Gegenposition zur
Infragestellung der Oder-Neiße-Grenze und damit der Zugehörigkeit der
ehemaligen deutschen Ostgebiete zu Polen
·
Kritik an der Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Polen durch
die deutsche Politik
· Einspruch gegen falsche
Informationen und die Förderung der Vorurteile gegenüber Polen und seinen
Menschen.
POLEN und wir entstand
in einer Zeit, in der die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP häufig
indirekt die Existenz der Oder-Neiße-Grenze in Frage stellte. Hier seien nur
drei Beispiele genannt
· In der ersten Hälfte der 80er
Jahren gab Innenminister Zimmermann (CSU) eine Anordnung heraus, dass Schreiben von bundesdeutschen Behörden an Behörden
polnischer Städte in den ehemaligen deutschen Ostgebieten nur mit deren
ehemaligen deutschen Namen zu adressieren seien. Selbstverständlich konnte
Polen sich dieses nicht gefallen lassen und sandte diese Briefe als unzustellbar
zurück. Für Personen, die wichtige Urkunden, z.B. Auszüge aus dem Personenstandsregister
für eine Heirat benötigten, hatte das verheerende Folgen.
· Ende der 80er Jahre erhob sich
im nationalkonservativen Lager ein großes Geschrei, als ein Entwurf des neuen
Grundsatzprogramms der CDU von der dauerhaften Existenz der DDR ausging und
damit die polnische Westgrenze festschrieb. Darauf hin wurde der Entwurf zurückgezogen.
· Auf den Jahrestreffen des
Bundes der Vertriebenen (BdV) traten Vertreter der Regierungsparteien auf,
obwohl hier – wie auf den Treffen der Schlesier unter dem Motto „Schlesien
bleibt unser“ - offen die Oder-Neiße-Grenze in Frage gestellt wurde.
Die Bundesregierung nutzte darüber
hinaus die innenpolitischen Probleme der polnischen Volksrepublik aus, Polen in
den Augen der deutschen Bevölkerung herabzuwürdigen und auch so die „deutsche
Frage“ in Bezug auf die Grenze und die polnischen Westgebiete offen zu halten.
Man muss
sich das alles in Erinnerung rufen, wenn man die Ausgaben von POLEN und wir aus
der damaligen Zeit durchblättert. Sie sind geprägt von der Auseinandersetzung
mit diesen revanchistischen Positionen. Natürlich hat sich die Zeitschrift
damit keine neuen Freundinnen und Freunde im Regierungslager verschafft,
allerdings auch nicht immer im Lager der Opposition, die unsere Warnungen
oftmals als übertrieben bezeichnete. Wie richtig jedoch diese waren, zeigte
sich in den Wende-Jahren 1989-1991. Im 10-Punkte-Programm der CDU zur deutschen
Wiedervereinigung war kein Wort über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze
durch das zukünftige Gesamtdeutschland enthalten. Die Regierung musste zur Anerkennung der Grenze durch die Vier Mächte
gezwungen werden, wenn es ihr auch gelang, juristisch fragwürdige
Formulierungen in den Verträgen zu platzieren. Die in
diesen Jahren auf Seminaren unserer Gesellschaft, oftmals in Zusammenarbeit mit
dem Westinstitut in Posen (Instytut Zachodni), verfassten und in
POLEN und wir veröffentlichten oder zusammengefassten
Beiträge, hier seien besonders die Referate von Prof. Dr. Helmut Ridder und Lech Janicki hervorgehoben,
sind heute bedeutende zeitgenössische Dokumente und liefern wichtige Argumentationshilfen
in diesen Fragen.
POLEN und wir versuchte
dem revanchistischen Geist der offiziellen Polenpolitik auch dadurch
entgegenzutreten, dass anlässlich
wichtiger Jahresjubiläen die jüngste polnische Geschichte, v.a. die Verbrechen
Deutschlands gegenüber Polen in die Erinnerung der deutschen Leserinnen und
Leser gerufen wurde. Der vielleicht bedeutendste Beitrag in diesem Zusammenhang
war die Initiierung des anlässlich des 50. Jahrestages
des Überfalls auf Polen herausgegebenen Buches „Wach auf, es ist Krieg, Wie
Polen und Deutsche den 1. September 1939 erlebten“.
Eine andere bedeutende Aufgabe
war das Eintreten für die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter. Zahlreiche Artikel lassen sich zu diesem Problem in dieser Zeit
finden. Im Jahre 1987 ergriff dann unsere Gesellschaft über POLEN und wir eine Initiative, die die
Fraktionen des Bundestages aufforderte, „endlich eine gesetzliche Regelung zu
schaffen, die die Ansprüche aller Opfer des nationalsozialistischen Unrechts
auf Anerkennung und Entschädigung befriedigt“. Zwar unterstützten zahlreiche
Mitglieder anderer deutsch-polnischer Gesellschaften diese Initiative, doch die
Gesellschaften selbst verweigerten sich hier einer Zusammenarbeit.
Politisch erforderte aber nicht
nur die Lage auf bundesdeutscher Seite große Aufmerksamkeit. In Polen
entwickelte sich eine komplizierte Situation durch die Entwicklung der
oppositionellen Solidaritäts-Bewegung. Einige unserer Mitglieder meinten, dass unsere Gesellschaft Partei zugunsten dieser Bewegung
ergreifen müsse. Unsere Gesellschaft jedoch war der festen Überzeugung, dass sie gegenüber den inneren Auseinandersetzungen in
Polen als Organisation keine Partei ergreifen darf! Immer wieder wies sie in
dieser Zeit darauf hin, dass die von bundesdeutscher
Seite am Leben gehaltenen Widersprüche zu Polen nicht aus der Konfrontation zweier
konkurrierender Gesellschaftssysteme resultierten, sondern aus der revanchistischen
Haltung der staatlichen deutschen Politik gegenüber jedem polnischen Staat,
gleichgültig, welche Gesellschaftsordnung er habe. So begrüßte unsere
Gesellschaft weder die Ausrufung des Kriegsrechts als Kampf für Ruhe und
Stabilität eines zerrissenen Landes noch den Kampf der Solidarność
mehr bürgerliche Freiheiten. Die Existenz eines unabhängigen Polen wurde
dagegen ausdrücklich gewürdigt. Dabei konnte es nicht Aufgabe der Gesellschaft
sein, den gesellschaftlich-politischen Charakter dieses neuen Polen zu
verschweigen.
Diese Festlegung der Gesellschaft
bedeutete natürlich nicht, dass die Mitglieder
individuell keine Sympathien mit der einen oder anderen Seite hegten. So wird
aus der Durchsicht von POLEN und wir
deutlich, dass aus Angst um die 40jährige
Friedensperiode in Europa sehr viele Mitglieder und die große Mehrheit des Vorstandes
der sich am bürgerlich-kapitalistischen Westen orientierenden polnischen
Opposition gegenüber skeptisch, ja skeptisch gegenüberstand oder sie direkt ablehnten.
Deutlich wurde das nicht zuletzt an der Zustimmung zu den „Briefen aus Polen“,
deren Autor die politische Opposition in Polen arrogant und undifferenziert
ablehnte.
Auf der anderen Seite kamen in
POLEN und wir aber auch diejenigen zu
Wort, die die Opposition sehr viel differenzierter betrachteten und mit Teilen
von ihnen sympathisierten. So wurde der Offene Brief von DDR-Oppositionellen
gegen die antipolnische Hetze in der DDR genauso abgedruckt, wie Leserbriefe
gegen die „Briefe aus Polen“ oder auch Artikel, die die Ansichten verschiedener
polnischer Oppositionsgruppen objektiv darzustellen versuchten. Damit wurde
denn auch das eingelöst, was der Vorstand im Geleitwort der ersten Ausgabe von
POLEN und wir schrieb, dass er sich durch die Zeitschrift „auch inhaltliche
Bereicherungen (erhofft), die nicht zuletzt vermehrter Transparenz des „Innenlebens“
unserer Gesellschaft zugute kommen sollen.“
Nicht minder bedeutend war neben
der Beobachtung und Kommentierung der politischen Aspekte dieser Zeit die
Notierung und Darstellung des kulturellen Austausches und der kulturellen
Errungenschaften Polens. Dabei fanden sowohl direkte Begegnungen der Menschen
beider Länder, von Institutionen wie Schulen und Städten, die zeitgenössische
Kunst wie auch das kulturelle Erbe seinen Niederschlag in den Beiträgen. Diesem
im breiten Sinne verstandene kulturellen Bereich mangelte es aber leider, v.a. bezüglich
der Theater, Film und Musikkultur in Polen, wie damals noch heute an
kompetenten Autorinnen und Autoren. Nur vereinzelt gelang es der Redaktion, auf
der Höhe der zeit zu sein.
Wenn man nun kritisch die erste Phase, die ungefähr bis zum Abschluss des Grenzvertrages zwischen dem nun wiedervereinigten Deutschland und Polen 1990 und dem Vertrag über gute Nachbarschaft mit Polen 1991 reicht, betrachtet, muss man feststellen, dass POLEN und wir die Gratwanderung zwischen Parteilichkeit für die Aussöhnung mit Polen und die Neutralität gegenüber den inneren Problemen Polens erfolgreich gemeistert hat. Dabei hat die Zeitschrift sowohl die für die Aussöhnung beider Länder positiven Äußerungen aus der bundesdeutschen Opposition, v.a. aus den Reihen der SPD, wie auch Fortschritte in den deutsch-polnischen Beziehungen aufgegriffen und dokumentiert, auch wenn sie längst nicht immer so eindeutig positiv waren, wie es die offizielle Politik gerne weismachen wollte. Unsere Gesellschaft hat sich dabei aber nicht gescheut, immer wieder die Defizite auch und gerade im Zusammenhang mit den oben angeführten Verträgen aufzuzeigen und deren Abbau einzufordern. Das war bei Leibe nicht immer leicht, denn auch viele unserer Mitglieder hielten die Kritik oftmals für kleinlich und zu theoretisch. Wie berechtigt diese Kritik jedoch war, sehen diese Mitglieder – und nicht nur sie - aktuell bei der Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen...
Wird fortgesetzt