Erika Steinbach fordert Zensur

Unter dieser Überschrift auf ihrer Titelseite weist die Krakauer Wochenzeitschrift “Tygodnik Powszechny” in ihrer Ausgabe vom 22. Februar 2004 auf einen Prozess in Hamburg gegen die deutsche Journalistin Gabriele Lesser hin. Ihr wird vorgeworfen, dem Bund der Vertriebenen die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen dem in Berlin angestrebten Bau eines "Zentrums gegen Vertreibungen" und dem dort sich in Bau befindenden "Holocaust-Denkmal" zuzuschreiben und so die Idee des "Zentrums" zu diskreditieren. Mit dem Prozess gegen Gabriele Lesser soll versucht werden, eine unabhängige und kritische Journalistin, die sich durch ihre äußerst fundierte und sachliche Berichterstattung über die deutsch-polnischen Beziehungen wie auch als scharfzüngige Kritikerin einen guten Ruf sowohl in Polen wie in Deutschland erworben hat, mundtod zu machen. POLEN und wir erklärt sich mit Gabriela Lesser vollständig solidarisch. Mit Freude haben wir von dem in Tygodnik Powszechny erschienen Offenen Brief zur Unterstützung von Gabriele Lesser  Kenntnis erhalten, der von namhaften Persönlichkeiten aus Polen unterzeichnet worden ist. Wir drucken ihn hier in einer deutschen Übersetzung ab.

 

Offener Brief: Solidarität mit Gabriele Lesser

Die deutsch-polnische Diskussion um das „Zentrum gegen Vertreibungen“ währt schon ein paar Jahre. In diesem Meinungsstreit fehlte es nicht an kritischen Stimmen und scharfen, zum Teil ungerechten Formulierungen. Bislang verfiel aber keiner der Wortführer auf die Idee, zur Durchsetzung seiner Argumente einen Gerichtsprozess anzustrengen.

Daher hat uns die Nachricht erstaunt und empört, dass der Bund der Vertriebenen (BdV) und seine Vorsitzende Erika Steinbach die in Warschau lebende Korrespondentin Gabriele Lesser gerichtlich belangen wollen. Die Journalistin, die der Idee eines „Zentrums gegen Vertreibungen“ kritisch gegenübersteht, hatte in der deutschen Presse auch den polnischen Standpunkt dargestellt und vertreten.

Nachdem wir die Vorwürfe gegen Gabriele Lesser kennen gelernt haben, können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass das eigentliche Anliegen Erika Steinbachs und des Bundes der Vertriebenen darin besteht, an Gabriele Lesser ein Exempel zu statuieren: nicht nur ihr soll der Mund verboten werden, sondern allen potentiellen Kritikern, die einen Zusammenhang zwischen dem Holocaust-Mahnmal in Berlin und dem ebenfalls in Berlin geplanten „Zentrum gegen Vertreibungen“ sehen wollen, und die der Meinung sind, dass der Bund der Vertriebenen zunächst seine eigene Rolle in den deutsch-polnischen Beziehungen kritisch überprüfen sollte.

Wenn also Erika Steinbach darauf besteht, Gabriele Lesser vor Gericht zu bringen, soll sie den Mut haben, auch uns zu verklagen. Denn auch wir stehen den BdV-Aktivitäten, die die deutsch-polnischen Beziehungen in zunehmendem Maße schädigen, sehr kritisch gegenüber.

Władysław Bartoszewski, Vorsitzender des Internationalen Auschwitz-Rates und eh. Auschwitz-Häftling, Außenminister a.D. der Republik Polen; Marek Beylin, Leiter des Ressorts Meinung der Tageszeitung „Gazeta Wyborcza”; Pater Adam Boniecki, Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny”; Włodzimierz Borodziej, Historiker, Professoer an der Universität Warschau; Marcin Bosacki, Leiter des Ressorts Ausland der „Gazeta Wyborcza”; Piotr Buras, Publizist, wiss. Mitarbeiter am Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften; Krzysztof Burnetko, Leiter des Ressorts Politik der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny”; Marek A. Cichocki, wiss. Direktor des Zentrums für Internationale Beziehungen, Warschau; Marek Edelman, letzter noch lebender Kommandant des Warschauer Ghetto-Aufstands im Frühjahr 1943; Pater Marek Gancarczyk, Chefredakteur der katholischen Wochenzeitung „Gość Niedzielny”, Kattowitz; Konstanty Gebert, Publizist, Gründer der jüdischen Monatszeitschrift „Midrasz“; Bronislaw Geremek, Außenminister a.D. der Republik Polen; Jaroslaw Gowin, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Znak“, Rektor der Europäischen Jozef-Tischner-Hochschule Krakau; Jerzy Haszczyński, Leiter des Ressorts Ausland der Tageszeitung „Rzeczpospolita”; Józefa Hennelowa, stellv. Chefredakteurin der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“; Jerzy Holzer, Historiker, Direktor des Instituts für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften; Jerzy Kranz, Botschafter a.D. der Republik Polen in Berlin, stellv. Außenminister a.D. der Republik Polen; Zdzisław Krasnodębski, Publizist, Professor an der Kardinal-Wyszyński-Universität Warschau und an der Universität Bremen; Marcin Król, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Res Publica Nowa”, Professor an der Universität Warschau; Adam Krzemiński, Publizist des Nachrichtenmagazins „Polityka”; Maciej Łukasiewicz, Chefredakteur der „Rzeczpospolita”, Warschau; Tadeusz Mazowiecki, erster nicht-kommunistischer Ministerpräsident Polens nach 1989; ehemaliger Chefredakteur der Monatszeitschrift „Więź“; Adam Michnik, Chefredakteur der „Gazeta Wyborcza“, Warschau; Zbigniew Nosowski, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Więź“, Warschau; Rafał Pankowski, Chefredakteur der Monatszeitschrift „Nigdy Wiecej” [Nie wieder], Warschau; Piotr Paziński, Chefredakteur der jüdischen Monatszeitschrift „Midrasz“, Warschau; Wojciech Pięciak, Redakteur der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny”; Janusz Reiter, Präsident des Zentrums für Internationale Beziehungen, Warschau; Sławomir Sierakowski, Chefredakteur der Zeitschrift „Krytyka Polityczna”, Warschau; Adam Szostkiewicz, Redakteur des Nachrichtenmagazins „Polityka”; Bella Szwarcman-Czarnota, Redakteurin der jüdischen Monatszeitschrift „Midrasz”; Roza Thun, Präsidentin der Polnischen Schuman-Stiftung; Wojciech Wieczorek, eh. Chefredakteur der Monatszeitschrift „Więź“, erster nicht-kommunistischer Botschafter der Republik Polen in Ost-Berlin (1990); Stefan Wilkanowicz, stellv. Vorsitzender des Internationalen Auschwitz-Rates, eh. Chefredakteur der Monatszeitschrift „Znak“; Anna Wolff-Powęska, Direktorin des West-Instituts, Posen; Jacek Wożniakowski, eh. Präsident des Verlags „Znak”, Professor an der Katholischen Universität Lublin; Danuta Zagrodzka, Publizistin der „Gazeta Wyborcza”; Juliusz Zychowicz, Übersetzer, seit den 60-er Jahren ehrenamtlicher Mitarbeiter der Aktion Sühnezeichen in Polen.

(Übersetzung aus dem Polnischen von “Tygodnik Powszechny”)