Stolpersteine - Ein Mann gibt nicht auf

Von Heiner Lichtenstein

Anfangs sah man ihn nur in Köln: Einen Mann mit Schlapphut, der irgendwo in der Stadt auf dem Bürgersteig kniet und herumfuhrwerkt. War er wieder verschwunden, hatte die Stadt einen Erinnerungsstein mehr. Gunter Demnig heißt er, der 1946 in Berlin geboren wurde und seit 1985 in Köln als Graphiker arbeitet. Am Rhein entstand auch die Idee mit den Steinen. Das war 1990 während einer Gedenkstunde zum 30. Jahrestag des Beginns der Deportation von 1.000 Sinti und Roma aus Köln in die Lager im Osten. Demnig legte damals eine breite Kreidespur vom Dom im Herzen der Stadt über eine Rheinbrücke auf die andere See des Stroms zu den Messehallen. Dorthin hatten die Opfer kommen müssen, dort standen die Deportationszüge. Die Kreidespur war bald verschwunden, doch die Erinnerung blieb, auch deshalb, weil die Stadt ihm erlaubte, 21 Tafeln mit Hinweis auf die Verschleppung ins Pflaster einzulassen. Eine liegt am Rande der Domplatte - ein Platz, den jeder Tourist auf dem Weg vom Hauptbahnhof in die City überquert - und das sind viele.

 

Damals kam Demnig die Idee, dort Steine zu verlegen, wo NS-Opfer gelebt haben - selbstverständlich Juden, aber auch Sinti und Roma, politisch und religiös Verfolgte, Opfer der Euthanasie-Morde u.a.m. Um die Öffentlichkeit mit seinen Plänen vertraut zu machen, zeigte er die ersten 250 Steine in der evangelischen Antoniter-Kirche mitten in Köln: 10 mal 10 cm große Steine mit den Namen und - somit rekonstruierbar - Lebensdaten der Opfer, die Domnig in ebenso große Messingplatten graviert. Es sind also keine Grabsteine, auf die man nicht treten darf, sondern Steine, über die Menschen im Sinn des Wortes stolpern, innehalten, sich erinnern sollen. Die Patenschaft für einen Stein kostet 95,00 Euro. Dabei legen der Künstler und seine Helfer wert darauf, dass die Steine betreten werden, weil sie dadurch blank bleiben und man den Text leicht lesen kann. In Köln liegen inzwischen mehr als 1.200 Steine vor etwa 250 Häusern, denn wenn in einem Haus mehrere Opfer gelebt haben, bekommt selbstverständlich jedes seinen Stein und dadurch seine Identität zurück.

Um auf ihre Spur zu kommen, ist Demnig um die Hilfe vor Ort angewiesen. Den Kontakt sucht freilich nicht Demnig selbst. Die Initiative geht von den Orten aus, wo Menschen gegen das Vergessen arbeiten. Sie suchen zunächst in ihrer Stadt, in ihrem Dorf Namen und ehemalige Anschriften der Verschleppten, danach bemühen sie sich um die Genehmigung der örtlichen Verwaltung und dann erst fragen sie den Kölner, ob er zu ihnen kommen könne. Bisher hat er es stets einzurichten vermocht.

Mittlerweile gibt es Stolpersteine u. a. in Berlin, in Hamburg, in Freiburg/Brsg., in Erkelenz und Euskirchen zwischen Köln und Aachen, in Leverkusen, Bonn, Opladen, Bünde, Neustadt an der Weinstraße, Duisburg, Düsseldorf, Essen, Münster in Westfalen und seit kurzem auch in Zwickau, der Heimat der Gründer des großen jüdischen Kaufhauskonzerns Schocken. In all diesen Städten existieren Vereine, die unserer Geschichte nicht ausweichen, im Gegenteil sie wach halten oder wieder in Erinnerung bringen wollen. In Münster, wo Demnig Anfang des Jahres die ersten Steine gelegt hat, war es der Verein „Spuren finden”, dessen Schirmherren Paul Spiegel, der Präsident des „Zentralrats der Juden in Deutschland“, und Regierungspräsident Jörg Twenhövel sind. Schülerinnen eines Gymnasiums haben in Münster spontan mehr als 400,00 Euro für Demnig und seine Arbeit gesammelt. In Zwickau war es vor vier Jahren eine Lehrerin, die sich mit Schülerinnen und Schülern zwischen 14 und 17 Jahren auf Spurensuche begab. Es war 1906, als die Brüder Salman und Simon Schocken beschlossen, in dieser sächsischen Industriestadt ein Kaufhaus zu gründen. Ihr soziales Engagement besonders für sozial Schwache wurde in ganz Sachsen bald zu einem festen Begriff. Sie bauten Sozialwohnungen, zahlten Urlaubs- und Weihnachtsgeld, legten Pensionskassen für ihre Rentner an u.a.m. 1938 konnten sie gerade noch rechtzeitig in die USA fliehen. Die ersten Steine bekamen in Zwickau die Brüder Schocken. In diesem Jahr soll es weitere14 Steine geben. So ist es auch in Münster, was Monika Simonsmeier vom Verein „Spuren finden“ jüngst während einer Pressekonferenz bekannt gab.

Günther Demnigs Stolpersteine sind inzwischen über Deutschland hinaus bekannt geworden. Schließlich gibt es in allen von den Nazis okkupierten Staaten Opfer, die ohne Spuren im Holocaust verschwunden sind und deren Namen erst nach und nach oft mühsam gesucht werden müssen. Anfragen gibt es derzeit aus Amsterdam und Antwerpen, Kontakte bestehen zu Mailand, Paris und  Saloniki, einer der ehedem größten jüdischen Gemeinden weltweit. Mindestens 43.850 Juden haben die Nazis 1943 von dort nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo die meisten sofort in die Gaskammern gejagt wurden. Demnig freut sich über das große Interesse im In- und Ausland und würde sein Projekt gern europaweit ausdehnen. Über die Anfänge der Stolpersteine hat die Kölner Journalistin Kirstin Serup-Bilfeld das Buch „Stolpersteine - Vergessene Spuren, verwehte Spuren“ geschrieben.

 

Demnigs Anschrift: Richard Wagner Straße 16, 50674 Köln, Tel: 0221/25 14 89