Mut zur Erinnerung

Von Johannes Grabler

 

Die Gemeinde Affing (bei Augsburg) hält die Erinnerung an einen Zwangsarbeiter lebendig. Das Engagement eines Studenten brachte die Menschen der Ortschaft schließlich zum Umdenken. Heute fühlen sich  die Gemeinde Affing im Kreis Aichach-Friedberg und die polnische Ortschaft Lobez partnerschaftlich und freundschaftlich verbunden.

 

Völlig abgemagert stand er im Hof. Dann lief er vor einem Ochsengespann her, die Hände zusammengebunden. Es war der letzte Weg des 21-jährigen Michael Kwik. Im Hölzle, einem Waldstück zwischen Affing und Miedering, wartete der Strick auf den polnischen Zwangsarbeiter, der auf einem Bauernhof beschäftigt gewesen war.

Auf dem Ochsenwagen wurde schon der Sarg transportiert, in den der Leichnam später hineingeworfen wurde. Das “Verbrechen”, für das der junge Pole mit seinem Leben bezahlen musste: Er hatte bei einer Rangelei die Uniform eines Wehrmachtsangehörigen beschädigt. Da war es unerheblich, dass der Dorfbursche auf Heimaturlaub und ein Kumpan Kwik zuvor provoziert, ihn gehänselt, verlacht und mit harten Schneebällen beworfen hatten. In seiner Kaserne meldete der Soldat den Vorfall, wenig später standen Männer aus Aulzhausen und Polizisten auf dem Hof des Bauern, für den Kwik arbeitete. Der Pole wurde abgeführt und im niederbayerischen Moosburg inhaftiert. Acht Wochen später kehrte er zurück - grün und blau geschlagen und völlig “entstellt”. Polnische Zwangsarbeiter aus der Umgebung mussten als Augenzeugen im Februar 1944 Kwiks Exekution beiwohnen. Dann wurde der Mann nahe dem Aulzhauser Kirchturm vergraben.

Ein halbes Jahrhundert später sollte das Polengrab, wie es in Affing hieß, sang- und klanglos verschwinden. Auf dem Dorffriedhof wurde Platz gebraucht. Niemand war da, der für den Begräbnisplatz zahlte. Einige aber waren nicht einverstanden, “dass man den Ärmsten das Grab auch noch nimmt”. Johannes Grabler machte “Das Schicksal eines Zwangsarbeiters in Aulzhausen” zum Thema seiner gleichnamigen Studienarbeit an der Universität in Eichstätt. Damit gelang es dem Studenten, die Bewohner seines Dorfes für ein Stück Geschichte zu interessieren, das sich vor ihrer Haustür abgespielt hatte und dessen Spuren zu verblassen drohten. Intensive Recherchen führten Grabler ins polnische Lobez, eine 15.000-Einwohner-Stadt im Bezirk Szczeciń, etwa 60 Kilometer von der Ostsee entfernt. Dort lebten die Schwestern von Michael Kwik. Sie haben nun ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Bruders Gewissheit über dessen Schicksal. Doch damit nicht genug: Grabler fertigte ein schmiedeeisernes Kreuz, das auf dem Gottesacker aufgestellt wurde. “Kein Zeichen der Schuldigkeit”, wie der damalige Student in einem Schreiben an den Gemeinderat vor elf Jahren betonte: “Ein Zeichen des Friedens mit Michael, seinen Angehörigen und dem polnischen Volk.” Das Gedenkkreuz sollte der Anfang einer Freundschaft zwischen den Gemeinden werden.

Die offizielle Gemeindepartnerschaft zwischen Affing und Lobez wurde vor fünf Jahren besiegelt und wird seither gelebt. Stadtkapelle, Tanzgruppen, Fußballer, Politiker, Schüler - die Affinger kennen durch regelmäßige Besuche ihre polnischen Freunde und Partner und schätzen die Gastfreundschaft der Polen. Aus dem Mut zur Erinnerung ist eine deutsch- polnische Freundschaft entstanden.  

 

 

AUSSTELLUNG

"Polen-Kunst-Europa" im Forum der Haller Bausparkasse

Am 13.5.2004 ist im Forum der Bausparkasse Schwäbisch Hall die eigens für diesen Anlass konzipierte Ausstellung "Polen - Kunst - Europa" eröffnet worden. Die bekanntesten Gegenwartskünstler Polens, Tamara Berdowska, Zbigniew Salaj, Marcin Berdyszak und dessen Vater Jan Berdyszak, Professor an der Kunstakademie Posen, präsentieren Zeichnungen, Skulpturen und Installationen. Darunter auch eine Glas-Holz-Skulptur, die speziell für das Haller Ereignis geschaffen wurde. Die Ausstellung wird man bis zum 27. August in den Räumen der BSH jeweils Montag bis Freitag von 8 bis 20 Uhr besichtigen können

Im hinteren Teil der Ausstellung steht ein umgittertes Metallobjekt in der Größe einer Tischtennisplatte, das die Besucher magisch anzieht. Auf der Fläche liegen nachgebildete Früchte - Äpfel, Zitronen, Bananen. Wobei die Bananen schwarz, also "verdorben" sind. Mit einer Fernbedienung lässt sich die Fläche heben und senken. Wie an einem Plüschtier-Automaten am Eingang eines Supermarktes wird da am Werk namens "Artificial Instinct" gespielt.

Ob Marcin Berdyszak, einer der vier polnischen Künstler, solche Reaktionen

auslösen will, sei dahingestellt. Er schafft es jedenfalls, den Betrachter zu vereinnahmen - auch mit seinen vor Angst zitternden Früchten ("Still life with fear").

Weniger plakativ sind die Exponate von Tamara Berdowska, der einzigen Künstlerin, die zur Vernissage selbst anwesend war. Sie arbeitet mit Öl auf Leinwand, entwickelt aber eine Technik, die ihre Werke dreidimensional wirken lässt. Eigens für das Forum der Bausparkasse entwickelte Jan Berdyszak, Vater von Marcin Berdyszak, eine riesige Bodeninstallation aus Glasplatten, die im Rahmen seines "Passe-Par-Tout"-Zyklus entstand. Damit schafft er es, das Nichts eines schlichten Bilderrahmens deutlich zu überhöhen.

Zbigniew Salaj hantiert mit Wasser und Papier. Besonders seine Papier-Objekte (die angefasst werden dürfen), entfalten durch das Fühlen ihre Magie - mal hart, mal flauschig.

haku.