Deutsche Kriegsgefangene in Polen

Ein besonderes Kapitel deutsch-polnischer Beziehungen wird dokumentiert

Von Harri Czepuck

 

Der in Osnabrück ansässige fibre-Verlag, der mittel- und osteuropäische Sachliteratur herausgibt, hat eine umfangreiche Arbeit des verhältnismäßig jungen polnischen Historikers Jerzy Kochanowski (Jahrgang 1960) über die deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges in Polen herausgebracht. Im polnischen Original lag die Arbeit bereits seit 2001 vor, verlegt bei Neriton Warschau, mit finanzieller Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bei fibre erschien das umfangreiche Werk (521 Seiten mit zahlreichen Annexes) mit Unterstützung des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, bei dem Kochanowski beschäftigt ist.

 

Das Verdienst von Kochanowski besteht darin, dass ein polnischer Autor bemüht ist, eine sachliche Darstellung abzuliefern, was trotz umfangreicher Literatur zum Thema “Deutsche Kriegsgefangene” im allgemeinen speziell für die polnische Gewahrsamsmacht so umfassend  noch nicht behandelt wurde. Über die 40.000 deutschen Kriegsgefangenen in Polen (Kochanowski nennt die Zahl 50.000 und kommt deshalb bei seiner Endabrechnung nicht ganz zu Rande), in dem Land, das als erstes von den deutschen Faschisten mit blutigem Krieg und barbarischer Okkupation überzogen wurde, gibt es nun zum ersten Mal den Versuch einer wissenschaftlichen Untersuchung über die Lagerzeit zwischen 1945 und 1950. Schade, dass die ansonsten sehr gründliche Arbeit offenbar von den Sponsoren beeinflusst und besonders in der deutschen Übersetzung (von Jan Obermaier besorgt) noch ein wenig von der Atmosphäre des Kalten Krieges geprägt wird, besonders dort, wo es um die manchmal nicht einfache Situation von ehemaligen deutschen Soldaten in den ersten Nachkriegsjahren gerade in diesem Lande ging.

Möglicherweise hatten manche deutsche Kriegsgefangene in amerikanischer Gefangenschaft ein besseres Los gezogen. Aber man soll doch nicht vergessen, unter welchen Umständen die Gewahrsamsmächte die deutschen Soldaten hinter Stacheldraht brachten. Trotzdem ist das Schicksal Hunderttausender, die auf den Rheinwiesen zwischen Remagen und Kreuznach unter amerikanischer Aufsicht elendiglich umkamen, immer noch ungeklärt. Dass deutsche Soldaten, die in französischer Kriegsgefangenschaft waren, unter ähnlich harten Umständen in den Kohlengruben arbeiten mussten wie in Polen, ist nun mal durch Zeitzeugen belegt.

Natürlich kann man sagen, dies sei nicht Sache des polnischen Autors bzw. der Institutionen, die hinter ihm stehen, dann aber muss man das konsequent tun, und darf gar nicht erst solche Vergleiche ins Spiel bringen. Wenn schon Vergleiche, dann wäre es in dem Falle besser gewesen, man hätte das Schicksal polnischer Kriegsgefangener in deutscher mit dem der deutschen in polnischer Hand verglichen. 

Das gleiche gilt übrigens für das Thema Reeducation. Im Westen diente sie der „demokratischen Umerziehung“. Im Osten – so wird behauptet - der kommunistischen Indoktrination. Man kann sich des antikommunistischen Nachtretens, das in der Geschichtsschreibung üblich geworden ist, nicht enthalten. Letztlich hing auch die Behandlung deutscher Kriegsgefangener ab 1946 vor allem in britischen und amerikanischen Lagern nicht zuletzt damit zusammen, dass schon bald nach dem Kriegsende der Gedanke aufkam, im Kampf gegen den Bolschewismus die „deutschen militärischen Erfahrungen“ in der West-Ost-Auseinandersetzung  zu nutzen.    

Freilich sind manche allzu schlichten Vergleiche, Gefangenschaft West ist angenehmer, Gefangenschaft Ost ist schlimmer, oder die Charakterisierungen der Gewahrsamsmächte, auch ein wenig der deutschen Übersetzung geschuldet. Da gibt es Einfügungen oder Weglassungen oder auch sprachliche Interpretationen, die die Absichten der Herausgeber deutlich machen.

Auch ist Kochanowski manchmal im Original ein wenig zu „selbstkritisch“ mit seinen polnischen Landsleuten umgegangen, weil auch er die eigentliche Ursache der Anwesenheit deutscher Kriegsgefangener in Polen, nämlich den Überfall von 1939 und das Wüten der Wehrmacht in seinem Lande völlig unerwähnt lässt, was manche Reaktionen der polnischen Kriegsgeneration nach dem Kriege, die deutsche Kriegsgefangenen auszuhalten hatten, erklären würde. Dort, wo er Versuche unternahm, das Verhalten von Gewahrsamsmacht und Kriegsgefangenen historisch darzustellen, in dem er in einem ganzen Kapitel bis in die Antike zurückgeht, lässt das die deutsche Übersetzung einfach weg.

Auch das Kapitel über die Selbstverwaltung, einer natürlich antifaschistischen Einrichtung, das der Rezensent als damals Beteiligter oder Betroffener vielleicht in anderem Zusammenhang sieht als ein junger Geschichtsforscher, der im Nachhinein die Aktenlage erkundet, erfuhr eine manchmal sehr interpretierbare deutsche Übersetzung. Deshalb kommt es zum Beispiel in diesem Kapitel, über die Versuche der Selbstverwaltung für eine wirkliche deutsch-polnische Versöhnung durch einen Lehr- und Lernprozess beizutragen, immer wieder zu etwas ideologisch abwertenden Einschätzungen. Es gerät zu sehr in den Bereich des Kalten Krieges aus der Sicht der späten Sieger.

Besonders deutlich wird das bei der Schilderung einiger Vorgänge im Offizierslager Sikawa bei Łódź (S. 329). Während Kochanowski  die antifaschistische Arbeit in diesem Lager versucht, anhand von Dokumenten sachlich darzustellen (Poln. Originalfassung S. 298/99), fügt die deutsche Übersetzung abwertende Floskeln hinzu (z.B. „propagandistische Verwertbarkeit“ statt „Erfolg der Bemühungen“   S. 329 dt. bzw. S. 299 poln.). Ähnliches gilt für die Darstellung des Schicksals des

ehemaligen Wehrmachtsgenerals Hans von Rohr, der wegen Befehlsverweigerung, ein polnisches Dorf niederzubrennen, von dem berüchtigten Feldmarschall Schörner degradiert wurde und vom Polnischen Staatsrat während seiner Gefangenschaft wieder in seinen alten Rang eingesetzt wurde. Von Rohr wird es angekreidet, dass er sich nach seiner Heimkehr als „ein leidenschaftlicher Anhänger der polnisch-deutschen Verständigung“ einsetzte. (Hans von Rohr war bekanntlich Mitbegründer und erster Vorsitzender der Hellmut-von-Gerlach- Gesellschaft in der Bundesrepublik, dem Vorläufer unserer Deutsch-Polnischen Gesellschaft e.V.)       

Wenn das Bemühen Kochanowskis deutlich wird, Verständnis für beide Seiten zu wecken, so setzt das Erscheinen dieses Werkes in deutscher Sprache, auch was den Zeitpunkt anlangt, einige Fragzeichen für die Absicht der Herausgeber. Es scheint kein Zufall zu sein, dass dieses Thema, nach über einem halben Jahrhundert jetzt in Deutschland auf den Büchertisch kommt, da auch die Vertriebenenverbände Wiedergutmachungsansprüche an die von ihnen mitzuverantwortende Geschichte stellen..

Jerzy Kochanowski, In polnischer Gefangenschaft, fibre Verlag Osnabrück 2004, ISBN 3-929759-62-4,  37,80€