Seit etwa 30 Jahren pflege ich herzliche Beziehungen zu Freunden
in Krakau, in Kroœcienko, einem Dorf am
Dunajec, sowie auch noch in anderen polnischen Ortschaften. Diese
Freundschaften nahmen ihren Anfang, als ich 1974 das erste Mal nach Polen fuhr,
als Gruppen- und Delegationsleiter einer Kindergruppe, die in ein polnisches
Kinderferienlager eingeladen worden war. Zwischen meinem damaligen Betrieb, dem
Kabelwerk Oberspree in Berlin– Oberschöneweide, und dem polnischen
Partnerbetrieb in Krakau war damals der Austausch von Kindergruppen beschlossen
worden. Ich habe dann 18 mal Kinder nach Polen begleitet! Die beinahe
unzähligen Erinnerungen und Erfahrungen möchte ich nicht missen!
Nach der Wende habe ich immer
wieder gehört, dass wir DDR-Leute gar keine echte Freundschaft mit polnischen
Bürgern hätten haben können, weil diese Freundschaft verordnet und
reglementiert worden wäre. Das stimmt nicht. - Eine verordnete Freundschaft hätte
nicht lange gehalten. Zweifellos war die offizielle Freundschaft zu Polen eine
ideologisch gewollte und brachte genügend Phrasenhaftes hervor.
Meine Erfahrungen hingegen waren
ganz andere. Aus der Vielzahl dessen, was ich mit den deutschen und polnischen
Kindern und Erwachsenen erlebt habe und bis heute erlebe, möchte ich zwei
Begebenheiten herausgreifen. Sie sind mir in besonderer Erinnerung geblieben.
Es war 1974, als ich das erste
Mal mit einer Jungengruppe zu Gast in einem polnischen Kinderferienlager war.
Auch für die polnischen Gastgeber in Roków bei Wadowice war es das erste Mal,
dass deutsche Kinder den Sommer gemeinsam mit polnischen Kindern verbrachten.
Wir hatten einen Dolmetscher, denn ich konnte (noch) kein Polnisch. Nach
anfänglichen „Schnuppertagen“ und
„Erkundungstests“ bahnten sich ganz schnell freundschaftliche Beziehungen an,
viel rascher und unkomplizierter, als
ich gedacht hätte. Sport und Spiel, Tanzabende und Ausflüge standen für die
polnischen Kinder und unsere Kinder gleichermaßen auf dem Programm. Alles wurde
zusammen unternommen.
Das fanden meine Jungen „urst“,
wie sie damals ihre Begeisterung auszudrücken pflegten. Ohne dass ich meine
Jungs zur Mitarbeit hätte überreden müssen, halfen sie in der Küche beim
Kartoffelschälen und Gemüseputzen, beim Abwaschen und Ausfegen.
Wir gingen zum Baden oft zu einem nahe gelegenen
Gebirgsfluss und kamen dabei an einem Bauerngehöft vorbei. Die Jungs sahen, wie
sich der alte Bauer mit der veralteten Erntetechnik abmühte. Die Ernte sollte
in diesen Tagen geborgen werden. Einige Jungs machten zu meiner Überraschung
den Vorschlag, dem Bauern zu helfen. Städter bei der Landarbeit- ob das wohl
gelingen würde? Die Kinder ließen nicht locker. Also stattete ich dem Bauern
erst einmal einen Besuch ab und fragte ihn mit meinen spärlichen
Polnischkenntnissen, ob er unsere Hilfe überhaupt gebrauchen könnte. Er sah
mich zugegebenermaßen skeptisch an. Doch dann sagte er „zobaczymy“, nun, wir
werden ja sehen... Gleich am nächsten Tag trabten wir los; auf dem Gehöft
erwartete man uns schon. Der Bauer erklärte, was zu tun sei, und los ging es.
Die Jungen stellten sich geschickt an und arbeiteten fleißig mehrere Stunden
lang, bis die Arbeit tatsächlich erledigt war. Die Kinder wuschen und zogen sich um und nahmen stolz und
hungrig schließlich unter einer großen Kastanie an einem langen Holztisch
Platz. Die Bäuerin verwöhnte uns Erntehelfer mit verschiedenen Köstlichkeiten;
die Jungs langten nach der Arbeit kräftig zu. Die Stimmung war unglaublich
schön, genau wie das Wetter. Dann verabschiedeten wir uns; der Bauer bedankte
sich vielmals für die Hilfe und wir für die rustikale Mahlzeit. „War jut, wa,
Arno?“, sagten die Jungs auf dem Weg zurück ins Kinderferienlager.
Einige Jahre später, wieder in
Roków, war ich mit vier Kindergruppen zu Gast im polnischen Kinderferienlager.
Eines Tages fragte mich die polnische Leiterin, ob wir die KZ- Gedenkstätte
Auschwitz-Birkenau besuchen wollten. Ich gab diese Anfrage an meine
Gruppenleiterinnen und Gruppenleiter weiter. Wir kamen überein, dass wir vor
dem Besuch dieser Gedenkstätte unbedingt mit den Kindern sprechen müssten, über den Faschismus in Deutschland und über
das Konzentrationslager Auschwitz. Das taten wir und bemühten uns, dabei nicht
ins Dozieren zu verfallen. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass unsere
Kinder nicht sehr viel über diese Zeit wussten! Wir stellten es den Kindern nach dieser Geschichtsstunde frei,
sich für diese Exkursion zu entscheiden oder von ihr Abstand zu nehmen. Nur die
jüngsten Kinder nahmen an der Exkursion nicht teil; alle anderen hatten sich
entschieden, gemeinsam mit den polnischen Kindern die Gedenkstätte zu besuchen.
Als wir am Eingang des Geländes standen, brachte mir einer meiner Jungen ein
Portemonnaie voller Zloty. Das Geld hatten die Kinder, ohne dass wir davon
wussten, gesammelt- für Blumen. Wir Erwachsenen waren beeindruckt... Nach der
Exkursion sprachen wir mit den Kindern sehr sehr lange über das Gesehene. Die
Kinder waren emotional aufgewühlt und
hatten viele Fragen. Auch
mit den polnischen erwachsenen
Freunden haben wir uns zusammen gesetzt, um über den Krieg, das
Konzentrationslager und die Situation in unseren beiden Ländern nach dem Krieg
zu sprechen.
Immer wenn es Zeit war, wieder
nach Hause zu fahren, gab es bei den Kindern Tränen. Ich konnte das gut
verstehen. Auch uns Erwachsenen fiel der Abschied nicht leicht. Am
Abschiedslagerfeuer bekamen alle Kindergruppen Ehrennamen; das war immer ein
besonders schönes und fröhliches Ereignis. Ich weiß von vielen der damaligen
Berliner Kinder, dass sie noch heute, nach vielen Jahren, Kontakt zu ihren damaligen polnischen
Kinder- Freunden haben. Auch ich habe seit dieser Zeit Freunde in Krakau, mit
denen inzwischen auch mein erwachsener Sohn samt Familie befreundet ist. Ich
habe inzwischen die polnische Sprache als Autodidakt erlernt, wenngleich ich
sie nicht perfekt beherrsche. Seit 1974 habe ich in der Tat sehr viele und sehr
unterschiedliche Menschen in Polen kennen gelernt und gesprochen. Das gehört zu
den wichtigen und schönsten Erfahrungen in meinem Leben!
Nur die ehrliche und uneigennützige Hinwendung zum Freund, das einander Verstehen wollen, das gegenseitige Akzeptieren und die gegenseitige (auch praktische) Hilfe lassen meiner Erfahrung nach eine echte Freundschaft entstehen. Gut gemeinte Absichtserklärungen bleiben theoretische Floskeln, wenn das lebendige Miteinander der Menschen fehlt. Nur in der Begegnung zwischen den Menschen können althergebrachte Klischees und Vorurteile abgebaut werden. Darin liegen nicht zuletzt Chance und Herausforderung für das größer gewordene Europa.