Bundeskanzler
Schröder in Warschau
Von Wulf Schade
„Wir beugen uns heute in Scham angesichts der Verbrechen der Nazi-Truppen.
(...) Sie legten nach dem Aufstand 1944 das alte Warschau in Schutt und Asche. Unzählige
polnische Frauen und Männer und ihre Kinder wurden ermordet oder in Lager und
Zwangsarbeit verschleppt.“ 60 Jahre hat es gedauert, bis sich ein
bundesdeutscher Regierungschef, Bundeskanzler Gerhard Schröder, zu solch
eindeutigen Worten über den Warschauer Aufstand durchgerungen hat. Man muss anerkennen, dass er
unzweideutig die moralische Verantwortung Deutschlands für die vielen Toten und
die Zerstörung Warschaus benannte und auch richtige Worte dafür fand. Hoffnungsvoll
stimmt darüber hinaus, dass Bundeskanzler Schröder
diesen von der deutschen Wehrmacht rücksichtslos niedergeschlagenen Aufstand
nicht mit dem ebenfalls von der Wehrmacht ein Jahr zuvor niedergeschlagenen jüdischen
Getto-Aufstand in Warschau verwechselte, wie das noch der bundesdeutsche
Bundespräsident Roman Herzog in den 90er Jahren tat.
Schröder unterließ es in seiner
Ansprache auch, die Westverschiebung Polens und die damit einhergehenden
Umsiedlungen der Deutschen wie der Polen aus ihren jeweiligen ehemaligen
Ostenbieten zum Anlass zu nehmen, die Tatsache, dass es in erster Linie Folge des von Deutschland ausgelösten
Weltkrieges war, zu verdunkeln.
In seiner Ansprache, an die die
polnische Bevölkerung wie auch die polnische Politik große Erwartungen geknüpft
hatte, zog Schröder aus seinen Aussagen zum Warschauer Aufstand wie auch zum Überfall
auf Polen eindeutige Konsequenzen bezüglich wichtiger Fragen, die heute das
polnisch-deutsche Verhältnis belasten: V.a. seine unzweideutige Äußerung, dass die Bundesregierung keine individuellen
Restitutionsansprüche ehemaliger Vertriebener und deren Nachkommen an Polen
unterstützen und dies auch vor internationalen Gerichten so erklären wird, hat
in Polen spontan große Zustimmung hervorgerufen, ähnlich auch seine deutlich
ablehnende Äußerung zu einer nationalen Gedenkstädte zu den Leiden der deutschen
Bevölkerung im II. Weltkrieg in Berlin, wie sie die Initiatoren und
Initiatorinnen des „Zentrum gegen Vertreibungen“ wollen.
In Deutschland fielen die
Reaktionen auf die Rede Schröders dagegen zwiespältiger aus. Von der liberalen Öffentlichkeit
insgesamt begrüßt - so unterstützten sowohl die Grünen wie auch die FDP
einhellig die Äußerungen Schröders -, war die konservative gespalten. Der
Generalsekretär der CDU stellte zwar fest: “Im Kern hat er (Bundeskanzler
Gerhard Schröder – d. Red.) sicher vorgetragen, was richtig ist.“, aber die Präsidentin
des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, ebenfalls CDU, warf Bundeskanzler
Schröder nationalen Verrat an den Vertriebenen vor, wenn er ankündige, ihnen in
internationalen Gerichtsprozessen in den Rücken zu fallen. Die Unionspolitiker
Marschewski (CDU) und Koschyk (CSU) stellten fest,
die Bundesregierung habe mit ihren Aussagen die deutschen Vertriebenen vor den
Kopf geschlagen und die Polen in die Irre geführt. „Denn der Bundeskanzler weiß
nur zu gut, dass er regierungsseitig nicht auf das
Eigentum Privater verzichten kann. Dies lässt unsere
grundgesetzlich verankerte Eigentumsordnung nicht zu.“ Ferner „verwiesen (sie) zudem
auf die von allen Bundesregierungen vertretene Rechtsposition, dass die Vertreibung der Deutschen und der damit verbundene
Vermögensentzug gegen das Völkerrecht verstoßen habe und die damit verbundenen
Vermögensfragen offen seien.“ (WAZ vom 4.8.2004).
In Polen legte sich sehr schnell
die Euphorie über die Rede Schröders, nachdem die Feierlichkeiten zum
Warschauer Aufstand beendet waren. Nach näherem Hinschauen stellte man nämlich
fest, dass im Kern doch nichts erreicht worden sei. Man
erkannte nun, dass die Bereitschaft, die Unterstützung
von individuellen Restitutionsansprüchen abzulehnen und sich zu verpflichten,
dies auch vor internationalen Gerichten erklären zu wollen, nicht heißt, die
Verantwortung für die Folgen des II. Weltkrieges ohne wenn und aber zu übernehmen
und im Namen des deutschen Staates sowie seiner Bürgerinnen und Bürger auf
Restitutionsansprüche zu verzichten und somit diese auch völkerrechtlich
auszuschließen.
Das ganz aktuell, Jahrzehnte
hindurch von nahezu allen politischen Kräften in der BRD – und in Polen - geleugnete,
und durch die Gründung der Preußischen Treuhand in die Mitte der deutsch-polnischen
Beziehungen gerückte zentrale Problem der Restitutionsansprüche ist auch von
der jetzigen Bundesregierung durch die rhetorischen Kniffs des Bundeskanzlers
nicht gelöst worden. Dass dieses verstanden wurde,
zeigt z.B. der Kommentar in Tygodnik Powszechny, den wir auf der nächsten Seite dokumentieren.
Ein Ergebnis dieser Erkenntnis und der daraus folgenden Verbitterung, ist sicherlich die im Sejm in den letzten Wochen stattgefundene Diskussion über Reparationsforderungen an Deutschland. Das Parlament forderte in einer im September verabschiedeten Resolution mit nur einer Gegenstimme die polnische Regierung auf, von Deutschland Reparationszahlungen für die Zerstörungen Polens im II. Weltkrieg zu fordern. Zwar wies die polnische Regierung sofort darauf hin, dass diese Resolution keine rechtliche Verbindlichkeit für sie habe, aber ihre Verabschiedung zeigt, auf welch wackeligen Füßen sich die polnisch-deutschen Beziehungen zur Zeit befinden. Verantwortung dafür trägt eindeutig die Politik aller bisherigen Bundesregierungen, die es aus durchsichtigen Gründen versäumt haben, im oben geäußerten Sinne für Klarheit zu sorgen.