Der Warschauer Aufstand

 

Der Warschauer Aufstand war und ist ein bedeutendes Ereignis für die polnische Identität. Unabhängig von der politischen Bewertung des Aufstandes in Polen ist er ein wichtiger Bezugspunkt für den Kampf gegen den lange Zeit übermächtig erscheinenden Besatzer, das faschistische Deutschland, und für das Streben nach Unabhängigkeit in einem eigenen Staat. Deshalb hat er im Kollektivbewusstsein über nahezu alle Differenzen hinweg einen so hohen Stellenwert. Das hindert die Menschen in Polen jedoch nicht, kritisch über Sinn sowie Beginn und Verlauf des Aufstandes zu diskutieren. Wir versuchen, das auf den folgenden Seiten mit einem zusammenfassenden Artikel von Gerd Kaiser zum Aufstand selbst sowie mit einer kleinen Dokumentation aus der polnischen Presse nachzuzeichnen. Vorab aber wollen wir in Erinnerung rufen: Es war die Armee des Deutschen Reiches, die zu Beginn des Krieges Warschau besetzt hatte und die dann diese Stadt nach dem Aufstand systematisch in Schutt und Asche gesprengt hatte. Diese Tatsache darf bei aller Diskussion über den Warschauer Aufstand niemals vergessen werden.

 

Der Aufstand begann am 1. August und endete am 3. Oktober 1944 mit der Kapitulation. Die Aufständischen hatten die Stadt in verschiedene militärische Bezirke - u. a. Zoliborz, Altstadt, Zentrum, Wola, Mokotów - eingeteilt. Am wichtigsten waren die Altstadt und das Zentrum. In der Altstadt war die Brücke am Schloss von entscheidender Bedeutung; sie konnte von den Aufständischen nie eingenommen werden, so dass die Deutschen die ganze Zeit über einen Keil hielten, der von der Brücke bis zum Pi³sudski-Platz reichte. Dieser Keil erleichterte später die Aufspaltung der Aufstandsgebiete in kleinere Kessel. Generell gelang es nicht,  eine der Brücken in die Hand zu bekommen; eine Koordinierung des Aufstands auf beiden Weichselseiten kam deshalb nicht zustande. Größere Erfolge gab es in der Innenstadt, wo einzelne Viertel und ein Teil der wichtigen Gebäude besetzt werden konnten, etwa das Rathaus.

Die deutsche Reaktion auf den Aufstand war grausam. Lautsprecher in den Straßen gaben bekannt, dass “Banditen” am Werk seien und bereits Maßnahmen gegen sie ergriffen würden. Jeder Zivilist auf den Straßen Warschaus sollte erschossen werden. Die Taktik der Deutschen bestand aus dem Einsatz überlegener Waffen, vor allem schwerer Artillerie, und Bombardierungen aus niedriger Flughöhe.

Die erste Woche des Aufstandes verlief für beide Seiten nicht nach Plan. Die Aufständischen hatten nicht die volle Kontrolle über Warschau errungen und die Deutschen konnten den Aufstand nicht beenden. Deutsche Quellen meldeten Anfang August, dass man seit Stalingrad nichts dem Warschauer Aufstand Vergleichbares erlebt habe. Trotz Waffenungleichheit konnten die Aufständischen dank Waffenfunden und eines Netzes von Untergrundfabriken die Deutschen in Schach halten.

Der Hauptangriff der Deutschen begann am 13. August. Die Altstadt Warschaus verlor innerhalb weniger Tage etwa ein Drittel ihrer Bausubstanz; die Verluste unter den Zivilisten gingen in die Tausende. Am 21. August verteidigten AK-Soldaten nur noch eine Fläche von einem knappen Quadratkilometer. Spätestens Ende August mussten die Aufständischen die Möglichkeit eines Scheiterns ins Auge fassen: Die Altstadt, das stand fest, musste bald aufgegeben werden.

Am 31. August fiel die Altstadt. Trotz der Niederlage in der Altstadt funkte Komorowski am 2. September nach London, dass man “Warschau bis zu der Grenze des Möglichen” verteidigen wolle. Die Kämpfe tobten ab September im Zentrum. Obwohl die Polen kämpften “wie Helden”, so der SS-Obergruppenführer von dem Bach-Zelewski, der am 5. August die Leitung aller Operationen gegen die Aufständischen übernommen hatte, hatten sie keine Chance gegen die deutsche Übermacht.

Mitte September sah es danach aus, als ob das Ende des Warschauer Aufstandes unmittelbar bevorstand. Doch dann erschien über der Stadt die Air Force. Dies war nur möglich geworden, weil Moskau die Landung der US-Bomber auf sowjetischen Flughäfen nun gebilligt hatte. Zudem eroberte die Rote Armee am 15. September die Vorstadt Praga auf dem linken Weichselufer. Doch es war zu spät. Am 27. September bot General von dem Bach erneute Verhandlungen an. Die AK-Führung willigte ein. Der Waffenstillstand wurde für den 1. und 2. Oktober zwischen 5.30 Uhr und 18.30 vereinbart. Am 3. Oktober um 3 Uhr früh unterzeichnete Komorowski die Kapitulation.

Die 63-tägige “Schlacht um Warschau” war vorbei. 200.000 Menschen, darunter 15.000 Untergrundsoldaten, waren durch die deutsche Armee getötet bzw. ermordet worden. Die etwa 16.000 überlebenden Untergrundsoldaten gerieten in Gefangenschaft und die nach dem Aufstand noch in Warschau lebenden 280.000 Bewohnerinnen und Bewohner brachten die Deutschen in das Durchgangslager Pruszków. Von hier aus wurden sie entweder auf verschiedene Ortschaften in den von Deutschen besetzten polnischen Gebieten verteilt oder in verschiedene Arbeitslager ins deutsche Reich verschleppt.

Während des Aufstandes waren etwa 30 Prozent der Stadt zerstört worden. Unmittelbar nach der Räumung der Stadt begannen die Deutschen mit den Vorbereitungen für die totale Zerstörung Warschaus. Mehr als drei Monate lang wurden Tausende deutscher Soldaten zu diesem Zweck eingesetzt. Anfang 1945 war Warschau zu 95 Prozent dem Erdboden gleich gemacht.                                                                                                                                                                                                                          w.s.