Das Museum als
Zusammenfassung der polnischen Debatte über den Aufstand
Das Museum des Warschauer Aufstands soll die Problematik des
Warschauer Aufstands unter dem Gesichtspunkt veranschaulichen, wie die 1944 von
den polnischen Behörden programmierten Ziele, also die nationalen Interessen
Polens, erreicht worden sind. Den Besuchern soll es aber ermöglicht werden, die
Motive für das Handeln (oder die unterlassenen Handlungen) der anderen Seiten
des Konflikts – Deutschlands, der Sowjetunion und der Verbündeten Polens – zu
verstehen. Den Warschauer Aufstand kann man auch als Element des Misserfolgs (der Tragik bzw. der Zweideutigkeit) der
Politik der Alliierten während des Zweiten Weltkriegs betrachten.(...)
Die Ausstellung sollte die wichtigsten, in Film, Literatur
und Kunst dargestellten Hinweise auf die Geschichte des Warschauer Aufstands
enthalten. Sie sollte daran erinnern, dass die Behörden
zur Zeit der Volksrepublik Polen zwar Untersuchungen über den Aufstand zuließen,
es aber vermieden, die Aufständischen als Helden einer großen Sache
darzustellen. Man präsentierte sie als tragische Helden, als Opfer einer
unverantwortlichen Politik. Man stellte die Heldentaten der Aufständischen im
Gegensatz zu den angeblich zynischen Entscheidungen der Aufstandsführung und
der Vertreter der Londoner Exilregierung dar. Die Ausstellung sollte also die
verschiedenen Interpretationen des Aufstands in der Geschichtsschreibung berücksichtigen,
aber auch an die Versuche erinnern, die Darstellung des Aufstands in den
Massenmedien zu verzerren.(...) Erforderlich ist eine Panoramadarstellung der
Veränderungen, zu denen es in Warschau durch den Aufstand gekommen ist – „Eine
aus Ruinen entstandene Stadt”. (...)
Zu einem Missionsauftrag des Museums soll es werden, die Symbolik
des freien Polens zu verewigen, ganz besonders, was die mit dem Aufstand verknüpften
Symbole anbetrifft, und diese später als Idealbegriffe zu verwenden, die den
polnischen Weg zur Freiheit symbolisieren: das Siegeszeichen „V”, das „kämpfende
Polen”, die „kämpfende ,Solidarność’” (...)
(aus: Offizielle
Internetseite des Museums zum Warschauer Aufstand http://www. 1944.pl/index.php?id=346)
September ohne Flecken
Interview mit Prof. Władysław
Stępniak, Stellv. Direktor des Polnischen
Staatsarchivs
Vor 1989 dominierte bei der Darstellung des Septemberfeldzugs in den
Lehrbüchern die Frage der mangelnden Hilfe durch die Alliierten sowie die ungenügende
Vorbereitung des Landes auf den Krieg. Mittlerweile ist es modern geworden, die
Probleme im Zusammenhang mit der sowjetischen Aggression vom 17. September
hervorzuheben. Wann erfährt das Geschehen jener Zeit seine objektive Bewertung?
Ich denke nicht, dass die Bewertungen der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts,
das Bild von der Entwicklung und dem Verlauf des 2. Weltkriegs, wie es zum
einen in der offiziellen Geschichtsschreibung und zum anderen in den Veröffentlichungen
aus dem Untergrund erfolgte, weit von der Wirklichkeit entfernt waren. Bereits
als Student und junger Wissenschaftler, erst recht aber als erfahrener
Historiker und Archivar war mir immer bewusst, was Katyń gewesen war, was der Ribbentrop-Molotow-Pakt für
Polen bedeutete, worin die Politik der Aufteilung Europas in Einflusssphären und die Politik der Zugeständnisse gegenüber
der UdSSR bestand. Die Bewertung der Ursachen des 2. Weltkriegs in der Zeit vor
1989, in der bewegten Zeit der Transformation und auch heute ist unverändert geblieben.
(...)
Welche Mythen sind am stärksten im polnischen Bewusstsein
verankert?
Vor allem die Annahme, dass wir ein Land mit einem ganz besonderen Charakter, mit
einer besonderen Position gewesen sind, welches eine gewisse höhere Mission
realisierte. Bestimmte Konzepte der polnischen Außenpolitik, etwa die
Vorstellung eines Landes zwischen zwei Meeren (Ostsee und Schwarzes Meer, d. Ü.),
bewahrten die Vorstellung von einem Staat mit ungewöhnlich hohen Idealen in der
internationalen Politik, was jedoch mit der Wirklichkeit absolut nicht
zusammenging.
Zahlreiche Mythen entstanden um den Warschauer Aufstand, dessen
Jahrestag wir kürzlich begingen. In der offiziellen Rhetorik betrachten wir die
Tätigkeit der Befehlshaber des Aufstands beispielsweise völlig kritiklos,
obwohl die Historiker recht unterschiedliche Auffassungen zum Thema haben.
Ja, ganz recht. Wir sollten hier
die strikt militärische Ebene (...) von dem politischen Aspekt unterscheiden. Ich
meine, der Aufstand hätte sich nur schwer verhindern lassen, denn die Situation
in Warschau trieb die Menschen in den Kampf. Wir sind allerdings noch weit
entfernt von einer generellen Bewertung des Sinnes und der Bedeutung des
Warschauer Aufstands. Nur schwer können wir das alles begreifen. Der Aufstand
war auf der einen Seite eine schreckliche Niederlage des Staates und der Stadt,
eine nationale Katastrophe, doch auf der anderen Seite grub er sich für Jahre
tief in unser Bewusstsein ein und war Leitlinie
unseres Handelns.
Wie gehen die Polen mit den weißen Flecken in der Geschichte des 2. Weltkriegs
um?
Ganz gut. Ich sage das als
jemand, der im Kampf um den Zugang zu
den Archivmaterialien überaus engagiert ist. Viele Ereignisse, die ehemals als
weiße Flecken galten, sind es längst nicht mehr, auch wenn nicht immer alle
Fragen zu Ende geklärt worden sind. Obwohl wir mit atemloser Spannung die Reise
von Prof. Leon Kieres (Leiter des Instituts für
nationales Erinnern, d. Übers.) nach Moskau verfolgt haben (bezüglich der Katyń-Frage - d. Red.), ist es kaum noch möglich, über
weiße Flecken in den polnisch-russischen Beziehungen zu sprechen. Mehr von
ihnen finden wir in der Geschichte der polnisch-britischen und polnisch-amerikanischen
Beziehungen. Es geht da um die Bewertung des Beitrags der polnischen
Spionageabwehr am Sieg der Alliierten im 2. Weltkrieg und um das Dauerthema des
Flugzeugunglücks vor Gibraltar, bei dem General Władyław
Sikora (Premierminister der polnischen Exilregierung
in London, d. Ü) starb.
In: „Trybuna“, 1. September 2004, S. 2.; Übersetzung: