Zum Tode von Jacek Kuroń

Die sich selbst organisierende Gesellschaft

Von Wulf Schade

 

Am 17. Juni starb nach langer schwerer Krankheit Jacek Kuroń. Viele Menschen in Polen aber auch in anderen Ländern empfanden seinen Tod als großen Verlust für den Kampf um eine bessere, menschlichere Welt. Jacek Kuroń stand für eine Welt, die frei von jeglicher hoheitlicher Bevormundung ist, in der jedes Individuum seinen gleichberechtigten Platz hat, gleichgültig welcher Nationalität oder welcher Ansicht. Auf der einen Seite unbeugsam in seinem Einsatz für dieses Ziel, war Kuron auf der anderen Seite immer dialogbereit – auch mit seinen politischen Gegnern und Feinden. Diese seine Haltung hat mit Sicherheit maßgeblich dazu beigetragen, dass es nach 1989, nach der Ablösung des sozialistischen Systems durch eine bürgerliche Republik, zu keinen Exzessen gegen die früheren Machthaber und ihre Gefolgsleute kam, sondern zur Politik des “Groben Strichs”.

 

1934 geboren wuchs Jacek Kuroń im Nachkriegspolen auf. Er war von kommunistischen Ideen überzeugt, wollte am Aufbau eines sozialistischen Polens teilnehmen. So war er in diesem Sinne aktiv in der Pfadfinderschaft und trat jung in die herrschende Partei, die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP), ein. Leitlinie seines politischen Handelns wurde sehr schnell der die sozialistischen Ideen umsetzende, eigenständig handelnde Mensch, der sich dazu mit anderen organisiert. Gerade auch ein sozialistischer Staat muss genau diesem Ziel dienen. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde er dann bekannt, als er gegen die sich stark entwickelnde Bürokratie im neuen Polen und in der PVAP zusammen mit Karol Modzelewski einen Offenen Brief an die Mitglieder der PVAP Anfang der 60er Jahre schrieb. In diesem forderte er die Mitglieder auf, sich gegen die Bürokratisierung und die damit verbundene Bevormundung, ja Entmündigung einzusetzen. Dabei entwickelte er das Bild einer sich selbst organisierenden und verwaltenden sozialistischen Republik. Die Reaktion der Parteiführung war der Ausschluss aus der Partei und die Verurteilung zu einer längeren Gefängnisstrafe. So kam es, dass Jacek Kuroń das erste Mal, von 1965-1967, wegen seiner Ideen im Gefängnis saß, später verbrachte er deshalb dort noch etliche Jahre.

Das Vorgehen der Parteiführung konnte den Willen Kurońs, sein Ziel weiter zu verfolgen, nicht brechen. Aus der Partei ausgeschlossen musste er sich neue Freunde suchen, die mit ihm für eine freie Gesellschaft eintraten. Er fand sie zuerst bei laizistischen Linken, die außerhalb der herrschenden Partei standen oder wie er bereits ausgeschlossen worden waren bzw. linksliberalen Oppositionellen in den späten 60er Jahren. Als sich dann in den 70er Jahren die Oppositionsbewegung nach und nach verbreitete, arbeitete er auch mit konservativen Personen aus Kirche und Gesellschaft zusammen. Ein erster sichtbarer Schritt dieser Zusammenarbeit war die Gründung des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) 1976 und dann später die enge Zusammenarbeit im Beraterstab der Solidarnoœæ zu Beginn der 80er Jahre. Nach dem Systemwechsel 1989 war er für einige Jahre Arbeitsminister in verschiedenen Regierungen. Später arbeitete er als Parlamentarier im Ausschuss für nationale Minderheiten. 2003 trat er öffentlich gegen die Teilnahme Polens am Irakkrieg auf.

Bei aller Zusammenarbeit mit verschiedenen gesellschaftlichen Kräften verlor Jacek Kuroń nie aus den Augen, dass es immer um den einzelnen Menschen gehen muss, er ist es, für den und mit dem gearbeitet werden muss. Jeder Mensch hat zu jeder Zeit das Recht zu erfahren, warum etwas geschieht, damit er an der Entwicklung teilhaben kann. So setzte sich Jacek Kuroń trotz der neuen Wirtschaftsordnung immer für eine soziale Mindestsicherung ein und erklärte für jedermann verständlich jede Woche in seiner Eigenschaft als Arbeitsminister öffentlich im Fernsehen die Maßnahmen seines Ministeriums. Er erwarb sich nicht zuletzt mit dieser Art, seine Arbeit als Minister zu tun, hohes Ansehen in der Bevölkerung. So nahm er noch Jahre später, in denen er längst kein Ministerium mehr innehatte, in der Rangliste der beliebtesten Politikerinnen und Politiker den ersten Rang ein. 

 

 

Infotainment zu Polen: Momentaufnahmen und Reflexionen

Zum Buch „Pommes Frites in Gleiwitz“ von Tina Stroheker

Von Hans Kumpf

 

Nach ihren vielbeachteten Reisebeschreibungen „Polnisches Journal“ legt Tina Stroheker

rechtzeitig zum EU-Beitritt des östlichen Nachbarlandes ein neues Buch über ihr Lieblingsthema vor: „Pommes Frites in Gleiwitz – Eine poetische Topographie Polens“. Wiederum gelingt es der 1948 in Ulm geborenen und später als Gymnasiallehrerin tätigen Autorin, Belehrendes und Unterhaltung zu vereinen. In Momentaufnahmen, Anekdoten, Rückblenden und Reflexionen breitet sie eine vielfarbene Palette über das Land und deren Menschen aus. Da berichtet sie über eine Imbissbude in Gleiwitz, steht vor der Werft in Danzig oder auf der Mole in Sopot, besucht Warschau, Krakau,  Breslau, Lodz oder Allenstein und trifft sich mit Kollegen aus der polnischen Literaturszene, beispielsweise mit Andrzej Szczypiorski oder Slawa Lisiecka, der Übersetzerin.

Eigene Empfindungen paart Tina Stroheker in dem bei „Klöpfer & Meyer“ (Tübingen) erschienenen Band auf elegante Weise mit der Darstellung historischer Fakten, erteilt kurzweilig Sprachkunde- und Ausspracheunterricht – und kreiert so eine spannungsreiche Lektüre. Stets zu spüren ist ihre Liebe zu Polen, verliert dabei aber nie eine kritische Distanz und lässt es auch nicht an Ironie mangeln.

Gebundene Ausgabe, 240 Seiten, Verlag: Klöpfer und Meyer, Tübingen ISBN: 3421057672, €uro 19.50, Tina Stroheker im Internet (mit Leseprobe) http: //www.tina-stroheker.de