Nein zu dieser Verfassung

 

Von Wulf Schade

Seit einigen Jahren wird über die Erstellung einer Verfassung für die nun seit Mai dieses Jahres erweiterte Europäische Union (EU) diskutiert. Viel wurde in den Medien über die Bedeutung dieser neuen Verfassung berichtet. In diesem Zusammenhang wurde v.a. über das bisherige für sehr viele Entscheidungen notwendige Einstimmigkeitsprinzip des Ministerrates gesprochen, das durch ein Mehrheitsprinzip in möglichst vielen Bereichen abgelöst werden sollte. Durchaus zu Recht wurde die Handlungsfähigkeit der EU als Institution dabei in den Vordergrund gerückt. Auch die Tatsache, dass es gewisser Schutzregeln bei Abstimmungen bedarf, damit die großen Staaten die kleinen nicht dominieren, war unstrittig. Allerdings war dabei strittig, auch zwischen Polen und Deutschland, wie diese Schutzregeln auszugestalten seien. Nachdem diese Hürde Mitte dieses Jahres überwunden werden konnte, ratifizierten die Mitgliedstaaten am 29. Oktober in Rom den Verfassungsentwurf, der in den vor uns liegenden Monaten von den einzelnen Parlamenten oder durch Volksabstimmungen in den Mitgliedsstaaten bestätigt werden muss.

 

Obwohl also sehr umfangreich über die Entwicklung der Beschlussregelung in der EU-Verfassung in den verschiedenen Medien diskutiert wurde, wurde über so wesentliche Teile des Verfassungsentwurfes wie zur Wirtschaftsordnung und zur “Friedens-” bzw. “militärischen Sicherheits-Politik” der EU sehr wenig berichtet. Die Entscheidungsgremien der konservativen wie auch der bürgerlich-liberalen Medien hielten es offensichtlich nicht für notwendig, diese Inhalte der Öffentlichkeit nahe zu bringen, geschweige, denn den von Teilen der Friedensbewegung öffentlich initiierten Diskussionsprozess zur möglichen Militarisierung der EU mit Hilfe der neuen Verfassung zu verfolgen und mitzuorganisieren. Bemerkenswerter Weise unterscheidet sich das Verhalten der Medienverantwortlichen in den einzelnen EU-Ländern hierbei so gut wie gar nicht. Dabei wären diese zwei Bereiche unbedingt zu diskutieren und einem breiten demokratischen Willensprozess zu unterziehen.

POLEN und wir hat der Diskussion um die EU-Verfassung, insbesondere bezüglich der sozialen und militärischen Aspekte, ebenfalls bisher viel zu wenig Beachtung geschenkt. Dabei sind diese auch für die deutsch-polnischen Beziehungen von großer Bedeutung. Eine Festschreibung eines abgerüsteten, friedensorientierten Europas mit sozialen Mindeststandarts als Entwicklungsziel, das sowohl das materielle wie auch kulturelle Leben der Menschen sicherte, wäre für die Entwicklung eines friedlichen Miteinanders der Bevölkerung beider Staaten äußerst förderlich. Nicht eine nahezu schrankenlose Marktliberalisierung müsste postuliert werden, sondern eine Angleichung der sozialen Lebensverhältnisse zwischen den Staaten auf hohem Niveau unter Berücksichtigung ökologischer Notwendigkeiten.

Es ist interessant, aber auch beängstigend, dass es bei der Diskussionsverweigerung des sozialen wie des militärischen Aspektes durch Politik und Medien einen Gleichklang (nicht nur) in Polen und Deutschland gibt. Beängstigend deshalb, weil es zeigt, wie weit einerseits ein militaristisches Denken in den politischen Strukturen der Staaten bürgerlich-demokratischer Prägung Fuß gefasst hat, aber auch wie weit die Medien sich diesem Denken unterordnen und diese Politik überhaupt nicht mehr hinterfragen. So zeigt sich, dass bei allen Unterschieden, die in der praktischen Politik der jüngsten Vergangenheit zu Tage getreten sind, es doch in Bezug auf den Wirtschaftsliberalismus und die Militarisierung der Außenpolitik deutliche Übereinstimmung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten gibt.

Diskussionslos akzeptiert die Politik in den EU-Staaten, also auch in Polen wie in Deutschland, die vor allem von den USA gegebene Begründung, der Kampf gegen die Diktatoren und den Terrorismus sowie für die Verteidigung und Durchsetzung der Menschenrechte erfordert heute zu schnellen Einsätzen in aller Welt fähige Armeen. Hier ist es gleichgültig, ob Sozialdemokraten und Grüne die Regierung bilden oder Konservative und Nationalisten. Dass oftmals die Rettung von Menschenleben diesen den demokratischen Werten des Westens verbundenen Herren und leider auch manchmal Damen gleichgültig ist, haben sie aber seit Jahrzehnten immer wieder bewiesen. Daran änderte auch nichts der Systemwechsel in Osteuropa "von den sozialistischen Diktaturen" hin zu den Formen der westlichen Demokratien.

Unterstützung findet diese Politik bei den unabhängigen Medien, die nach anfänglichen kritischen Einwänden sich der Meinung der offiziellen Politik untergeordnet haben und letztlich die Tatsache ignorieren, dass  nur die “bösen”, sprich dem Westen feindlichen und seiner Rohstoffsicherung hinderlichen diktatorischen Verbrecher bzw. Terroristen angegriffen werden, aber nicht die dem Westen "gut" gesinnten. 

Bei der Umsetzung solch einer Politik existiert ein enger Gleichklang zwischen Polen und Deutschland. Selbst vordergründig deutlich erscheinende Differenzen wie die zum Irakkrieg entlarven sich schnell als allenfalls taktischer Art, wie das Buhlen um das Wohl der US-Administration als einzig verbliebener Weltmacht zeigte, obwohl sie einen anerkannt völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mit Lügen und Manipulationen durchgeführt hat. Die deutschen Bundestagsparteien und Medien sollten sich davor hüten, sich hier über die Politiker in Polen und den anderen kriegsführenden Staaten zu erheben. Als der Sieg im Irakkrieg im Mai 2003 für die USA sicher schien, triumphierten die Kriegsbefürworter der CDU/CSU und die sozialdemokratischen wie auch die Minister von Bündnis 90/Grüne waren eifrig bemüht, ähnlich wie Hündchen die Hand ihres sie prügelnden Herrchens lecken wollen, in der Öffentlichkeit einen Händedruck der Kriegsverbrecher Bush, Rumsfeld, Powell u.a. zu erhaschen. Eifrig notierte jede Bewegung in diese Richtung unsere bürgerlich-demokratische Presse.

Es kann uns dem friedlichen Miteinander zwischen Deutschland und Polen verschriebenen Menschen nicht gleichgültig sein, wie die herrschenden Kreise im Gleichschritt die Menschen in der EU auf eine sie und andere Völker gegeneinander ausspielende wirtschaftsliberale und militaristische Politik ausrichten wollen. Wir müssen klar und deutlich sagen, dass wir nicht nur Frieden zwischen Polen und Deutschen wollen, sondern ebenfalls zwischen den Menschen der EU und denen in allen Teilen der Welt. Dabei ist jede Regierung und jede Menschengruppe unser Gegner, die genau das Gegenteil organisieren. Wir brauchen keine weltweit agierenden Interventionsarmeen, sondern ein friedliches, abgerüstetes Europa, das statt Abermilliarden in die Rüstung zu stecken, das Geld für eine Hunger und Krankheit in der Welt bekämpfenden Politik einsetzt. Wie unser, "des Deutschen Feind", nicht "der Pole" ist, ist es auch nicht "die Araberin", "der Chinese", "die Kubanerin" ... Deshalb sollten wir gegen die vorliegende Verfassung der EU eintreten und uns dazu mit allen Menschen verbünden, die das selbe Ziel verfolgen, soweit sie nicht nationalistische und faschistoide Positionen vertreten.