Bemerkungen zum deutsch-polnischen Reparationsstreit

 

Jerzy Kranz und Klaus Bachmann

Die am 10. September 2004 vom Sejm angenommene Resolution zu den deutsch-polnischen Beziehungen - mit der Forderung, die Debatte über deutsche Kriegsreparationen erneut zu eröffnen - ist der Kulminationspunkt einer seit Monaten andauernden deutsch-polnischen Stimmungseskalation. Auf die Klagedrohungen einiger Kreise in Deutschland hin haben auch einige polnische Städte und polnische Organisationen mit Gegenforderungen nach Entschädigungen für im Krieg erlittene Schäden reagiert. Wenn man einige polnische Reaktionen kritisch beurteilt, soll man sich jedoch nicht wundern, dass es dazu kommt. (...)

 

Polnische Ansprüche

Nach dem Potsdamer Abkommen sollte die UdSSR „die Reparationsansprüche Polens aus ihrem eigenen Anteil an den Reparationen befriedigen“; die UdSSR sollte wiederum die Reparationen aus ihrer Besatzungszone, zum Teil aus anderen Besatzungszonen und aus deutschem Vermögen in Mittel- und Osteuropa entnehmen. (...)

(Am) 23. August gab die Regierung der VR Polen folgende Erklärung ab: „Mit Rücksicht darauf, daß Deutschland seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen ist und daß die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Interesse seiner friedlichen Entwicklung liegt, hat die Regierung der Volksrepublik Polen den Beschluß gefaßt, mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten, und damit einen weiteren Beitrag zur Lösung der deutschen Frage (...) zu leisten“. Das war ein einseitiger Akt, der weder die Akzeptanz der anderen Seite noch eine besondere Form, wie sie bei bestimmten internationalen Übereinkommen üblich ist, erforderte. Polen standen Reparationen von Deutschland zu (und nicht von der DDR oder der Bundesrepublik) und der Verzicht ist eindeutig.

Nach polnischer Ansicht umfassten die Kriegsreparationen jedoch nicht Forderungen, die aus den nationalsozialistischen Verfolgungen resultierten. In der erwähnten Erklärung verzichtete Polen ausdrücklich nicht auf Forderungen seiner Bürger gegenüber Deutschland oder im Auftrage Deutschlands handelnden Personen.

(...) Die Endphase stellten die multilateralen Verhandlungen mit Deutschland in den Jahren 1998 - 2000 (unter Beteiligung Polens) dar, die mit der Vereinbarung vom 17. Juli 2000 in Berlin abgeschlossen wurden, aufgrund derer die Bundesrepublik zusätzliche 10 Milliarden DM, darunter 1,8 Milliarden für die „Stiftung Deutsch-Polnische Aussöhnung“, ausbezahlte.(...)

Individuelle Klagen

Die Hauptfurcht, die in polnischen Medien und im Sejm Ausdruck fand, betrifft Klagen deutscher Vertriebener vor internationalen Gerichten. (...) Wesentlich für internationale Gerichte ist jedoch die Zeitfrage: Sie urteilen in der Regel nicht über Streitfragen oder Fakten, die vor dem Inkrafttreten jenes Vertrags entstanden, aufgrund dessen das jeweilige Gericht errichtet wurde oder die entstanden, bevor der betroffene Staat dem Gründungsvertrag beigetreten ist. Die Vertreibung der Deutschen und die Beschlagnahmung ihres Vermögens beziehen sich jedoch auf einen früheren Zeitpunkt. (...)

Spätaussiedler

In diesem Zusammenhang muss man die Lage der sogenannten Spätaussiedler unterscheiden. Hier haben wir es mit einer Gruppe zu tun, die entweder die polnische Staatsbürgerschaft besaß oder besitzt und deren spätere Ausreise nicht im Rahmen der Potsdamer Beschlüsse erfolgte. Zu untersuchen ist hier (und polnische Gerichte tun das bereits) die Legalität des erzwungenen Verzichts auf ihre polnische Staatsbürgerschaft (wenigstens bis 1984) und ihr Eigentum beim legalen Verlassen des Landes, des Zurücklassens des Vermögens ohne Vorsorge dafür zu treffen oder der Konfiszierung des Vermögens beim halblegalen Verlassen (zum Beispiel im Fall einer touristischen Reise ohne Rückkehr) (...).

Fälle, in denen sogenannte Spätaussiedler ihre Immobilien zurückverlangen sind seit Jahren in Polen bekannt (...) Das sind polnische Probleme und Polen muss sie selbst lösen, unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die VR Polen „Menschenhandel“ betrieb: Die Regierung der VR Polen erhielt von der Bundesrepublik Kredite für die Zustimmung zur legalen Ausreise ihrer (polnischen) Staatsbürger. (...)

Die Stunde der Politik

(...) Wir brauchen jetzt eine politische und gesellschaftliche Anstrengung - in Deutschland wie in Polen. Das ist auch eine Aufgabe für die deutsche Regierung.

Es ist nicht zu übersehen, dass einige Elemente der deutschen Rechtsdoktrin, die schon seit Jahren die deutsch-polnischen Beziehungen belasten, auch nun wieder Spannungen hervorrufen. Das im Zweiten Weltkrieg besiegte und geteilte Deutschland hat eine spezifische Rechtsdoktrin entwickelt, die zum Ziel hatte, die Folgen des Zweiten Weltkrieges - und darunter auch die deutsche Einheit - zu regeln. Grundstock dieser Konzeption bildete die These vom Weiterbestehen Deutschlands in den Grenzen von 1937. Diese Doktrin stellte die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz in Frage, darunter auch die Westgrenze Polens und die Rechtmäßigkeit der Aussiedlung der deutschen Bevölkerung und der Übernahme ihres Vermögens. Aus heutiger Sicht kommt man zum Schluss, dass diese Doktrin die in sie gesetzten Hoffnungen nur in sehr geringem Maße erfüllt hat, dass ihre Reste jedoch weiterhin den deutsch-polnischen Beziehungen schaden.

Die alte Bundesrepublik musste sich unter äußerem Druck von den in dieser Doktrin aufgebauten Positionen Schritt für Schritt zurückziehen. (...)

Die deutsche Einheit ist 1990 in Folge eines Zusammenfallens von äußeren Faktoren, darunter vor allem der Aktivitäten der Solidarność, dem von den Umständen erzwungenen Nachgeben der UdSSR und der entschiedenen Haltung der USA zustande gekommen, die auf eine Umwälzung der Machtverhältnisse in Europa aus waren. Sie ist nicht zustande gekommen als Konsequenz der deutschen Rechtsdoktrin! (...)

Aus der Perspektive der letzten Jahrzehnte erweist sich der deutsche Rechtsstandpunkt als sehr zweifelhaft, das Zögern bei der Auszahlung von Wiedergutmachungsleistungen an viele Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen hat der Bundesrepublik keinen Ruhm eingebracht und die Geschichte hat sie auf Schritt und Tritt immer wieder eingeholt.

Die deutsche Rechtsdoktrin, die der Haltung sämtlicher derzeitiger Bündnispartner Deutschlands widerspricht, vergiftet nicht nur die deutsch-polnischen Beziehungen, sondern wirft auch ihren Schatten auf die europäische Integration. 60 Jahre nach dem Krieg ist es Zeit, dass Deutschland endlich die Folgen des Zweiten Weltkrieges anerkennt. Die Doppeldeutigkeit der deutschen Rechtsdoktrin und Politik ändert weder das Geringste an den vom Zweiten Weltkrieg verursachten Verlusten und Leiden (darunter auch Verluste und Leiden der deutschen Bevölkerung) noch an den seit einem halben Jahrhundert bestehenden Realitäten. Sie trägt dafür zur Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen bei, deren Bedeutung nicht nur in Warschau gewürdigt werden sollte.     

Jerzy Kranz (geb. 1948) - Jurist, ehemaliger Botschafter Polens in Deutschland. Klaus Bachmann (geb. 1963) - Historiker, Politologe, langjähriger Korrespondent der deutschen Presse in Warschau. Der von der Redaktion stark gekürzte Text ist beim Centrum Stosunków Miedzynarodowych Center for International Relations 11/04Reports&Analyses erschienen und kann unter der Adresse:  www.csm.org.pl ungekürzt heruntergeladen werden.