„Der Pianist“ war Komponist

 

Von Karl Forster

Nein, seinen Namen kannte man auch in Polen bis vor kurzem kaum. Wohl aber seine Songs. Sie waren bekannter als ihr Komponist. Im Ausland dagegen war er nur als Pianist bekannt - bis zu Roman Polanskis Film „Der Pianist“ im Jahr 2002, der das Leben von Władysław Szpilman zeigte. Die Geschichte des Pianisten und Komponisten, der das Warschauer Ghetto überlebte, während seine Familie in Treblinka ermordet wurde, der von Freunden versteckt und schließlich von einem deutschen Wehrmachts-Offizier vor dem Verhungern gerettet wurde (siehe POLEN und wir Nr. 1/2003).

 

Nach der Ausbildung an der Warschauer Chopin-Akademie war Szpilman nach Berlin gegangen, wie viele polnische Musiker zu dieser Zeit. Berlin, so der Sohn Szpilmanns heute, sei damals die kulturelle Hauptstadt Europas gewesen und man könne sich gar nicht vorstellen, was kulturell alles aus Berlin geworden wäre, ohne Nazi-Regime und Krieg. 1933 ging Szpilman nach Polen zurück, wo er eine Karriere als Solist machte. Bald war er Hauspianist des Polnischen Rundfunks. Und in dieser Funktion spielte er am 23. September 1939 in der letzten Live-Übertragung des Rundfunks ein Chopin-Recital, darunter das cis-Moll-Nocturne. Unmittelbar darauf wird das Funkhaus zerbombt. Mit dem gleichen Stück eröffnet er 1945 den Funkbetrieb des Senders wieder. Außer als Pianist war er als Unterhaltungschef beim Rundfunk tätig. Er gründete das erste polnische Popmusik-Festival in Sopot und 1963 das berühmte Warschauer Klavierquintett. Aber seine eigenen Kompositionen wollte man kaum hören. Dabei war auch ein Großteil seiner Kompositionen bei der Zerstörung Warschaus verloren gegangen. Noch immer hofft Szpilmans Sohn, der heute in der Schweiz lebt, dass vielleicht noch einmal eine Abschrift in einem Nachlass oder einem Archiv wieder auftaucht, wie die 1933 in Berlin entstandene Klaviersuite „Das Leben der Maschinen“, von der sich erst nach Szpilmans Tod im Sommer 2002 eine Kopie im Nachlass des Bruders von Bronisław Gimpel, ebenfalls Mitglied im Warschauer Klavierquintett, fand.

Das Concertino hatte Szpilman noch im Warschauer Ghetto komponiert. Dort gab es einen Konzertsaal, wo eine Art Musical aufgeführt werden sollte. Nicht bedrückende Kompositionen entsprangen dort Szpilmans Schaffen, sondern lebensbejahende, aufheiternde Musik mit deutlichem Anklang von amerikanischen Elementen. Doch auch dieses Stück war im Krieg verloren gegangen. So hatte er es später aus dem Gedächtnis rekonstruiert. Aber es wurde nie öffentlich im Konzertsaal aufgeführt. Lediglich Einspielungen im Rundfunk waren zu hören. Erst am 29. April 2001  erlebte das Stück seine Uraufführung vor Publikum, durch das Jewish Symphony Orchestra in Los Angeles.

Jetzt sollte Szpilmans Musik nach über 70 Jahen wieder in Berlin ankommen. Im Rahmen einer besonderen Konzertreihe des Konzerthauses am Gendarmenmarkt. „Polen im Herzen – Komponieren in der Fremde“ lautete der Titel der Reihe, in der auch unbekannte Komponisten und unbekannte Werke präsentiert wurden. Chopin, Szymanowski oder Penderecki sind hinlänglich bekannt (aber in dieser Konzertreihe nicht ausgespart). Doch Stanisław Moniuszko, Zygmunt Noskowski, Mieczysław Karlowicz, Juliusz Zarębski und Zygmunt Stojowski gehören zu den weniger häufig aufgeführten Komponisten. In Zusammenarbeit mit der Polnischen Botschaft, der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH (ROC), DeutschlandRadio Berlin sowie der Universität der Künste hat das Konzerthaus diesen Konzertzyklus zusammengestellt, der diesem betrüblichen Umstand Abhilfe schaffen sollte. Flankiert wurde dieser Zyklus von einem internationalen musikwissenschaftlichen Kolloquium in der Universität der Künste. Im Abschlusskonzert wurde dann durch die polnische Pianistin Ewa Kupiec auch Szpilmans Concertino aufgeführt. Szpilmans Sohn kommentierte ihre Interpretation des Stückes so: „Es gefällt mir eigentlich noch besser als die Aufnahme, auf der mein Vater spielt“.

Die Aufführung ist Teil eines großangelegten Projektes. In Zusammenarbeit mit DeutschlandRadio Berlin wurde das Stück im Sommer von Ewa Kupiec für Sonyclassic auf CD eingespielt und der in Berlin und New York ansässige Musikverlag Boosey&Hawkes startete gleichzeitig eine Editionsreihe aller Konzertwerke und ausgewählter Songs Szpilmans.  So wird jetzt – gefördert durch Polanskis Film – der auch als „Polens Gershwin“ bezeichnete Komponist, der die Trennung zwischen „U-“ und „E-Musik“ nie gelten lassen wollte, vielleicht ein wenig auch dem deutschen Publikum nahegebracht.

Szpilman, Concertino, Klaviersuite „Das Leben der Maschinen“, Walzer im alten Stil etc.  Ewa Kupiec, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (2004) Sony CD 93516

Władysław Szpilman, Edition of Concert Works and Selected Songs by Boosey & Hawkes; Internet: www.szpilman.net  (mit Hörproben)