Polnischer Oskar für die Feministen des Jahres 2004

"And the winner is..."

 

Von Julia Klabuhn

Eine der großen Frauenorganisationen in Polen, OœKa, hat einen Preis für die Feministin und den Feministen des Jahres 2004 ausgeschrieben. Per Abstimmung im Internet sollen Personen als Sieger gekürt werden, die sich im vergangenen Jahr um die Belange der Gleichberechtigung von Frauen in Polen verdient gemacht haben. "Die Bezeichnung "OŒKary 2004" ist natürlich eher lustig gemeint. Im Gegensatz zu seinem Namensvetter aus Hollywood wird er von einer Gruppe ausgeschrieben, die in einer Nische der Gesellschaft angesiedelt ist und die es eher schwer hat, öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen", sagt Joanna Piotrowska, zuständig für die Ausschreibung des Fraueninformations-Zentrums OŒKa, lächelnd.

 

Das Anliegen hinter dem Wettbewerb ist aber durchaus ein ernstes. "Wir wollen Aufmerksamkeit auf die Personen in Polen lenken, die täglich für den Feminismus Flagge zeigen, die sich tagtäglich für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen einsetzen", erklärt Piotrowska. Und so wurden zehn Frauen und sieben Männer, die als Politiker, Publizisten, Wissenschaftler und NGO-Aktivisten die polnische Frauenbewegung unterstützen, für den Preis nominiert. Darunter auch drei der bekanntesten Vertreterinnen der polnischen Frauenbewegung: Die Journalistin Kinga Dunin, die Autorin Kazimiera Szczuka sowie die Bevollmächtigte des Rates für Gleichberechtigung Magdalena Œroda.

Andere sind außerhalb der Frauenbewegung weniger bekannt, gemeinsam sind allen Kandidaten jedoch die Themen, mit denen sie sich beschäftigen: Gewalt gegen Frauen, Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und bei der Besetzung öffentlicher Positionen sowie das restriktive Abtreibungsrecht - was wohl die drei drängendsten Probleme polnischer Frauen sind.

Das Thema Abtreibungsrecht kann als der Initialzünder der polnischen Frauenbewegung nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 gesehen werden. 1993 wurde das Abtreibungsgesetz auf Betreiben der katholischen Kirche und mit Stimmen der Postkommunisten so verschärft, dass Schwangerschaftsabbrüche so gut wie nicht mehr erlaubt sind. Nur in wenigen Fällen, etwa wenn die Schwangerschaft auf eine Vergewaltigung zurückgeht, das Leben der werdenden Mutter bedroht ist oder pränatale Untersuchungen eine schwere Behinderung des ungeborenen Kindes fest stellen, ist ein Schwangerschaftsabbruch legal. In der Praxis weigern Gynäkologen sich jedoch oft, Abtreibungen aufgrund der aufgeführten Gründe durchzuführen. Betroffene Frauen, die sich die Kosten für einen solchen Eingriff leisten können, begeben sich in die Hände von Ärzten, die illegale Eingriffe vornehmen und nehmen dabei zum Teil hohe gesundheitliche Risiken in Kauf.

In der Zeit des Kommunismus wurden Abtreibungen noch ohne große Hindernisse erlaubt. Eine Rückkehr in diese Zeiten ist trotzdem keinesfalls wünschenswert: "Die Situation war fatal", beklagt Anna Czerwiñska, Mitarbeiterin bei OŒKa. "Abtreibungen waren erlaubt, es gab aber dafür so gut wie keine Verhütungsmittel. In der Generation meiner Mutter haben viele Frauen mindestens einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich", schätzt Czerwiñska.

Das Problem der Verhütung ist heutzutage nicht mehr ganz so drastisch. Trotzdem sei die Situation immer noch schlecht, meint sie. Sexualerziehung in der Schule finde, wenn überhaupt, nur in den oberen Klassen statt und damit zu spät. Zudem seien Verhütungsmittel zu teuer und es gebe immer noch Gynäkologen, die sich weigerten, die Pille zu verschreiben, und so kursierten unter Mädchen und jungen Frauen Listen mit Ärzten, bei denen das Verhütungsmittel überhaupt abgegeben wird.

Auch die UN-Menschenrechtskommission beklagt in ihrem ‘Menschenrechtsbericht Polen’ vom November vergangenen Jahres den mangelnden Zugang zu Informationen über Familienplanung und die unzureichende Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln. Sie forderte die Regierung deshalb auf, eine angemessene und objektive Sexualaufklärung an allen Schulen des Landes einzuführen. Czerwiñska hat trotzdem wenig Hoffnung, dass sich an der Situation schnell etwas verbessert. "In den nächsten 5 Jahren wird sich an der jetzigen Lage wohl kaum etwas ändern", so die pessimistische Einschätzung. Sie sieht den Hauptgrund des Problems darin, dass die katholische Kirche einen zu starken Einfluss auf die Gesellschaft habe und das Thema tabuisiert werde.

Ein weiteres Thema, dem die Frauenbewegung in Polen mehr öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen möchte, ist Gewalt gegen Frauen. "Einerseits wird in den Medien inzwischen häufig über dieses Thema berichtet, andererseits gibt es immer noch, vor allem in den Reihen konservativer Parteien, Politiker, die leugnen, dass dieses Problem überhaupt existiert", erklärt Czerwiñska.

Rechtlich gesehen haben betroffene Frauen die Möglichkeit, sich zu wehren. Sie erhalten dabei bislang aber wenig Unterstützung. Verklagt eine Frau ihren Mann, dann kann dieser zwar bestraft werden, es gibt aber keine rechtliche Handhabe, um zu erreichen, dass der Bestrafte in Zukunft der Frau fern bleibt. Daher ist zu befürchten, dass die Situation durch eine Klage eher schlimmer wird. Frauenorganisationen begegnen diesen Problemen mit dem Versuch, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren sowie mit Rechtsberatung und psychologischer Hilfe. Diese Beratungsangebote für Frauen gibt es aber bislang nicht in allen Städten Polens. Auch Frauenhäuser, in denen Opfer häuslicher Gewalt Schutz suchen können, gibt es nur wenige. Das Ziel von Frauenrechtlerinnen in Polen ist daher eine Änderung der Rechtslage, um zu erreichen, dass gewalttätige Männer von ihren Frauen des Hauses verwiesen werden können und nicht umgekehrt, die Frauen flüchten müssen.

Große Hoffnungen verbindet die polnische Frauenbewegung mit dem Beitritt ihres Landes zur EU. Die Notwendigkeit, das polnische Recht an das EU-Recht anzugleichen, unterstützte sie bei der Forderung nach Gleichstellung von Frauen und Männern. Wichtige Fortschritte werden zum Beispiel auf dem Gebiet der Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt erwartet.

Aktuelle Zahlen zeigen, dass 75% aller Arbeitslosen Frauen sind. Sie waren es, die in den Anfangsjahren der Marktwirtschaft besonders von Umstrukturierungen und Rationalisierungen betroffen waren. Obwohl an den Universitäten inzwischen mehr weibliche Studenten zu finden sind als männliche, ist es für Frauen schwierig, höhere Positionen in Wirtschaft und Politik zu erlangen. Im Schnitt ist ihr Einkommen um 20% niedriger als das von Männern. "Das Problem der Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt existiert in allen europäischen Ländern, ja weltweit, in Polen ist es aber größer als in anderen Ländern", behauptet Czerwiñska.

Nicht zuletzt in der Politik sei es für Frauen schwer, Fuß zu fassen. Auf den Wahllisten seien zwar Frauen zahlreich vertreten, meistens aber auf den hinteren Plätzen, so Czerwiñska. Immerhin, 22% der Abgeordneten des jetzigen Sejms, des polnischen Parlaments, sind weiblich.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Zahl von Frauen in öffentlichen Positionen und politischen Ämtern zukünftig durch Frauenquoten erhöht werden wird. Denn Frauenquoten sind in Polen unpopulär. "Quotenregelungen werden selbst von Frauen als ungerecht angesehen. Viele wollen sich nicht nachsagen lassen, dass sie eine bestimmte Position einnehmen, nur weil sie eine Frau sind", erklärt Piotrowska. Die 2004 gegründete Partei “Grüne” (Zieloni) ist die einzige, in der es ein Quotensystem gibt.

Die öffentliche Meinung ist in den vergangenen Jahren allerdings zunehmend für die Belange von Frauen sensibilisiert worden. "Seit zwei oder drei Jahren wird die Frauenbewegung wirklich ernst genommen", berichtet Piotrowska. " Auch wir bemerken das, es gibt zunehmend Berichterstattung über unsere Arbeit in den Medien, die Bibliothek des Informationszentrums wird von verschiedensten Menschen genutzt." Auch an den Universitäten wird der Diskurs über Geschlechterrollen und Gleichberechtigung gefördert. Inzwischen gibt es an den Universitäten in Warschau und Krakau das Fach "Gender-Studies". In anderen Städten, wie zum Beispiel in Breslau, Posen und Danzig werden außeruniversitäre Kurse zu diesem Thema angeboten.

Und offensichtlich sind auch die Mitarbeiter von OŒKa noch nicht entmutigt, sondern im Gegenteil mit Humor bei der Sache. "Wie bei einer richtigen Oskarverleihung wird es auch eine Statue als Preis geben: Die Venus von Willendorf, die genau das Gegenteil des Hollywood-Oskars darstellt, weil sie nämlich klein und dick ist, nicht groß und schlank", lacht Piotrowska.

Die Preisverleihung wird am 8. März, dem Weltfrauentag, stattfinden. Und weil es OŒKa mit der Gleichberechtigung ernst ist, wird zu diesem Anlass sowohl einer Frau als auch einem Mann der Preis verliehen werden.                                                  

 

OŒKa (OŒrodek Informacji Œrodowisk Kobiecych-Fraueninformationszentrum) wurde 1994 von mehreren Frauenverbänden gemeinsam gegründet. Die Organisation ist eine Informationsstelle für Fraueninitiativen in ganz Polen. Das Angebot umfasst zudem Seminare und seit fünf Jahren eine Sommerakademie. Den Hauptsitz hat OŒKa in Warschau. Dort befindet sich eine Bibliothek mit Sachbüchern und Frauenliteratur. Finanziert wird das Informationszentrum von verschiedenen Stiftungen und aus EU-Mitteln sowie Spenden.

Im Internet ist OŒKa unter www.oska.org.pl mit einem sowohl polnischsprachigen als auch englischsprachigen Informationsangebot zu finden.

 

Mehrheit in Polen für das Recht auf Abtreibung

Auf die Frage “Sollen die Frauen das Recht auf Abtreibung in den ersten Wochen der Schwangerschaft haben”, antworteten 32% der vom 7.-10. Januar dieses Jahres vom Meinungsforschungsinstitut CBOS Befragten mit eindeutigem “Ja” und weitere 25% mit “Eher Ja”. 15% meinten “Eher Nein” und 21% sprachen sich mit einem entschiedenen “Nein” dagegen aus.

Aber auch unter den Abtreibungsgegnern gab es Befürwortungen bei besonderen Umständen: Bei Gefahr für das Leben der Mutter sprachen sich 88%, für die Gesundheit allgemein 80% und bei Schwangerschaft durch Vergewaltigung 77%  für das Recht auf Abtreibung aus.

66% aller Befragten würden die Abtreibung im Falle einer schweren Behinderung des Kindes zulassen, während 42% bzw. 36% das auch im Falle einer schwierigen materiellen bzw. persönlichen Situation erlauben würden.

76% würden eine künstliche Befruchtung außerhalb des Körpers der Frau (in vitro) zulassen, 79%  befürworten Sexualerziehung in der Schule.