Magdalena Œrodas Kreuz mit der Kirche - Emanzipation vs. Tradition
Von Jörg Ciszewski
Magdalena Œroda ist seit August 2004
Gleichstellungsbeauftragte der polnischen Regierung und sie hat in ihrer kurzen
Amtszeit ein gesellschaftliches Tabu gebrochen. In einem Interview im
vergangenen Dezember in Stockholm kritisierte sie die Rolle der Frau in der
katholischen Lehre. Sinngemäß warf sie der katholischen Kirche vor, nicht das
Individuum, sondern die Familie ins Zentrum ihrer Ethik zu stellen und wies der
Kirche somit eine moralische Mitverantwortung für die Gewalt gegen Frauen zu.
Nachdem es zunächst in der politischen Arena zu heftigen, mitunter polemischen
Reaktionen auf diese Äußerung gekommen war, entwickelt sich nun eine spannende
und längst überfällige, breite öffentliche Diskussion über die Rolle der Frau
in der polnischen Gesellschaft, in der Kirche und in der Familie.
In der männlich dominierten Welt
des Parlaments weht Magdalena Œroda nach ihren
umstrittenen Äußerungen ein rauer Wind entgegen. Als renommierte Philosophin,
die sich selbst als überzeugte Feministin und Atheistin bezeichnet und aus dem
Lehrbetrieb der Warschauer Universität in die Politik wechselte, hatte sie von
Beginn an viele Kritiker, die ihr nicht zuletzt auch wegen ihres fehlenden
parteipolitischen Stallgeruchs misstrauten. Nun werden vor allem Stimmen aus
dem rechten Parteienspektrum laut, die, wie Ludwig Dorn von der
Oppositionspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS),
ihre Aussagen als falsch, unklug und für gläubige Menschen beleidigend
bezeichnen.
Premier Marek Be³ka,
der sich wohl auch aus wahltaktischen Gründen eine profilierte Intellektuelle ins
Regierungsboot geholt hat, reagierte auf die heftige Kritik voreilig mit der
Ankündigung, die Gleichstellungsbeauftragte dem Sozialministerium zu
unterstellen. In diesem Fall, so drohte Œroda
ihrerseits, würde sie von ihrem Amt zurücktreten. Breite Unterstützung erhielt
sie aus den Fraktionen der Regierungsparteien SLD und UP und aus dem Senat, der
sich weigerte, die für die Gleichstellungsbeauftragte im Budget vorgesehenen
1,2 Mio. Euro dem Sozialministerium zuzuschlagen. Die "Vereinigung der
Parlamentarierinnen" bezeichnete Be³kas Plan als
"empörenden Ausdruck der Diskriminierung von Personen, die es wagen,
intelligent zu sein". Schließlich
nahm der unter Druck geratene Ministerpräsident seine Entscheidung
zurück.
Œroda
jedoch steht weiterhin zu ihren Aussagen und nutzt die sich ihr bietenden
Gelegenheiten, ihren Standpunkt in der Öffentlichkeit zu präzisieren. Während
diese für Polen eminent wichtige gesellschaftspolitische Debatte in der Presse
des deutschen Nachbarn wieder einmal weitestgehend ignoriert wird, melden sich
in Polen seit Wochen Publizisten und Wissenschaftler zu diesem Thema zu Wort.
Magdalena Œrodas Äußerung
Die zentrale Aussage des
Interviews, das die Gleichstellungsbeauftragte der Nachrichtenagentur Reuter am
Rande einer Konferenz zum Thema "Gewalt gegen die Würde der Frau" in
Stockholm gab, muss zu ihrer dort gehaltenen offiziellen Rede in Bezug gesetzt
werden. Der Agentur sagte Magdalena Œroda, dass der
Katholizismus Gewalt gegen Frauen nicht direkt unterstütze, allerdings sie auch
nicht explizit verurteile. Weiter erklärte sie, dass kulturell bedingte
Zusammenhänge existieren würden, die in diesem Punkt starken Einfluss auf die
Religion hätten:
"Mit Blick auf Polen muss
ich sagen, dass wir es hier nicht mit Gewalt gegen die Würde der Frau zu tun
haben. (…) Es existiert offensichtliche Gewalt gegen Frauen, die seit nicht
allzu langer Zeit erkannt, als solche identifiziert und bestraft wird. Die
polnischen Statistiken in diesem Bereich sind im Vergleich mit denen aus anderen
europäischen Staaten und den USA gar nicht schlecht. (…) Die wichtigsten
Hindernisse im Kampf gegen diese Gewalt befinden sich im mentalen Bereich, und
zwar sowohl bei den Opfern als auch in der polnischen Gesellschaft. (…) Für
viele Frauen in Polen ist Gewalt etwas Normales. Wir können dieses Phänomen als
die "Einbürgerung der Gewalt [naturalizacja przemocy]" bezeichnen. Dies ist ein ernstzunehmendes
Hindernis im Kampf gegen diese Gewalt. Polen ist ein familienzentrierter
Gesellschaftstyp, in dem die Gemeinschaft im Vordergrund steht. Das hängt mit
der polnischen Tradition zusammen, vor allem aber mit der Religion. (…) In
Polen ist nach wie vor die Familie von größerem Wert als das Individuum. In der
Erziehung werden die Jugendlichen darauf vorbereitet, eine Familie zu gründen
und ihre traditionellen Rollen zu erfüllen. (…) Für viele Menschen - nicht nur
für solche mit konservativer Weltanschauung - besitzt die Familie einen autonomen,
geradezu heiligen Wert, unabhängig davon, ob sie funktioniert oder nicht. Daher
werden auch Maßnahmen mit dem Ziel, Frauen zu schützen, gleichzeitig als
Angriffe auf den Fortbestand der heiligen Familie behandelt."
Kirche und Gesellschaft
Der große Einfluss der
katholischen Kirche auf die gesellschaftlichen Sozialstrukturen und die öffentliche
Moral in Polen ist bekannt. Über 95% der erwachsenen Polen bekennen sich zur
katholischen Kirche und Umfrageergebnisse des polnischen
Meinungsforschungsinstitutes CBOS belegen, dass "Ehe, Familie und
Kinder" von den meisten Befragten als "das wichtigste im Leben",
noch vor Gesundheit und Freunden, genannt werden. Die Scheidungsrate in Polen
gehört zu den niedrigsten in ganz Europa. In den letzten Jahrzehnten ist jedoch
die Zahl der Scheidungen leicht angestiegen, insbesondere unter den gut
ausgebildeten Polen in den Städten. Auch hat die Zahl der Eheschließungen in
den 90er Jahren gering, aber stetig abgenommen. Diese Entwicklungen können als
Anzeichen für den einsetzenden Attraktivitätsverlust traditioneller
Lebensentwürfe gedeutet oder als Beleg für den schwindenden Einfluss der
katholischen Kirche auf die Gesellschaft angeführt werden. Als Vorboten der
polnischen Säkularisierung taugen diese statistischen Angaben aber eher nicht.
Auch wenn Soziologen einen Verfall religiöser Überzeugungen und Praktiken mit
voranschreitender Modernisierung und Europäisierung der polnischen Gesellschaft
erwarten. Eher spielen die enormen sozioökonomischen Veränderungen der
vergangenen 15 Jahre in diesem Prozess eine große Rolle. Die rasch eingeführten
marktwirtschaftlichen Reformen stellten die Familien vor neue Belastungs- und
Stresssituationen. Arbeitslosigkeit, berufliche Mobilität, nicht ausreichende
finanzielle Mittel zur Befriedigung der erweckten Konsumbedürfnisse und der
Verzicht auf die vor 1989 lieb gewonnenen sozialen Errungenschaften
(Kinderkrippen, Kindergärten, Sanatorien, bezahlter Sommerurlaub) können als
wesentliche Faktoren genannt werden. Es bleibt abzuwarten, ob sich dieser
statistische Trend bei einer anhaltenden wirtschaftlichen Konsolidierung Polens
fortsetzt.
Gewalt gegen Frauen in Polen - ein Bagatelldelikt?
Inwiefern eine soziale Komponente
auch bei der Untersuchung von Gewalttaten gegen Frauen von Bedeutung ist, wäre
in diesem Zusammenhang interessant. Wissenswertes zur Gewalt in polnischen Familien
hat der Publizist Piotr Pacewicz
in der Gazeta Wyborcza
veröffentlicht. In seinem Beitrag schreibt er, dass 7 - 9% der Polinnen in
Umfragen angeben, oft von ihrem Ehemann geschlagen zu werden, und doppelt so
viele Befragte sprachen von gelegentlichen Schlägen. Der Autor vermutet, dass
viele Frauen aus Scham oder Angst in der Befragung nicht die Wahrheit sagten
und die Dunkelziffer höchstwahrscheinlich viel höher sei. Die Polizei würde
Gewaltdelikte gegen Frauen noch häufig bagatellisieren und die Staatsanwaltschaft
in solchen Fällen langsam arbeiten. Das Strafmaß für "Misshandlungen von
besonderer Brutalität" wurde erst kürzlich um zwei Jahre von zehn auf
zwölf Jahre erhöht, und für die Misshandlung von Familienangehörigen sieht das
Strafgesetzbuch Freiheitsstrafen in Höhe von drei bis fünf Jahren vor.
Die gesetzlichen Grundlagen sind
also geschaffen, jedoch sieht die Wirklichkeit anders aus. Die
Politikwissenschaftlerin Gra¿yna Firlit-Fesnat
wirft Polizei und Justiz in vielen Fällen eine "sekundäre Viktimisierung" der Frau vor. Die Bagatellisierung
dieser Straftaten werde durch allgemein verbreitete Stereotypen über Familie sowie
soziale Frauen- und Männerrollen auch auf Seiten von Staatsanwälten, Richtern
und Polizisten begünstigt. Gerade bei Gewaltdelikten gegen Frauen schwinge oft
die stereotype männliche Einstellung mit, dass eine Teilschuld für die Tat
immer auch bei der Frau zu suchen sei, so Piotr Pacewicz. Polnische Redewendungen wie "wenn der
Ehemann seine Frau nicht schlägt, verwest die Leber in ihr (gdy
m¹¿ ¿ony nie bije, to w niej w¹troba gnije)" oder "wenn man schlägt, dann heißt das,
man liebt (jeœli bije, to znaczy, ¿e kocha)"
sprechen in diesem Zusammenhang eine ebenso deutliche Sprache wie die
Statistik: Im Jahr 1997 wurden 91% der 13000 Urteile für Gewaltdelikte gegen
Frauen nicht vollzogen, 72% der Täter sind nachher wieder rückfällig geworden.
Eine angemessene Bestrafung dieser Taten wird auch dadurch erschwert, dass das
Opfer große Schwierigkeiten hat, Zeugen zu finden. Zum einen, weil die Tat oft
hinter verschlossener Haustür stattfindet, zum anderen, weil über die Hälfte
der befragten Polen sich dagegen sträubt, sich in die Angelegenheiten anderer
Familien einzumischen.
Individuum contra Familie
Die Philosophin und
Mitherausgeberin der katholischen Zeitschrift "WiêŸ",
Anna Karoñ-Ostrowska, verglich die Gewalt gegen
Frauen mit dem Alkoholismus und bezeichnete sie als Krankheit, die behandelt
werden müsse. Im Rahmen einer in der Gazeta Wyborcza abgedruckten Diskussion lehnte Magdalena Œroda diesen Standpunkt kategorisch ab. Sie wiederholte
ihre These von einer so starken kulturellen Prägung des Bewusstseins, die einer
Verharmlosung der Gewalt in der Familie Vorschub leiste. Den Kern ihrer
Argumentation bildet der Vorwurf, dass in Polen die Rechte des Individuums
denen der Familie untergeordnet würden. Als Beleg für diese These führte sie
den Verzicht ihres Amtsvorgängers Kazimierz Kapera
auf EU-Mittel an, mit denen ein Programm gegen die Gewalt in der Familie finanziert
werden sollte. Denn, so dessen Argumentation, die Entstehung von Frauenhäusern
zum Schutz vor häuslicher Gewalt würde zu einem Zerfall der Familie beitragen.
Kirche und Politik
Die polnische Schriftstellerin
Olga Tokarczuk schrieb jüngst, dass in Polen eine
spezifische Abart des Katholizismus vorherrschen würde, die sich durch Sendungsbewusstsein
und eine enge Bindung an die nationale Identität auszeichne. Die Bedeutung der
katholischen Kirche in Polen war immer auch enorm politisch. Die Kirche als
Opposition zum Staat war für viele Menschen die eigentliche Heimstatt der
polnischen Nation. Unter zahlreichen katholischen Gläubigen lebt das
traditionelle Bild von der Mutter Gottes als einzige und unwiderrufliche
Königin Polens fort. So weist Olga Tokarczuk mit
einem Augenzwinkern darauf hin, dass Polen eigentlich als eine Monarchie
bezeichnet werden müsse.
Den Schlüssel zum Verständnis für
die einflussreiche Rolle der katholischen Kirche findet man in der
wechselvollen Geschichte des Landes, für dessen Bewohner die Kirche lange als
einzig anerkannte Autorität galt. So konnte die katholische Kirche den von Œroda kritisierten gesellschaftlichen Einfluss entwickeln.
Als stark hierarchisch strukturierte und von Männern dominierte moralische
Instanz transportierte sie immer auch ein konservatives Weltbild. Aber
Magdalena Œroda, die sich als aufgeklärte Liberale
sieht, warnt vor Vereinfachungen im Umgang mit der Kirche. Auf der einen Seite
sehe sie das Christentum, das wichtigen Einfluss auf die Herausbildung
kultureller Werte und Normen habe, und auf der anderen Seite habe man es mit
der Kirche als einer hierarchischen, patriarchalen
Institution zu tun. Darüber hinaus jedoch beobachte sie mit Furcht die
gefährliche politische Instrumentalisierung des Katholizismus, der auf diese Weise
häufig eine unheilvolle Allianz mit primitivem Nationalismus und Antisemitismus
eingehe. Für die "Liga der Polnischen Familie (LPR)" oder der "Allpolnischen Jugend (M³odzie¿ Wszechpolska)" hätten die Schriften des Papstes sowie
das Gebot der christlichen Nächstenliebe keine Bedeutung. Ihnen geht es nur um
die politische Profilierung mit Hilfe radikaler, national-religiöser Rhetorik
aus dem Fundus der polnischen Geschichte.
Der schmale Grad
Die untergeordnete Rolle der Frau
in der Gesellschaft finde sich in vielen geistlichen Schriften wieder, die in
den letzten Jahrhunderten unsere Kultur, unseren Wortschatz und unsere
Mentalität geprägt haben, so die Gleichstellungsbeauftragte. In diesem
Zusammenhang bedauere sie die mangelnde Kenntnis der Enzykliken Papst Johannes
Pauls II. auch unter den Gläubigen in Polen. Dort sei von der Schuld der Kirche
die Rede, die sie bezüglich ihrer Behandlung der Frau auf sich geladen habe.
Darüber hinaus weist œroda
auf die liberalen Kräfte in der polnischen Kirche hin, mit denen sie im Dialog
stehe. So entzieht sie sich dem Vorwurf der undifferenzierten
Pauschal-Ablehnung des Katholizismus und der katholischen Kirche.
Œroda
geht es darum, in Polen kraft ihres Amtes ein größeres öffentliches Bewusstsein
für die Belange der Frau zu schaffen. Um dies zu erreichen, muss sie mutig und
kompromisslos auch gegen den Widerstand von bestimmten Institutionen und
Personen auf Missstände in der Gesellschaft hinweisen. Es ist ein schmaler
Grad, auf dem sie sich bewegt. Die Wissenschaftlerin Œroda
pflegt einen anderen Diskussions- und Argumentationsstil als die Politikerin.
Sie gibt zu, sich im Stockholmer Interview in der Sprache vergriffen zu haben.
Auf dem politischen Parkett sind Diplomatie und Kompromissfähigkeit gefragt.
Wahrheiten müssen mediengerecht verpackt werden. Jedoch kann sie bei der
Wahrnehmung ihrer Aufgabe als Gleichstellungsbeauftragte nur bedingt
Rücksichten nehmen. Das würde ihren politischen Aktionsradius enorm
einschränken. Der Philosoph Jacek Holówka beschrieb
in der "Newsweek Polska" ihre Situation
sehr treffend. Sie müsse "auf der einen Seite das Recht schützen und auf
der anderen Seite aufzeigen, wo es fehlerhaft konstruiert ist, auf der einen
Seite Gleichberechtigung einfordern, aber ohne an bestehenden Privilegien zu
rütteln; sie soll unparteiisch sein und eine stabile Politik verfolgen, aber
gleichzeitig vieles ändern und ein gesellschaftliches Bewusstsein
schaffen".
Magdalena Œroda steht vor einer schwierigen politischen Aufgabe. Die starken konservativen Kräfte in Politik und Klerus, die aus Gründen der Besitzstandswahrung und aus Angst vor Einflussverlust kein Interesse an einer breiten, gesellschaftlichen Reformdebatte über die Rolle der Frau haben, werden jeden politischen Schritt der Gleichstellungsbeauftragten kritisch beobachten. Anhand der Kommentare und der Art der Berichterstattung lässt sich ablesen, dass unter den Intellektuellen die mutige Position Œrodas eher auf Zustimmung stößt. Jetzt wird sich zeigen müssen, inwiefern die breite polnische Gesellschaft dazu bereit ist, diese moderne, emanzipatorische Politik der Gleichstellungsbeauftragten zu akzeptieren.