Das Elfte Gebot: Du sollst nicht die Kirche kritisieren

 

Von Pawel Jurek

Magdalena Œroda, die Gewalt gegen Frauen mit dem Katholizismus in Verbindung brachte, hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst, der darauf hinweist, dass manch einer - und keineswegs etwa Geistliche - den Zehn Geboten ein elftes hinzu fügen möchten: "Du sollst nicht die Kirche kritisieren".

 

Die Gleichstellungsbeauftragte der Regierung soll anlässlich einer Konferenz zum Thema "Gewalt gegen Frauen" in Stockholm gesagt haben, dass das weit überwiegend katholische Polen Probleme mit dem Phänomen der Gewalt gegen Frauen habe, denn "der Katholizismus unterstützt zwar nicht direkt Gewalt gegen Frauen, stellt sich dem aber auch nicht entgegen". Und nun ging's los. Frau Minister wurde von allen Seiten angegriffen. PiS [etwa der CSU in Deutschland vergleichbar] forderte ihre Abberufung, weil sie Ansichten geäußert habe, die "in großem Maße auf Hass gegen das Christentum beruhen". Zbigniew Kuzmiuk von der PSL [zur rechtsnationalistischen Splittergruppe abgesunken] ist davon überzeugt, dass die Äußerungen von Frau Œroda "beleidigend für die Katholische Kirche und die Katholiken" sind, und für Sylvester Chruszcz von Samoobrona [rechtspopulistische Partei] hat die Ministerin "nicht nur die Katholiken in Polen, sondern in der ganzen Welt beleidigt". Schließlich hat nach Bronis³aw Komorowski (PO)  [Bürgerplattform, etwa der CDU in Deutschland vergleichbar] Frau Œroda "die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, die Wahrheit verfehlt und Polen geschadet".

Es erstaunt die Einmütigkeit und der emotionale Ton dieser Welle von Kritik, bei der es nicht ausschließlich um den Versuch geht, in den Medien präsent zu sein und politisches Kapital aus der Verteidigung der Kirche sowie der Gefühle einer gläubigen Wählerschaft zu schlagen. Es fällt schwer, der Empörung der Politiker Echtheit abzusprechen, gespeist aus der im öffentlichen Leben Polens verwurzelten Überzeugung, dass man die Kirche und alles, was mit ihr verbunden ist, zwar nicht nicht kritisieren darf (denn das wird niemand offen zugeben), aber dass sich das auf gar keinen Fall gehört. Wegen dieses gesellschaftlichen Tabus kann jede Kritik (ob an der Kirche als Institution, ob an Geistlichen selbst, oder gar - und hier ist das stärkste Tabu - am Papst) leicht als Angriff aufgefasst und damit jede sachliche Diskussion abgeschnitten werden. Es sei betont, dass oft nicht die Geistlichen selbst dergleichen Praktiken anwenden, sondern ihre Verteidiger - katholische Politiker beziehungsweise Tendenzmedien - die auf diese Art und Weise nicht selten der Kirche mehr schaden als nützen.

Derartige Verteidiger hat die Kirche dieses Mal auch gefunden. Die Politiker, welche Frau Ministerin Œroda kritisieren, haben die Beleidigung der Kirche und die Verletzung religiöser Gefühle in den Vordergrund gestellt, aber sich nicht bemüht, eine Diskussion aufzunehmen und Argumente vorzubringen. Geradezu hysterisch reagierte "Nasz Dziennik" [katholisch-nationalistisches Blatt mit stark antisemitischem und antideutschem Einschlag in der Tradition Roman Dmowskis, von Boulevardblättern abgesehen, die drittgrößte Tageszeitung Polens]: "Wie wir beobachten konnten, ist es bei uns nach 1989 Mode geworden, sich gegen die Katholische Kirche zu äußern. Bei jeder Gelegenheit wird ihr fast alles vorgeworfen: Fundamentalismus, Antisemitismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus, Faschismus", und jetzt hat sich dazu die "feministische Propaganda" von Frau Minister Œroda gesellt - tönte Sebastian Karczewski am Freitag in den Spalten dieser Zeitung. 

Es stimmt, dass die Position dieser Tageszeitung nur die Ansichten eines Teils der Katholiken und der kirchlichen Hierarchie wiedergibt. Aber in diesem Fall stieß die unglückliche Äußerung auch Bischof Tadeusz Pieronek [Rektor der Päpstlichen Theologischen Hochschule in Krakau und einer der "progressiven" Bischöfe Polens] auf, der sagte, die Worte von Frau Minister seien "wieder aufgewärmter Kohl fanatischer Feministinnen".

Wieder das gleiche Schema. Keine Argumente, nur Abwehrreflexe. Dabei hätte es genügt, ein paar Worte zu sagen. Was die Kirche für Opfer von Gewalt in der Familie tut. Zu zeigen, wie sie gegen dieses Phänomen kämpft oder gegen die Denkweise, die dazu führt. (...)   

 

Internet-Portal interia.pl vom 12. Dezember 2004; Übersetzung und Kommentierung in eckigen Klammern: Joachim Neander, Krakau