Gedenken zum 60. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz

"Wir müssen sprechen, erinnern, herausschreien:  Hier war die Hölle auf Erden." 

Von Karl Forster

Mit diesen Worten sprach der polnische Präsident Aleksander Kwaœniewski bei den Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz den zahlreichen anwesenden ehemaligen Häftlingen aus aller Welt aus der Seele. Doch große Worte täuschten nicht darüber hinweg, dass bei diesem Staatsakt die Opfer des Naziterrors hinter dem Staatsakt in eine Statistenrolle gedrängt wurden. Bei eisiger Kälte und Schneetreiben hörten sie sich die Reden des polnischen, des russischen und des israelischen Präsidenten sowie eine Grußbotschaft des Papstes an. Als ehemalige Häftlinge sprachen statt Vertreter der Häftlingsorganisationen “Prominente": Polens ehemaliger Außenminister Bartoszewski und die Ex-Präsidentin des Europaparlaments Simone Veil.

 

Oœwiêcim war an diesem 27. Januar im Schneesturm gefangen. Das fein ausgeklügelte Staatsprotokoll drohte zusammenzubrechen, da die Präsidentenflugzeuge Schwierigkeiten hatten zu landen.  Schon am Vortag glich Kraków im Zentrum einer belagerten Stadt. Wasserwerfer und Hunderte von Polizisten am Rynek versuchten Russlands Präsidenten Putin (der dann aber erst am nächsten Tag kam) vor einer geplanten Demonstration zu schützen. Anreisende Gäste mussten wegen der kompletten Sperrung der Innenstadt auf dem Weg vom Fughafen mit ihrem Gepäck  zu Fuß durch den hohen Schnee im Stadtzentrum. Am nächsten Morgen dann weiträumige Straßensperrungen zwischen Kraków und Oœwiêcim. Auf diese Weise kamen zwar die zahlreichen geladenen Gäste, für die Shuttle-Verbindungen eingerichtet worden waren, auf das Gelände von Birkenau. Die ebenfalls erwartete Öffentlichkeit war jedoch durch die angekündigten Sperrungen abgehalten worden.

An der Gedenkstunde nahmen neben Staats- und Regierungschefs aus 46 Staaten auch Veteranen der einstigen Sowjetarmee teil, die das Lager in den Nachmittagsstunden des 27. Januar 1945 befreit hatte, sowie 10.000 weitere Teilnehmer, unter ihnen viele ehemalige Häftlinge und Vertreter von Häftlings- und Gedenk-Organisationen.

Zum Auftakt war das Geräusch eines einfahrenden Zuges zur Erinnerung an die Todestransporte in das Vernichtungslager Birkenau zu hören. An den Gleisen und der Todesrampe, die von Schnee bedeckt waren, brannten Kerzen und Fackeln.

Simone Veil erinnerte an die Opfer des Holocaust, besonders an die jüdischen Kinder unter den in Auschwitz ermordeten Menschen. "Was wäre aus ihnen geworden, aus den Millionen jüdischer Kinder, die in ihrer Kindheit und Jugend ermordet wurden, hier oder in den Gettos oder in anderen Todeslagern? Ich weiß nur, dass ich weine, wann immer ich an sie denke und dass ich sie niemals vergessen werde."

Der ehemalige polnische Außenminister und Auschwitz-Häftling W³adys³aw Bartoszewski warf wie zuvor schon Katzav den Alliierten vor, nicht genug gegen das Morden unternommen zu haben. Dabei seien sie durch Berichte der polnischen Untergrundbewegung über die Vorgänge in Auschwitz unterrichtet gewesen. "Als ich im September 1940 auf dem Appellplatz von Auschwitz stand, als Schutzhäftling Nummer 4427, hätte ich niemals gedacht, dass ich Hitler oder den Zweiten Weltkrieg überleben würde", sagte er. Die letzten noch lebenden Häftlinge von Auschwitz hätten ein Recht zu glauben, dass ihr Leiden nicht umsonst war und den Weg für eine bessere Zukunft aller Völker in Europa vorbereitet habe.

Papst Johannes Paul II. mahnte in einem Grußwort, das der päpstliche Nuntius in Auschwitz verlas: "Dieser Versuch, ein ganzes Volk planmäßig zu vernichten, liegt wie ein Schatten über Europa und der ganzen Welt; es ist ein Verbrechen, das für immer die Geschichte der Menschheit befleckt."

Aufmerksamkeit erregte dann der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose. Nicht nur, dass er in der Sprache der Täter, auf Deutsch, sprach. Auch die Deutlichkeit seiner Worte hob sich von den Staatsgästen ab. Er würdigte - abweichend von seiner vorbereiteten Rede - dass auch Bundespräsident Köhler anwesend sei. Dann erinnerte Rose daran, dass in Auschwitz auch unzählige Mitglieder seines Volkes ermordet wurden. "Der Name Auschwitz steht in der internationalen Öffentlichkeit auch als Synonym für den staatlich organisierten Völkermord an unserer Minderheit im nationalsozialistisch besetzten Europa, dem über eine halbe Million Sinti und Roma zum Opfer fiel", sagte Rose. "Die Verbindung von menschenverachtender Ideologie und Barbarei, kalter bürokratischer Logik und mörderischer Effizienz - die in Auschwitz und den anderen nationalsozialistischen Mordfabriken ihren sichtbarsten Ausdruck fand - entzieht sich bis heute allen historischen Vergleichen." Anders als Bartoszewski und Katzav dankte Rose ausdrücklich den Alliierten dafür, dass sie Deutschland und Europa von der Nazi-Diktatur befreiten. Er bat die Staatsoberhäupter, den ehemaligen alliierten Soldaten "unseren tiefempfundenen Respekt" zu übermitteln. "Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass zumindest ein Teil der KZ-Häftlinge befreit und vor dem sicheren Tod bewahrt werden konnte."

Aber Rose kritisierte auch. Zu Recht würden die Gefahren eines wachsenden Antisemitismus international immer wieder benannt. Hingegen finde die Besorgnis erregende Zunahme rassistischer Gewalt gegenüber Sinti und Roma längst nicht die notwendige Beachtung.

Russlands Präsident Wladimir Putin hat bei der Gedenkfeier im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz davor gewarnt, die Geschichte zu verfälschen. "Auf diesem gepeinigten Boden müssen wir heute klar und deutlich sagen, dass alle Bemühungen, die Geschichte in Frage zu stellen, indem Henker und ihre Opfer, Befreier und Besatzer auf die gleiche Stufe gestellt werden, für Menschen unmoralisch und unzulässig sind, die sich für Europäer halten", sagte Putin. Der russische Staatschef bezog sich damit offenbar auf die Äußerungen baltischer Politiker, die die deutsche Besatzung ihrer Heimat unlängst mit der Besatzung durch die ehemalige Sowjetunion verglichen hatten. Aber auch seine Politik im Kaukasus, gegen die am Vortag demonstriert wurde, floss in seine Rede ein. So setzte er die Nazi-Greuel mit den "Terroristischen Aktivitäten" gleich und erklärte, so wie es keine "guten" und "böse" Faschisten gegeben habe, gebe es auch keine "guten" und "bösen" Terroristen.

Für den deutschen Bundespräsidenten Köhler war es der erste Besuch in Auschwitz. Dabei hob er sich deutlich von dem seinerzeit umstrittenen Besuch Bundeskanzler Kohls im Jahre 1989 ab, der "im Eiltempo" das Lager durchschritten habe, wie Zeitungen berichteten, und dann im Gästebuch von den Taten "in deutschem Namen" sprach. Anders Köhler. Er nahm sich vor der Gedenkveranstaltung Zeit und ließ sich bei seinem Rundgang durch das frühere Stammlager Auschwitz von Überlebenden ihre Erinnerungen schildern. Er wurde begleitet von einer Delegation, zu der unter anderen der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Noah Flug, der Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, Israel Singer, der Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Salomon Korn, und Romani Rose, gehörten. Als der Rundgang beendet war und das Protokoll zur Eile drängt, gab Köhler einer Bitte der Überlebenden nach. Sie führten ihn in den Block 5. Dort finden sich die Habseligkeiten, die die SS-Schergen ihren Opfern abgenommen hatten - von den Buchhaltern des Grauens sorgfältig sortiert: Brillen, Bürsten, Geschirr, Prothesen und Koffer, auf denen noch die Namen der Opfer stehen.

Nach dem Rundgang sagte er: "Wir haben den Auftrag, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht mehr wieder passiert" - und forderte zum Engagement gegen Antisemitismus auf. "Wer Auschwitz gesehen hat, muss wissen, dass man dagegen aktiv angehen muss. Wir haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert, wir Deutschen im besonderen." Angesichts des hohen Alters der Zeitzeugen müsse die Erinnerung künftig anders erhalten werden. "Wir müssen denjenigen, die danach geboren sind, die Erinnerung an das größte Verbrechen der Menschheit wachhalten." Die große Zahl der Jugendlichen, die die Gedenkstätte besuchten, stimme ihn hoffnungsvoll. Und so besuchte Köhler zum Abschluss trotz großer Verspätung im Zeitplan noch kurz die Internationale Jugendbegegnungsstätte. Er begrüßte unter anderem Auszubildende des VW-Konzerns, die regelmäßig an Begegnungsmaßnahmen in Auschwitz teilnehmen. Da die Zeit für eine eigentlich geplante Diskussionsveranstaltung fehlte, trug sich Köhler mit nur einem Satz in das Gästebuch der Jugendbegegnungsstätte ein: "Ich komme wieder!"

 

Kommentar:

Auseinandersetzung um die Resolution des Europa-Parlaments

Von Karl Forster

Waren es deutsche oder polnische KZ´s - diese widersinnige Frage beschäftigte das Europäische Parlament

Deutsche Abgeordnete mehrerer Parteien hatten sich gegen einen Resolutionsentwurf gesperrt, der von Auschwitz als dem "von den Deutschen" erbauten Vernichtungslager sprach. Sie sahen darin eine allgemeine Verurteilung aller Deutschen als Nazis. Der polnische rechtsnationalistische Abgeordnete Micha³ Tomasz Kamiñski wollte daraufhin in Brüssel "von dem deutschen Nazi-Todeslager" statt von "Hitlers Nazi-Todeslager" sprechen.

Er habe damit ein Zeichen dagegen setzen wollen, dass viele Zeitungen Auschwitz derzeit als polnisches Lager bezeichneten, sagte er. Seine Formulierung setzte sich aber auch deshalb nicht durch, weil er gleichzeitig den Hinweis auf homosexuelle Ermordete streichen wollte.

Der deutsche Vorsitzende der Sozialistenfraktion, Martin Schulz (SPD), schlug dann eine Kompromissformel vor, der sich das Parlament anschloss. Es spricht nun von "Nazi-Deutschlands Todeslager".

Bei der Abstimmung enthielten sich zehn Abgeordnete, unter ihnen der Europaabgeordnete der rechtsnationalen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Andreas Mölzer. Er sagte der Nachrichtenagentur APA, er lehne die Auffassung ab, wonach das heutige Österreich eine Mitverantwortung für die Verbrechen in Auschwitz übernehmen müsse. Für die damaligen Verbrechen seien Österreicher zwar mitverantwortlich gewesen, "aber die heutige Republik Österreich hat keine Mitverantwortung zu tragen". Mölzer boykottierte die Abstimmung des Europäischen Parlaments über die Auschwitz-Resolution.

Anders die Meldungen aus Italien. Am 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz hat sich der Enkel des italienischen Königs Victor Emmanuel III. zur moralischen und politischen Verantwortung der Königsfamilie bei der Verabschiedung der Gesetze im Faschismus bekannt. Sie ermöglichten die Deportation und Verfolgung italienischer Juden. Es sei die "endgültige Beurteilung" der Rolle seines Großvaters, der 1938 die Rassengesetze unterzeichnete, erklärte Victor Emmanuel in einem Brief an den Präsidenten des Bundes der Italienischen Jüdischen Gemeinden, Amos Luzzatto. "Nichts kann eine derartige Verletzung der Menschenrechte und die Idee der Zivilisation rechtfertigen."