Im Januar 2005 führte die Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen, Regionalgruppe der DPG-BRD, ihre reguläre Hauptversammlung durch, auf der ein neuer Vorstand in folgender Zusammensetzung gewählt wurde: Prof. Dr. Renate Weiß, Dr. Helga Herberg, Dr. Stefan Wohanka, Werner Stenzel und Klaus-Ulrich Göttner (Vorsitzender). Die Versammlung verabschiedete zum 60. Jahrestag des Endes des II. Weltkrieges die hier leicht gekürzte Resolution.

 

Erklärung der Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus

 

Am 8. Mai begehen die Völker Europas den 60. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg. Der II. Weltkrieg, der mit dem verbrecherischen Überfall Hitlerdeutschlands auf Polen begann, endete mit seiner bedingungslosen Kapitulation.

Von Anfang an widersetzten sich das polnische Volk und die überfallenen Völker Europas der deutschen Okkupation und Vernichtung. Heldenhaft kämpften Patrioten und Antifaschisten im Untergrund um Freiheit und Unabhängigkeit. Mutig unterstützten sie den opferreichen Siegeszug der Roten Armee und der anderen alliierten Streitkräfte. Der schwer erkämpfte Sieg der Antihitlerkoalition über den deutschen Aggressor veränderte das Antlitz der Welt. Das Leid und die Opfer dieses Krieges lehrten die Völker, mit ganzer Kraft Kriege zu bekämpfen und sich für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen.

Wenn wir an diesen Tag erinnern, denken wir besonders an den heldenmütigen Beitrag Polens im Befreiungskampf der europäischen Völker. Es stellte nach den Streitkräften der Sowjetunion, der Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritanniens das viertgrößte militärische Kontingent in der weltweiten Anthitkerkoalition. Polnische Soldaten kämpften als treue Verbündete an allen Fronten. Die I. und II. Polnische Armee gehörten zu den Befreiern von Berlin und Prag. Polen ist eine der Siegermächte im II. Weltkrieg.

Eingedenk der Erfahrungen aus dem gemeinsamen antifaschistischen Widerstandskampf in den Konzentrationslagern, in der Illegalität, bei den Partisanen, den Bauernbatallionen und in den alliierten Streitkräften setzten sich antifaschistische und verantwortungsbewusste politische Kräfte in Deutschland bereits während und vor allem nach dem Krieg für eine Neugestaltung des deutsch-polnischen Verhältnisses ein. Dazu waren eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit ausgeprägten Vorbehalten und Ressentiments über den Nachbarn erforderlich. Sie haben so begonnen, Geschichte und Kultur als das Gedächtnis beider Völker schrittweise von einer Munitionsfabrik zu einer Werkstatt für gutnachbarschaftliches Zusammenwirken umzugestalten.

Grenzfragen haben schon oft über das Schicksal der Völker entschieden. Daher war und ist die Anerkennung der im Potsdamer Abkommen festgelegten Oder-Neiße-Grenze Grundlage für den Aussöhnungsprozess zwischen beiden Völkern.

Meilensteine auf dem Weg der Entstehung grundlegend neuer deutsch-polnischer Beziehungen waren [verschiedene Verträge, die in der Resolution aufgelistet werden].

Mit großer Sorge verfolgen wir das Treiben des Bundesverbandes der Vertriebenen und der "Preußischen Treuhand", die mit ihren Forderungen und Ansprüchen alte Ängste im Nachbarland schüren und so Errungenschaften jahrzehntelanger deutsch-polnischer Zusammenarbeit ernsthaft in Frage stellen. Hier werden 60 Jahre nach Kriegsende Ursachen und Folgen bewusst verdreht. Nur die historische Wahrheit kann Grundlage für den europäischen Einigungsprozess sein. Einseitige Betrachtungen führen unweigerlich zu Konflikten mit den Nachbarn und beleben dort längst überwunden geglaubte Vorbehalte. Deshalb ist uns dieser Jahrestag besonderer Anlass, die Forderung nach Schaffung eines Zentrums für Vertreibungen in Berlin entschieden zurückzuweisen.

Für die Mitglieder unserer Gesellschaft ist der Dialog von gesellschaftlichen Kräften beider Länder, die Entwicklung und Stärkung von Kontakten ein Weg, um an der Gestaltung einer engen Zusammenarbeit engagiert mitzuwirken. Die individuellen Entschädigungsansprüche an Polen durch die "Preußische Treuhand" schaffen jedoch Konflikte, die durch die Förderung alter Feindbilder zu einer langfristigen Belastung nicht nur im bilateralen, sondern auch im europäischen Zusammenleben werden, da sie neue Barrieren im europäischen Einigungsprozess errichten.

Angesichts des 60. Jahrestages der Befreiung und des Kriegsendes fordern wir die Bundesregierung auf, wirksame Schritte zu unternehmen, um diese Störfaktoren im Aussöhnungsprozess endgültig zu beseitigen und den deutsch-polnischen Beziehungen eine Perspektive zu geben. Es ist an der Zeit, im sich neu formierenden Europa die Unterstützung rückwärtsgewandten Brauchtums zu beenden und durch beispielhafte gemeinsame Projekte dem gutnachbarschaftlichen Zusammenleben neue, belebende Impulse zu verleihen.

Der Jugend gehört die Zukunft. Deshalb sollte der deutsch-polnische Jugendaustausch aufgrund seiner Bedeutung im Aussöhnungsprozess stärker finanziell gefördert und Projekte, die deutschen und polnischen Jugendlichen helfen, sich mit antipolnischem und antideutschem, mit neonazistischem und antisemitischem Gedankengut auseinanderzusetzen, besonders entwickelt und unterstützt werden.

Mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union ist ein neues grenzüberschreitendes Denken und Handeln auf allen Ebenen gefordert, um Chancen der Erweiterung zum Tragen zu bringen und die beiderseitigen Grenzregionen zu Nahtstellen eines lebendigen Zusammenwirkens zu machen. Wichtige Voraussetzung dazu sind eine "Grenzkompetenz" der Menschen in diesen Regionen, Sprach- und landeskundliche Kenntnisse über den Nachbarn, insbesondere das Erlernen der polnischen Sprache auf der deutschen Seite und die Entwicklung eines Netzwerkes von partnerschaftlich zusammenarbeitenden Schulen dazu. Auf dem Gebiet der grenzüberschreitenden kommunalen Politik sollte die deutsch-polnische Interessengemeinschaft durch Neuland beschreitende bilaterale Projekte, unter Nutzung der gemeinsamen EU-Mitgliedschaft, eine Perspektive erhalten, die die Lage in den beiderseitigen strukturschwachen Grenzgebieten und die Situation der dort lebenden Menschen grundlegend verändert.

Wir als Mitglieder der Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen werden uns auch künftig dafür einsetzen, dass der Anteil Polens am Befreiungskampf der Völker Europas gewürdigt und der europäische Einigungsprozess durch ein enges gutnachbarschaftliches Zusammenwirken der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen vertieft wird.