Die Affäre
Wildstein
Von Daniela Fuchs
Polen wird erneut von einer
Affäre erschüttert, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Diesmal stehen
Akten des Sicherheitsdienstes (SB) aus der Zeit der Volksrepublik im Mittelpunkt.
Der Journalist Bronis³aw Wildstein veröffentlichte eine - bald “Agentenliste”
genannte - Datei, in dem er 240.000 Namen, die er aus dem Institut des
Nationalen Gedenkens (IPN) in Warschau "entwendet" hatte, ins
Internet stellte. Dieses Institut wurde 1998 gegründet und bewahrt Dokumente u.a. des Innen- und Außenministeriums und des Ministeriums
für Nationale Verteidigung Volkspolens auf. Bisher waren ausgewählte Bestände
für wissenschaftliche und publizistische Zwecke für den Nutzer zugänglich.
Das Internet erweist sich in
diesem Falle als moderner Pranger, denn die Genannten stehen unter
Rechtfertigungsdruck. Waren sie Mitarbeiter des polnischen Geheimdienstes,
waren sie Kontaktpersonen oder sogar Opfer. Ihr Name auf der Liste macht sie
erst einmal verdächtig. Wildstein hat mit dieser Veröffentlichung, die sicher
nicht zufällig vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie dem
Verfassungsreferendum erfolgte, der extremen Rechten in Polen einen Dienst erwiesen.
Diese vertritt, dass nun endlich durch die Veröffentlichung der Namen, die
Reste des "Kommunismus" in Polen beseitigt werden. Dazu zählt sie
auch die Errungenschaften des Runden Tisches von 1989, der ihrer Meinung einen
falschen Charakter besaß. Die Vertreter der Solidarnoœæ hätten damals unter dem
Deckmantel der Demokratie und freier Marktwirtschaft mit den
"Kommunisten" den Sozialismus weitergeführt. Auch der erste
nichtkommunistische Ministerpräsident Polens, Tadeusz Mazowiecki, wird von
Kritik und Beschimpfungen nicht ausgenommen.
Der Direktor des Instituts in
Wroc³aw, Prof. Dr. W³odimierz Suleja,
stellte fest, dass das Institut vor der “Wildsteinliste” täglich etwa 10 Nutzer
gehabt hätten. Nun seien es etwa 150, die Einlass begehrten.
Der Umgang mit dieser Liste nimmt tragische Züge an. Schüler surfen im Internet, um zu sehen, welche Eltern von Klassenkameraden auf der Liste stehen. In Talkshows werden Künstler und Akademiker eingeladen, um mit der Liste konfrontiert zu werden. Jerzy Urban, der Chefredakteur der Satirezeitung "NIE", hat nur eine Lösung. Da seiner Meinung die aktiven Agenten sowieso nicht auf der Liste stehen, sollten die Akten mit Benzin übergossen werden und in Rauch aufgehen.