Kommentar zum Tag der Heimat 2005

Alles beim Alten

Von Wulf Schade

 

Auf dem am 6. August 2005 stattgefundenen Tag der Heimat sprach sich die Vorsitzende der CDU und Kanzlerkandidatin der CDU/CSU Angela Merkel für das vom Bund der Vertriebenen (BdV) geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" aus. Diese Äußerung rief in Polen große Unruhe hervor, selbst in den politischen Kreisen, die Merkel durchaus positiv gegenüberstehen. Merkel versuchte während ihres Besuches in Warschau wenige Tage danach, am 16. August, durch ihre Äußerungen zur künftigen deutschen Außenpolitik gegenüber Warschau und Russland nach einem Wahlsieg der CDU/CSU wieder an Ansehen zu gewinnen, was ihr allerdings nur teilweise gelungen ist, wie einige Kommentare zeigen.

 

sWenn man die Äußerungen Merkels auf dem Tag der Heimat genau liest, kann man durchaus die andauernden Befürchtungen vieler Polen verstehen, bedeutende Teile der deutschen Gesellschaft - darunter auch die CDU/CSU - wollten die Geschichte relativieren und neu bewerten. So behauptete Erika Steinbach, die Vorsitzende des BdV und ebenfalls Mitglied der CDU ist, in ihrer Eröffnungsrede: "Jeder hier im Saale und in Deutschland weiß, wer den Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Daran braucht man uns am wenigsten zu erinnern. Die deutschen Heimatvertriebenen haben dafür dramatischer als andere Deutsche die Folgen zu tragen gehabt. Ja, es war Adolf Hitler, der die Büchse der Pandora geöffnet hat. Ein Behältnis, voll gefüllt mit Unmenschlichkeit und Gewalt. Es war eine schreckliche Herrschaft, erst über das eigene Volk, dann über ganz Europa mit dem singulären Holocaust." Eine Geschichtsrevision hier kann man nur dann nicht erkennen, wenn man bisher immer so gedacht hat. Und das ist anscheinend so bei Frau Merkel der Fall, im Gegensatz zum Innenminister Schily, der in seiner Rede an gleicher Stelle unzweideutig ausgesprochen hat, wer den Krieg zu verantworten hat und welche grausamen Folgen er nicht nur für "unsere deutschen  Flüchtlinge" hatte, sondern vor allem für andere Völker.

Frau Merkel sprach in ihrer Rede dagegen Sätze wie: "Niemand von uns leugnet die Ursächlichkeit der NS-Herrschaft für Krieg und Vertreibung. Niemand leugnet die fortdauernde Verantwortung des heutigen Deutschlands dafür, dass Diktatur und Krieg sich nicht wiederholen dürfen." und  "Das erinnert uns daran, dass die Befreiung Europas und auch Deutschlands vom Nationalsozialismus damals für viele Deutsche keineswegs anbrechende Freiheit und das Ende von Leid bedeutete. In der östlichen Hälfte Europas und in Mittel- und Ostdeutschland übernahm eine neue totalitäre Diktatur die Herrschaft." Ist es bei dieser Sicht der Dinge dann verwunderlich, wenn keine Worte über die von Deutschland vertriebenen und verschleppten Polen, Russen, Sinti und Roma usw., aber sehr viele über die deutschen Vertriebenen, ihre Leiden und ihre großen Beiträge zur Versöhnung zu finden sind?

Spart Frau Merkel insgesamt nicht mit Lob an der Arbeit des BdV in Vergangenheit und Gegenwart, so fällt nicht ein Wort der Kritik an der nahezu vollständig fehlenden kritischen Aufarbeitung der deutschen Geschichte von 1933-1945 seitens des BdV oder gar dessen eigener Geschichte. Zu einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte würde dann nämlich auch gehören, die eigene braune Vergangenheit aufzuzeigen und sich dazu zu stellen, dass eine große Anzahl derjenigen, die die so oft gerühmte, nichts desto Trotz revanchistische Charta der Vertriebenen von 1950 unterschrieben, in der Nazi-Zeit aktive Mitglieder der NSdAP waren und "dem deutschen Vaterland" treu gedient hatten. Wo bleibt eine Entschuldigung des BdV, die er immer wieder von den von Deutschland überfallenen Ländern wegen der Vertreibungen der Deutschen fordert, dafür? Und wo bleiben Entschuldigung und Schuldbekenntnis dafür, dass viele führende und ‚einfache' Mitglieder der Organisationen des BdV in der Zeit von 1933-1945 willige Teilnehmer an den Verbrechen Deutschlands waren?

Dieses fehlende Geschichtsbewusstsein führte dazu, dass beispielsweise der Verein Borussia aus Olsztyn/Masuren, einer der bekanntesten Vereine in Polen, der regionale Geschichte ohne Tabus aufarbeitet, seit 2003 eine Zusammenarbeit mit dem BdV, nicht jedoch mit einzelnen Verbänden der Vertriebenen, ablehnt. In einem offenen Brief wurde das so begründet: "Einige Führer des Bundes der Vertriebenen suchen uns in eine "Gedächtnisfalle" oder besser in ein "Beschweigen" zu ziehen. (...) Ich habe das Ostpreußenblatt (...) unter der Perspektive der Wahrnehmung des Zweiten Weltkriegs und der fünfjährigen Besatzung Polens analysiert. Nicht einmal fand ich einen Beitrag, der eine sorgfältige Analyse der deutschen Beteiligung am Zweiten Weltkrieg geboten hätte. Ich fand keinen Artikel, der die Deutschen als Täter während der Besetzung Polens und als Verantwortliche für das Leiden Tausender Polen dargestellt hätte. Eine solche Opferperspektive setzt erst mit dem Moment des Eindringens der Roten Armee nach Ostpreußen und der Aussiedlung der Deutschen ein. (...) Eine solche, für das Leiden anderer verschlossene "organisierte Erinnerung" halte ich für eine Falle. Sie schließt eine sachliche Verständigung aus, denn dazu bedarf es beiderseitiger Empathie. Die Empathie vieler Funktionäre der Vertriebenen (...) reicht so weit, wie die Leiden der eigenen, deutschen Nation reichen."* 

Genau weil eine selbstkritische Aufarbeitung des BdV fehlt, stattdessen immer wieder eine Entschuldigung seitens der von Deutschland überfallenen Völker wegen der Vertreibungen Deutscher gefordert wird, ist es verständlich, dass man in Polen auf die Forderung nach einem "Zentrum gegen Vertreibungen" so empfindlich reagiert, zumal dieser BdV und sein Projekt durch bedeutende gesellschaftliche Kräfte wie beispielsweise der CDU/CSU gestützt wird. Selbst Deutschland grundsätzlich positiv gegenüberstehende Politiker zeigen sich erschrocken, wie die Äußerungen des ehemaligen Außenministers Bronis³aw Geremek zeigen.

Wie tief der Geist des Revanchismus in den Kreisen des BdV noch verankert ist, kann man erkennen, wenn man die Reaktion vieler Teilnehmer an dem Tag der Heimat auf die einzige für Polen positive Anmerkung Angela Merkels betrachtet: "Entschädigungsforderungen, wie sie etwa die Preussische Treuhand vorträgt, rufen dagegen in Polen neue Angst hervor. Für sie gibt es, lassen Sie mich das an dieser Stelle klar und deutlich sagen, von uns keine politische Unterstützung." Da herrschte, wie Joachim Trenker in der polnischen Zeitung Tygodnik Powszechny berichtet, leises Gemurmel und es gab vereinzelte Pfiffe aus den hinteren Reihen. Und als der Innenminister Schily sprach, herrschte im Saal eisiges Schweigen…                       

* Robert Traba, Offener Brief an Frau Sibylle Dreher, Präsidentin des Frauenverbands im Bund der Vertriebenen, 2.7.2003, zitiert nach: Hans-Jürgen Bömelburg, Gestörte Kommunikation, in: Mittelweg 36, Juni/Juli 2005, S. 47