Erinnern und
Gedenken im Wandel der Zeit
Das Beispiel
Auschwitz
Von
Es dürfte nur wenige Orte auf unserem Planeten geben, die derart symbol geladen und -beladen sind wie Auschwitz, polnisch Oœwiêcim. Die Stätte, an der sich das größte
nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager befand mit ca. 1,2
Millionen Ermordeten, ist nicht nur Metapher für den Holocaust geworden.
"Auschwitz" steht symbolisch für Genozid, ja Massenmord schlechthin.
Sein allgemeiner Bekanntheitsgrad und sein Symbolgehalt verführen auch immer
wieder Politiker aller Schattierungen und aller Länder, vom Ökologen über den
Abtreibungsgegner bis zum Bundesverteidigungsminister, mit einem "Nie
wieder Auschwitz!" Gegner ihrer Politik publizistisch ins Abseits zu
stellen. Auch die Holocaust-Leugner und -Verharmloser
instrumentalisieren "Auschwitz" für politische Ziele.
Erste Nachkriegsnutzungen
Abgesehen von den Krematorien von
Birkenau, die in Ruinen lagen und den brennenden Magazinen dort, in denen das
den Ermordeten geraubte Gut gelagert worden war, fielen die drei in
unmittelbarer Nähe der Stadt Oœwiêcim gelegenen KZs
den sowjetischen Befreiern weitgehend unversehrt in die Hände. In Baracken der
Lager Monowitz und Birkenau richteten der sowjetische militärische
Sanitätsdienst und das polnische Rote Kreuz unverzüglich für die Tausende
kranker Häftlinge provisorische Lazarette ein. Etwa im März 1945 verlegte man
sie in das Stammlager, dessen Gebäude Heizung und Wasseranschluss hatten. Bis
Herbst 1945 war die Mehrzahl der Kranken so weit wieder hergestellt, dass sie
nach Hause entlassen werden konnten.
Teilweise erhaltene Wandmalereien
in zwei der gemauerten Baracken des Lagerabschnitts B I von Birkenau, lange
Zeit irrtümlich für Zeichnungen von KZ-Häftlingen gehalten und heute unter
Plexiglas vor weiterer Zerstörung geschützt, erinnern daran, dass die Sowjets
im März/April 1945 dort und im Stammlager ein Durchgangslager für deutsche
Kriegsgefangene unterhielten, die bis Herbst 1945 von hier aus zu Tausenden in
die Sowjetunion deportiert wurden. Der polnische Sicherheitsdienst UBP nutzte
ebenfalls einen Teil des ehemaligen KZs und internierte dort Volksdeutsche aus
der Region. Auch ehemalige KZ-Häftlinge waren darunter. Das polnische
"Übergangslager" im Stammlager bestand bis Herbst 1945, das in Birkenau
bis zum Frühjahr 1946.
Diese "Nachnutzungen"
des KL Auschwitz waren bis 1989 in Polen ein Tabu-Thema. Sie sind auch bis
heute nicht näher erforscht, hatten jedoch ein unbestreitbar Gutes: Die
militärische Bewachung der dort internierten Deutschen schützte die Bausubstanz
des Stammlagers und eines Teils von Birkenau vor Demontage, Plünderung und
mutwilliger Zerstörung. So ist etwa das KL Monowitz, Teil eines ganzen
Komplexes von Arbeitslagern der IG Farben Auschwitz für Kriegsgefangene sowie
für polnische, ausländische und deutsche Zivilarbeiter, wie diese Lager vom
Erdboden verschwunden. Nur ein kleiner Gedenkstein mit einer schlichten Tafel
im Dorf Monowice erinnert daran, dass hier das neben
Birkenau zweitgrößte Außenlager von Auschwitz stand, das im Sommer 1944 mit ca.
10.000 Häftlingen seine Höchstbelegung erreichte und in dem über 25.000
KZ-Zwangsarbeiter ums Leben kamen.
Nach Auflösung der polnischen und
sowjetischen Durchgangslager zogen vorübergehend in die soliden zweistöckigen
Backsteingebäude des Stammlagers nach Oœwiêcim zugewanderte
Familien ein. Zuvor schon wurden die unmittelbar an jenes angrenzenden, im
Frühjahr 1944 fertig gestellten Häuser der "Schutzhaftlagererweiterung"
zu Wohnzwecken umgebaut. Sie liegen heute außerhalb des eingezäunten
Museumsgeländes und dienen weiterhin als Wohngebäude. Auch der ehemalige
Kfz-Park beim Stammlager wurde als solcher weiter genutzt. Er gehört heute dem
kommunalen Bus- und Speditionsunternehmen "PKSiS
Oœwiêcim ".
Die museale Nutzung des ehemaligen KL Auschwitz
Schon kurz nach der Befreiung
begannen ehemalige Häftlinge, sich um die Hinterlassenschaften der Deutschen
auf dem Lagergelände zu kümmern. Es ging ihnen einmal darum, Lagerdokumente,
die der Vernichtung durch die SS entgangen waren, als Beweis für die in Auschwitz
begangenen Verbrechen zu sichern, zum anderen zu verhindern, dass Holz- und
Metalldiebe sowie Schatzsucher - es ging das Gerücht, die Juden hätten auf dem
Gelände in großem Umfang Wertgegenstände versteckt - nicht wieder gut zu
machende Zerstörungen an den Gebäuden und im Gelände anrichteten. Von Anfang an
stand der Gedanke dahinter, die materiellen Zeugen der Verbrechen für die
Nachwelt zu erhalten. Ehemalige Häftlinge, die sich in der Nachbarschaft des
Lagers niedergelassen hatten, bildeten mit Freunden eine
"Lagerwache", die regelmäßige Streifengänge unternahm und weitgehend
erfolgreich unerwünschte Eindringlinge abwehrte. Ebenfalls in privater
Initiative wurde schon 1946 ein kleines Museum eingerichtet, und ehemalige
Häftlinge führten Besucher, anfangs meist Verwandte und Bekannte sowie
Angehörige von im KL Auschwitz Umgekommen, durch das Lagergelände. Ihr Anliegen
war in erster Linie persönlich geprägt: Erinnerung an erfahrenes Leid und
Gedenken an die hier ums Leben gekommenen Kameraden.
Aber schon zu Beginn des Jahres
1946 schalteten sich staatliche Stellen ein. Die schiere Größe des
"Objekts" ließ eine auf rein privater Initiative beruhende Gedenkstättenarbeit
nicht zu. Während Birkenau weitgehend demontiert wurde - man ließ im
wesentlichen nur die massiven Baracken des Lagerabschnitts B I (Frauenlager)
stehen - wurde ab Jahresbeginn 1947 im Stammlager mit Rekonstruktionen
(Todeswand, Krematorium I) begonnen und eine erste, offizielle Ausstellung
aufgebaut. Eröffnet wurde sie am 14. Juni 1947, am Jahrestag des ersten
Transports polnischer Häftlinge nach Auschwitz, vom damaligen Präsidenten der
Polnischen Republik, dem ehemaligen Auschwitz-Häftling Józef
Cyrankiewicz, mit einem Festakt, an dem 30.000
Personen teilnahmen. Das Datum war bewusst symbolisch gewählt; im Zentrum der
Zeremonien und der Ausstellung stand das Leiden des polnischen Volkes unter der
deutschen Besatzung. Juden wurden als Opfer erwähnt, blieben jedoch am Rande.
Auschwitz sollte eine politische
Botschaft nach innen und außen tragen. Es sollte Polen und die Welt daran
erinnern, zu welchen Gräueln die Deutschen fähig seien, dass sie geborene
Feinde der slawischen Völker seien und dass man sie nur mit eiserner Faust
nieder halten könne. Auschwitz sollte ferner zur Rechtfertigung der Abtrennung
der deutschen Ostgebiete dienen, die die Deutschen den Polen einst mit Gewalt
geraubt hätten, sowie der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus diesen als
Strafe für die Initiierung des Krieges - ein Argument, das noch im Jahre 2004
vom damaligen israelischen Botschafter in Warschau öffentlich vertreten wurde.
Auschwitz sollte zugleich von der Komplizenschaft Nazi-Deutschlands mit der
UdSSR ablenken, die gemeinsam Polen im September 1939 überfallen und
untereinander aufgeteilt hatten, sowie von der Tatsache, dass die UdSSR sich
1945 ein Drittel des polnischen Vorkriegsterritoriums einverleibt hatte.
In den folgenden Jahren bis etwa
1954 wurde Auschwitz als Waffe im Kalten Krieg eingesetzt. Der verordneten
Freundschaft mit der DDR fiel die pauschale Schuldzuweisung an "die
Deutschen" fort. Täter in Auschwitz waren jetzt "die Nazis"
gewesen, polnisch hitlerowcy. Der Feind stand im
Westen: die USA, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland. Besuchern
wurden daher auch Bilder von KZs im Burenkrieg, in Spanien und Griechenland
gezeigt. Die "imperialistischen Aggressoren" wurden verdammt, die
Erfolge des polnischen Sechsjahresplans und des 3. Sowjetischen Fünfjahresplans
für den "Friedenskampf" herausgestrichen. Es fehlten in der
Dauerausstellung auch nicht die Bilder vom Atompilz über Hiroshima und dem im
Blut watenden GI, der eine Fahne mit dem Dollar-Symbol trägt.
Mit dem Tode Stalins entfiel für
die regierenden polnischen Kommunisten der Zwang, Auschwitz in den Dienst der
sowjetischen Außenpolitik zu stellen. Diejenigen Exponate, die nichts mit dem
Konzentrationslager Auschwitz selbst zu tun hatten, verschwanden. Zuvor schon
war die Ausstellung "Friedenskampf" geschlossen worden. Eine neue
Konzeption wurde erarbeitet, die im Rahmen des Gomulkaschen
"Nationalkommunismus" wieder Polen in das Zentrum des Gedenkens
stellte. Zum zehnten Jahrestag der Befreiung von Auschwitz wurde 1955 eine neue
Ausstellung eröffnet, die weitgehend unverändert bis in die neunziger Jahre
hinein Bestand hatte. Vor allem wurde in den Jahren ab etwa 1954 Auschwitz, das
in den Zeiten des Kalten Krieges immer mehr auch in der Bausubstanz herunter
gekommen war, durch erhebliche Mittelzuwendungen von Seiten des polnischen
Staates, durch die Einrichtung von Planstellen für Archiv, Bibliothek und
historische Forschung sowie einer Publikationsabteilung zu einem der
wichtigsten Orte des institutionalisierten historischen Gedenkens in Polen.
Nicht wenig zu dieser Entwicklung
beigetragen hatte auch Druck von außen durch internationale
Häftlingsvereinigungen, vor allem das Internationale Auschwitz-Komitee.
Überlebende von Auschwitz forderten vor allem eine Gedenkanlage, die sich für
Großveranstaltungen aus Anlass der zahlreichen Jahrestage eignen würde. In
Frage kam hierbei aus praktischen Gründen nur das - weitgehend abgeräumte -
Gelände von Birkenau, da die relativ dichte Bebauung des ehemaligen Stammlagers
hierfür keinen Platz bot. Es dauerte fast 10 Jahre, bis das (auch heute noch
stehende) "Denkmal für die Opfer des Faschismus" im Jahre 1967 eingeweiht
werden konnte. In seiner Symbolik von Tod und Auferstehung lehnt es sich stark
an christliche Traditionen an. Der einfache "Winkel" und die
heroisierende Inschrift am Hauptmonument stellen den politischen Häftling
heraus, die in den Boden eingelassenen Bronzetafeln in 19 Sprachen den
internationalen Charakter des "Kampfes gegen den Faschismus". Dass
die übergroße Anzahl der Toten von Auschwitz nicht politische Kämpfer, sondern
Menschen waren, deren einziges Verbrechen in ihrer Geburt als Juden lag,
verschweigt das Monument.
Die Internationalisierung von
Auschwitz hatte auch zur Folge, dass im Stammlager mehr und mehr "Häuser
der Nationen" eingerichtet wurden. Bemerkenswert ist hierbei, dass auch
die Juden ein eigenes Haus bekamen, gerade zu der Zeit, als der polnische
Nationalkommunismus sich eines virulenten Antisemitismus' befleißigte, der nach
den Märzunruhen 1968 zum Exodus des Großteils der im Lande befindlichen Juden
führte. Mit noch etwa 8.000 Juden bei einer Bevölkerung von 32 Millionen war
Polen praktisch "judenfrei" geworden. Der massiven Kritik des
(westlichen) Auslandes an den antisemitischen, als "antizionistisch"
kaschierten, Maßnahmen von Partei und Regierung trat man mit der jüdischen
Ausstellung in Auschwitz publikumswirksam entgegen, ohne jedoch den polnischen
Charakter der Gedenkstätte in Frage zu stellen.
Eine Wende in der Gedenkpolitik
brachte der Besuch des Papstes am 7. und 8. Juni 1979. Gleich auf seiner ersten
"Pilgerreise" als Papst in seine Heimat besuchte Johannes Paul II.
Auschwitz und feierte in Birkenau mit etwa einer Viertelmillion Gläubiger die
hl. Messe. In seiner Predigt betonte der Papst die christliche, genauer gesagt,
katholische Seite des Leidens der Opfer von Auschwitz. Als symbolisch dafür erwähnte
er nicht nur den (polnischen) Franziskanerpater Raimund Kolbe (als "Maksymilian Maria" 1982 heilig gesprochen), der
freiwillig für einen Mitgefangenen in den Tod gegangen war, sondern auch die
(deutsche) Karmelitin Edith Stein (1998 als
"Theresia Benedicta vom Kreuz" heilig
gesprochen), die Anfang August 1942 als -
wenn auch getaufte - Jüdin nach Auschwitz deportiert und sofort nach
Ankunft vergast wurde.
Die Fragmentierung des Gedenkens
Mit dem Papstbesuch 1979 wurde
eine neue Seite des Gedenkens in Auschwitz aufgeschlagen: Nicht mehr der
(polnische) Staat allein bestimmte, wessen hier gedacht werden sollte, sondern
die Opfergruppen meldeten sich von jetzt an vernehmlich selbst zu Wort. Dabei
führten unterschiedliche kulturelle Gedächtnisse auch zu unterschiedlichen
Interpretationen von "Auschwitz", die zu einer
"Opferkonkurrenz" geführt haben und ein nicht unerhebliches
Konfliktpotential in sich tragen. Im Westen und in Israel steht
"Auschwitz" für den Genozid an den Juden Europas. Symbolischer Ort
ist Birkenau mit der "Rampe" und den Ruinen von Gaskammern und
Krematorien. In Polen steht " Oœwiêcim /
Auschwitz" für das Martyrium Polens unter der deutschen Okkupation im II.
Weltkrieg. Symbolischer Ort ist das Stammlager mit der "Todeswand" im
Hof von Block 10. Die politischen Gefangenen anderer Länder sind in den letzten
Jahren mehr und mehr in den Hintergrund des Gedenkens getreten.
Seit einigen Jahren haben sich
auch die Sinti und Roma, von den Nazis als "Zigeuner" Verfolgte,
nachdrücklich zu Wort gemeldet. Für sie steht "Auschwitz" für den von
den Nazis an ihrem Volk verübten Genozid. Symbolischer Ort ihres Gedenkens sind
die Überreste des "Zigeuner-Familienlagers" B II e in Birkenau. Für
Russen und andere Bewohner der ehemaligen Sowjetunion steht "Auschwitz"
als Symbol für das Leiden der sowjetischen Kriegsgefangenen, aber auch für den
Sieg im "Großen Vaterländischen Krieg" - schließlich war es die Rote
Armee, die Auschwitz befreite. Für von den Nazis verfolgte Minderheiten schließlich,
wie Jehovas Zeugen oder Homosexuelle, hat "Auschwitz" keinen
spezifischen Symbolcharakter - es war einer von vielen Orten des Leidens ihrer
Gruppen. Als "Asoziale" oder "Berufsverbrecher"
klassifizierte Opfer von Auschwitz haben bis heute noch keinen Platz im Gedenken
gefunden.
Der Streit um die
Definitionshoheit über "Auschwitz" wurde und wird vor allem zwischen
Polen und Juden ausgetragen. Zwar akzeptiert die polnische Seite fraglos, dass
die übergroße Mehrzahl der Opfer von Auschwitz ihrer "Rasse" wegen verfolgte
Juden waren. Beide Seiten sind sich auch einig darin, dass Auschwitz der größte
Friedhof ihrer Völker ist. Streitig ist jedoch einerseits, wer insgesamt mehr
unter den Nazis/den Deutschen gelitten habe (die schon erwähnte
"Opferkonkurrenz", an der sich der neuerdings auch die Sinti und Roma
beteiligen), andererseits die Frage, wie der Opfer von Auschwitz zu gedenken
sei. Für Polen, für die traditionell Polentum und Katholizismus (in seiner
speziell polnischen Ausprägung) untrennbar zusammen gehören, sind christliche
Symbole, wie das Bild der Mutter Gottes und vor allem das Kreuz, an einem
derart prominenten Ort des Martyriums unverzichtbare Attribute. Für Juden
hingegen ruft gerade das Kreuz die Erinnerung an eine jahrtausende
lange Verfolgung "im Zeichen des Kreuzes" hervor - ein Kreuz auf
einem jüdischen Friedhof ist für sie untragbar.
Auf jüdischer Seite ist auch
nicht vergessen, dass der hl. Maksymilian Kolbe vor
dem Kriege Herausgeber strikt antisemitischer Publikationen war, und man
erinnert auch daran, dass Edith Stein nicht als Märtyrerin des katholischen
Glaubens, sondern ihrer "Rasse" wegen, als Jüdin, ermordet wurde. Zum
offenen Konflikt kam es 1984, als im unmittelbar an den Zaun des Stammlagers
angrenzenden "Theatergebäude" ein Karmelitinnen-Konvent
eingerichtet und die "Neue Kommandantur" von Birkenau in eine Kirche
umgewandelt wurde, deren Kreuz das Lagergelände bis zum heutigen Tage
dominiert. Heftige Proteste von internationaler jüdischer Seite führten 1993
zum Umzug der Karmelitinnen in ein Gebäude in der
Stadt Oœwiêcim. 1998 kam es wieder zu einem
erbitterten Konflikt, als Jugendliche in einer ehemaligen Kiesgrube, ebenfalls
dicht am Zaun des Stammlagers gelegen und von der Lager-SS
als Exekutionsstätte genutzt, Kreuze errichteten. Auf ein staatliches Machtwort
hin wurden diese Kreuze, bis auf das "Papstkreuz", unter welchem
Johannes Paul II im Juni 1979 die hl. Messe zelebriert hatte, im Mai 1999
wieder entfernt.
Ebenfalls nicht unumstritten
unter Polen ist der "Marsch der Lebenden" vom Stammlager nach
Birkenau, seit 1988 alle zwei Jahre, ab 1996 jährlich am Jom
HaShoah (etwa Anfang Mai) vom israelischen
Kultusministerium und der Organisation "March of
the Living
International" veranstaltet. Tausende von jüdischen Jugendlichen nehmen
daran teil - in diesem Jahr (2005) waren es 18.000. Seit 1998 sind auch
polnische Juden dabei und ab 2000 gehen auch hohe Regierungsvertreter Polens
und Israels mit (im Jahre 2000 die Präsidenten Kwaœniewski und Weizmann, 2005 die Premiers Be³ka
und Sharon).
Die Schwierigkeiten im Umgang von
Polen und Juden miteinander liegen nicht nur in dem von Polen oft als
unangemessen empfundenen Auftreten einzelner jüdischer Jugendgruppen auf dem
Gelände des ehemaligen KL Auschwitz, sondern vor allem in entgegengesetzten
nationalen Stereotypen: In polnischer Perspektive herrscht das Selbstbild vom
Polen als edlem Judenretter vor, während auf jüdischer Seite das Bild des szmalcownik dominiert, der für schäbige materielle Vorteile
Juden an die Deutschen verriet. Letzthin unternommene Versuche von polnischer
Seite, durch Androhung von Zivilklagen gegen Autoren und Medien das negative
Polenbild auf westlich-jüdischer Seite zu korrigieren, haben bisher eher zur
Verhärtung der Fronten als zu gegenseitiger Annäherung geführt.
Die Gedenkstätte, das Staatliche
Museum Auschwitz-Birkenau, steht diesen Entwicklungen nicht tatenlos gegenüber.
Ihre Verantwortlichen bemühen sich, durch Schulung der przewodnicy
(das Wort "Führer" hört man aus verständlichen Gründen in Auschwitz
nicht gern) diesen Tendenzen entgegen zu steuern. Zwar ist der Eintritt in die
Gedenkstätte frei, aber jede Besuchergruppe ist grundsätzlich verpflichtet,
sich anzumelden und gegen eine geringe Gebühr einen przewodnik
zu mieten. Führungen machen einerseits (fest angestellte) Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Museums, vor allem aber freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
wobei es die relative Nähe von Auschwitz zu den Universitätsstädten Krakau und
Kattowitz möglich macht, für fast jede gängige Sprache einen przewodnik zu finden. In der "Saison" (etwa März
bis November) beschäftigt der Besucherdienst des Museums ca. zwanzig
hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (davon die meisten in der
Administration), und etwa fünfzig przewodnicy sind in
diesem Zeitraum täglich im Einsatz.
Auschwitz als touristischer Faktor in der Region
Von Anbeginn war das Gelände des
ehemaligen KL Auschwitz, genauer gesagt, das von Stammlager und Birkenau, Ziel
von Besuchern aus Polen, aber auch von außerhalb. Stellten ausländische
Besucher anfangs nur wenige Prozent der Gesamtzahlen, so stieg ihr Anteil in
den folgenden Jahren stetig an, überschritt um 2000 die Fünfzig-Prozent-Grenze
und liegt derzeit bei etwa zwei Dritteln. Seit 1951 haben über 27 Millionen
Menschen Auschwitz besucht. Allein für 2005 rechnet man im Staatlichen Museum
Auschwitz-Birkenau mit mindestens 700.000 Besucherinnen und Besuchern, davon
fast eine halbe Million aus dem Ausland.
Für das südwestliche Polen ist
"Auschwitz" zu einer der größten touristischen Attraktionen geworden.
So werben Krakauer Touristikunternehmen auf großflächigen Plakaten und auf in
Hotels verteilten Flugblättern (nur in Englisch!) für den Besuch der Trias
"Old Town Cracow", "Wieliczka Salt
Mine" und "Auschwitz-Birkenau Death
Camp". Ähnlich wie seinerzeit die Berliner Mauer ist auch Auschwitz zur
"Kranzabwurfstelle" für offizielle Besucherdelegationen geworden, und
wer in Deutschland oder Österreich staatliche Fördermittel für die Polenreise
einer Jugend- oder Erwachsenengruppe beantragt, tut gut daran, den Besuch von
Auschwitz ins Pflichtprogramm aufzunehmen.
Nur wenige Gruppen, und diese
vorwiegend aus Deutschland und Österreich, bleiben länger als ein paar Stunden
in Auschwitz. Die übergroße Mehrzahl der Besucher wird zum Parkplatz am Museum
gefahren und fährt auch wieder von dort ab. Die Stadt Oœwiêcim
selbst hat wenig Vorteile vom "Holocaust-Tourismus", muss aber mit
häufigen Einschränkungen der Bewegungsfreiheit seiner heute ca. 46.000 Bewohner
leben (bei Staatsbesuchen) und Abstriche an deren Lebensqualität hinnehmen, wie
die in der internationalen Presse hochgespielten Fälle eines
"Supermarktes" und einer Diskothek im Stadtgebiet - keinesfalls auf
ehemaligem Lagergelände oder dicht daneben geplant gewesen - gezeigt haben.
Pädagogische Konzepte
Nicht nur der Generationswechsel
- Jahr für Jahr nimmt unwiderruflich die Zahl derer ab, die selbst in Holocaust
und Nazi-Okkupation verwickelt waren oder zu deren Opfern gehörten - sondern
auch die Tatsache, dass immer mehr Besucher zu denen zählen, die weder selbst
noch familiär etwas mit dem Auschwitz der Jahre 1940-1945 zu tun hatten (man
denke etwa an die steigenden Besucherzahlen aus Fernost), stellen das Gedenken
in Auschwitz und an "Auschwitz" vor neue Aufgaben. Will die
Gedenkstätte nicht zu einem monströsen Gruselkabinett, zu einem
überdimensionalen "Foltermuseum" verkommen, dann muss sie das
Gedenken an Opfer und Täter einbinden in die politische Bildungsarbeit mit
Jugendlichen und Erwachsenen, und das nicht nur für die Nationen, aus deren
Reihen die Mehrzahl der Täter und der Opfer kamen, also Deutsche, Polen und
Juden.
Dieses "universalen"
Aspekts von "Auschwitz" ist sich die Leitung der Gedenkstätte
Auschwitz-Birkenau durchaus bewusst. Seit vielen Jahren schon führt das Museum
in Zusammenarbeit mit den Universitäten von Kattowitz und Krakau sowie der
Pädagogischen Hochschule Krakau mehrtägige Fortbildungsveranstaltungen für
Lehrkräfte durch. Dieses - bisher auf Polen beschränkte - Vorhaben soll in
Zukunft erheblich ausgebaut werden. Unter den Stichworten "Erinnerung -
Bewusstsein - Verantwortung" ist ein umfassendes Programm zur
historisch-politischen Bildung am authentischen Ort in Planung. Räumlich
angesiedelt werden soll es im "Theatergebäude", das seit dem Auszug
der Karmelitinnen leer stand und zur
Zeit gründlich renoviert wird.
Es geht den InitiatorInnen
hierbei weder um eine Perpetuierung der Schuldzuweisung an "die
Deutschen" noch um eine martyriologische
Glorifizierung der Leiden des polnischen und/oder jüdischen Volkes. Der Blick
soll nicht allein auf das Ende des "Weges nach Auschwitz" gerichtet
sein, also auf die Gaskammern und Krematorien. Man will beginnen mit der
Analyse dessen, was zu Völkermord und Menschheitsverbrechen geführt hat - Hass,
Verachtung, nationale Überheblichkeit, Antisemitismus, Xenofobie
- und daraus Schlüsse ziehen. Der "Zivilisationsbruch Auschwitz" (Dan
Diner) soll nicht mehr nur beklagt werden. Es soll versucht werden, seine
Ursachen zu ergründen, um eine Wiederholung zu verhindern, denn: "Es ist
geschehen. Also kann es wieder geschehen" (Primo
Levi).
Das wird jedoch von allen am Diskurs Beteiligten verlangen müssen, bereit zu sein, Ansprüche auf die alleinige Wahrheit in der Sicht der Dinge aufzugeben und in gegenseitigem Respekt zu grundsätzlichen Gemeinsamkeiten zu kommen. Nur dann wird es möglich sein, das "Nie wieder Auschwitz!" aus der Leerformelhaftigkeit wohlfeiler Sonntagsreden zu erlösen und in konkretes Handeln umzusetzen. Nirgendwo anders kann dies besser in die Wege geleitet werden als in Auschwitz selbst, am authentischen Ort des größten Menschheitsverbrechens der bisher bekannten Geschichte.