Mit der VVN-BdA nach Auschwitz
Marsch der
Lebenden
Von
Das Angebot an Gedenkstättenfahrten ist groß. Viele Organisationen
bieten sie vor allem jungen Leuten an. Häufig wird die Deutsch-Polnische Gesellschaft
der Bundesrepublik Deutschland e.V. um Unterstützung angefragt. So auch für
eine Fahrt der VVN-BdA im Mai nach Auschwitz, die ich
für vorbereitete und begleitete. Es
wurde keine gewöhnliche Auschwitz-Reise, über die hier zu berichten ist.
Auschwitz ist keine stille
Gedenkstätte. Auch in Normalzeiten ist dort der Besuch rege. Neben den vielen
polnischen Besuchern kommen Besucher aus aller Welt, darunter viele aus
Deutschland, Israel und den USA. Im Mai dieses Jahres wurde alles überboten. 18.000
Menschen, vorwiegend jüdische Teilnehmer, aber auch zahlreiche polnische
Jugendgruppen, bevölkerten die Gedenkstätte, um dann in einem Marsch zum
Vernichtungslager Birkenau der weit über eine Million Ermordeter von Auschwitz
zu Gedenken. Inmitten des Meeres von Fahnen (meist israelische oder polnische)
eine Gruppe mit einem politischen Transparent: "Faschismus ist keine
Meinung, sondern ein Verbrechen" stand auf dem Transparent der Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA),
die erstmals an dem "Marsch der Lebenden" teilnahm.
Viele Teilnehmer des Marsches,
die aus Kanada und Brasilien, Russland und Australien kamen, hatten gerade den
einen Tag Zeit für Auschwitz. Die weite Anreise musste sich lohnen, so dass man
in den wenigen Tagen Auschwitz und Majdanek, aber
auch Krakaus ehemaliges jüdisches Stadtviertel Kazimierz und den Ort des
Warschauer Ghettos besuchen wollte. Die Gruppe der VVN-BdA
konnte sich einige Tage Zeit nehmen, wollte Auschwitz intensiver erkunden. Doch
selbst das, so stellte sich im Verlauf der Gedenkstättenreise heraus, war noch
zu wenig Zeit.
Ja, man braucht Zeit in
Auschwitz. Schon allein das "Stammlager", aus ehemaligen
Kasernengebäuden bestehend, hat in fünf Gebäuden eine Ausstellung von Dokumenten
und Artefakten eingerichtet, für die eine mit zwei Stunden geplante Führung
nicht ausreicht. Die Teilnehmer fühlen sich durchgeschleust, bedrängt. Man
möchte Zeit haben, mehr zu lesen, zu reflektieren. Die Menge auf den Besucher
einstürzender Informationen erschlägt ebenso wie die Dimension des Verbrechens.
Dabei ist dies "nur" das Konzentrationslager.
Das, was alle Welt mit dem
Begriff "Auschwitz" verbindet, ist eigentlich Birkenau. Das
Vernichtungslager im drei Kilometer entfernten Ortsteil auf der anderen Seite
der Bahnlinie. Hier sind die Dimensionen unerträglich. Und der zweite Besuch
hier am Tag nach dem Marsch war eigentlich noch bedrückender, weil die Menge
der Menschen, die Großbildschirme, die Redner fehlten. Und weil zwei Menschen
uns führten, die auf unterschiedliche Art den Zugang zu unseren Teilnehmern
fanden: Einer von Ihnen war Dr. Gideon Greif von Yad Vashem, der sich nach einer Organisationspanne spontan
bereiterklärte, eine Gruppe zu führen. Ohne Pathos, manchmal erschreckend
sachlich, machte er auch diejenigen, die schon häufiger hier waren, sprachlos.
Am Tag zuvor hatten die 18.000
der Ansprache des Friedensnobelpreisträgers Eli
Wiesel und zahlreichen Grußadressen, darunter der des polnischen Ministerpräsidenten
Be³ka gelauscht. Nur eine Rede, auf die viele mit
Spannung warteten, war nicht zu verstehen. Für die hebräische Ansprache des
Israelischen Ministerpräsidenten Sharon gab es keine Übersetzung.
Übersetzung hatte auch das
Transparent der VVN gebraucht. Auf Englisch, Deutsch, Französisch, Polnisch und
Russisch erläuterten unsere Teilnehmer die Bedeutung des Slogans, wobei sie
immer überraschte und zustimmende Reaktionen ernteten. Dass ausgerechnet
Deutsche mit einer solch klaren Aussage hier auftraten, wurde von allen
begrüßt. Eine Szene werde ich lange in Erinnerung behalten. Da kam ein
Überlebender, geboren in Polen, der heute in den USA lebt. Er hatte den Roten
Winkel auf Fahne und Transparent gesehen und fragte auf Englisch, ob wir etwas
mit der VVN zu tun hätten. Als wir ihm bestätigten, dass wir eine Gruppe der
VVN seien, sprudelte es nur so aus ihm heraus. Also nach dem Kriege, da war er
einige Jahre in München. Und da gehörte er auch der VVN an. Als er dann in die
USA gegangen war, hatte ihn dort sogar der CIA verhört, was er denn in dieser
Organisation gemacht hätte. Aber er habe erklärt, dass "wir ehemaligen
KZ-Häftlinge alle in der VVN waren". Er wollte noch viel erzählen, konnte
sich gar nicht losreißen, aber seine Gruppe war schon längst weiter gezogen und
holte ihn zurück.
Und dann war da noch der Besuch
in Monowitz. Seinerzeit ein kleines Dorf am Rande von Auschwitz, heute der
Industriestandort der Kleinstadt. Hier entstand die Fabrik der IG Farben. Hier
gab es ein eigenes kleines KZ für die Bauarbeiter. An dem Mahnmal vor dem
Eingang der heutigen Chemischen Fabrik Oœwiêcim legte
unsere Gruppe in einer kleinen Gedenkfeier Blumen nieder. Diesmal war nicht von
den großen Zahlen der Opfer die Rede, sondern von einem, der diese Hölle überlebt
und bis zu seinem Tode vor wenigen Jahren mit und in der VVN gekämpft hatte, u.a. für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter: Hans
Frankenthal.
Oœwiêcim,
wie Auschwitz auf Polnisch heißt, konnten wir nur wenig erkunden. Dafür war die
Zeit zu kurz, sollten doch im ehemals jüdischen Kazimierz und im historischen
Krakau die Spuren deutsch-polnischer Geschichte aufgenommen werden - die engen
Beziehungen zwischen Krakau und Nürnberg im Mittelalter beispielsweise, aber
auch das Wirken von Generalgouverneur Hans Frank als Imperator während des
Krieges auf dem Wawel.
Zeit brauchten wir auch für
Gespräche wie beispielsweise mit Tadeusz Sobolewski,
einem polnischen Schauspieler, dessen Filme auch auf den Festivals in Cannes
gezeigt worden waren. Früher, als junger Mann, hatte er aber die Hölle des KZ
Auschwitz durchlaufen. Seine Art zu berichten, war voller Lebendigkeit,
packend. Eine heftige Diskussion folgte seinem Bericht, bei der die Meinungen
auch aufeinander prallten, wenn er
beispielsweise Verständnis für den Irak-Krieg zeigte.
Ein anderes Gespräch trug auch
nicht zur Beruhigung der deutschen Gäste bei. Mitglieder von "Nigdy Wiêcej" (Nie Wieder)
berichteten vom wachsenden Rechtsradikalismus in Polen, von nationalistischen
Parteien und jugendlichen Nazis. Wenn diese Erscheinungen auch lange nicht den
Umfang wie in Deutschland erreicht haben, sind sie dennoch bedenklich.
Auf der Rückfahrt der einwöchigen
Gedenkstättenreise erstatteten wir dann noch Wroc³aw einen Besuch ab. Das
Programm sah vor, uns einen kleinen Eindruck der Stadt zu vermitteln, die viele
Jahre deutsch war und Breslau hieß. Da war es denn auch kein Wunder, dass im
Abschlussgespräch auch wieder das Thema der Reise "Faschismus und Krieg -
und seine Folgen" im Mittelpunkt stand. ‚Der in der Potsdamer Konferenz
beschlossene Bevölkerungsaustausch - Deutsche mussten das Land in Richtung
Westen verlassen und dafür wurden Polen angesiedelt, welche ihrerseits ihre
Heimat verlassen musste, die heute in Litauen, Belarus oder Ukraine liegt -
führte zu einem völligen Verlust des kollektiven Gedächtnisses der Stadt',
erklärte uns Jens Adam vom Edith Stein Haus in Wroc³aw. Deshalb beschäftigt
sich derzeit eine Arbeitsgruppe damit, von den ehemaligen Bürgern Breslaus
Zeitzeugenberichte über Widerstand und Verfolgung in der Zeit des Naziregimes
in Breslau zu sammeln. Dabei taucht auch die Behandlung des Themas
"Vertreibung" auf, die sich aber wohltuend von der der
Vertriebenenverbände abhebt.
Die Gedenkstättenreise in der Woche vor dem 8. Mai zeigte eines deutlich: Derartige Fahrten nach Polen müssen auch künftig angeboten werden - für Mitglieder, aber auch für andere Interessierte. Es gibt nicht nur Dachau, Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen. Auf uns warten auch Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Theresienstadt und Mauthausen.