Biopolitik
grenzenlos.
Stimmen aus
Polen.
Magdalena Telus, Bochum/Wroc³aw
Während ein deutscher Reproduktionsmediziner öffentlich zugibt, Paare
zwecks Eizellspende nach Polen zu überweisen ("Die Zeit", 8.5.2002,
S.37), wirbt ein führender polnischer Reproduktionsmediziner damit, "bei
den besten" und das heißt für ihn, den Deutschen, gelernt zu haben
("Twój Styl", Juni 2003, S. 164). Unversehens beschert die
Reproduktionsmedizin den deutsch-polnischen Beziehungen eine neue Qualität.
Während jedoch polnische Eizellen zu deutschen Kindern werden sollten, spielt
der Vergleich mit dem östlichen Nachbarn in Sachen Biopolitik keine Rolle. Wir
wissen, dass in Großbritannien verbrauchende Embryonenforschung, Eizellspende,
ja gar Leihmutterschaft erlaubt sind. Die deutschen Kontrahenten der Biopolitik
setzen das englische Beispiel in ihren Argumentationen ein, egal, ob sie das vergleichsweise
strenge deutsche Embryonenschutzgesetz bejahen oder ablehnen. Und wie steht es
nun um das "polnische Beispiel"?
Der von Heidi Hoffmann
herausgegebene Sammelband, der erstaunlicherweise keine institutionelle
Förderung erfuhr (!), ist meines Wissens die erste Bestandsaufnahme bezüglich
der polnischen Biopolitik und als solche leistet er für alle, die sich auf
europäischen Biofeldern tummeln, unverzichtbare Dienste. Mehrere verblüffende
Erkenntnisse gehen aus dieser Bestandsaufnahme hervor.
So erfahren wir erstens, dass die
Frage, was in den Reproduktionstechnologien erlaubt und was verboten werden
sollte, in Polen bislang unbeantwortet blieb. In mehreren Beiträgen (Weronika
Chanska, Zbigniew Szawarski, Eleonora Zieliñska, Maria Boratyñska, Przemys³aw
Konieczniak und Janusz Symonides) wird die juristische Lage erörtert und die
diversen legislativen Vorstöße seit 1986 mit ihren gesellschaftlichen
Hintergründen dokumentiert. Anders als im Falle des Schwangerschaftsabbruchs,
wo die Schlacht durch die Pro-Life-Gruppierungen gewonnen wurde, verlief sich
der Kampf um die Reproduktionstechnologien bislang in diversen Gesetzesentwürfen,
für die jedoch keine politische Partei so richtig zu Felde zu ziehen gewillt
war. Die Botschaft für den polnischen Reproduktionsmediziner: Was nicht
verboten ist, ist erlaubt (Marian Szamatowicz).
Angesichts dieser
uneingeschränkten Möglichkeiten erstaunt es eher, dass es in Polen nur etwa 10
IVF-Zentren oder klinische Gynäkologieabteilungen, die IVF
(In-vitro-Fertilisation - Reagenzglasbefruchtung) anbieten, geben soll.
Gemeldet wurden insgesamt knapp über 5.000 stimulierte Zyklen jährlich (in Deutschland
sind es vergleichsweise über 100.000 Zyklen), die Zahl der behandelten Frauen
wird nicht angegeben (in Deutschland sind es jährlich über 60.000). Statistiken
auf diesem Gebiet stellen eine sensible Angelegenheit dar, da die Reproduktionsmedizin
eher bescheidene Erfolgsraten von etwa 15% zu verzeichnen hat und obendrauf
immer mehr dazu gedrängt wird, die gesundheitlichen Nebenwirkungen der
Behandlung für Frauen mitzuerfassen. Beispielsweise erfahren wir aus der
deutschen offiziellen Statistik, dem Deutschen IVF-Register, dass es in
Deutschland im Jahre 2002 in 380 Fällen zu dem so genannten Schweren Ovariellen
Überstimulationssyndrom kam, das durch Einnahme von Hormonpräparaten entsteht
und Frauen in Lebensgefahr bringt. Aus dem Sammelband von Heidi Hoffmann
erfahren wir wiederum, dass vergleichbare Zahlen für Polen nicht
vorliegen, von einigen Zentren aber
fantastische Erfolgsraten von 60 bis 70% gemeldet werden.
Dies ist ein Hinweis dafür, dass
die polnischen Reproduktionsmediziner jenseits jeder gesellschaftlichen
Kontrolle arbeiten. Der Beitrag von Anna Sobolewska zeigt, dass in der polnischen
Diskurslandschaft viele Fragen aus dem bioethischen Bereich, so etwa nach
Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik, nicht aufrichtig diskutiert werden,
da die polnische Öffentlichkeit das Thema Reproduktionstechnologien und ihre
moralischen Dilemmata für sich noch nicht entdeckt hat. Magdalena Œroda
begründet diesen Zustand mit einer grundlegenden Marginalisierung der Frau, die
nach ihrer Einschätzung die polnische Gesellschaft charakterisiere.
Damit sind wir bei der wohl
wichtigsten Erkenntnis des Bandes angelangt, die mit dem ursprünglichen
Interessenfeld der Verfasserin Heidi Hofmann zu tun hat, nämlich mit den feministischen
Diskursen über Reproduktionsmedizin. In der westlichen Welt erleben die Feministinnen
diese Technologien sehr ambivalent und die Positionen reichen von einer
Bejahung im Sinne der reproduktiven Rechte im Dreierpaket (Pille, Abtreibung,
IVF) bis zu einer Ablehnung mit Hinweis auf bedenkliche gesundheitliche,
psychische und soziale Folgen für die Frauen. Sozialwissenschaftliche Studien
belegen, dass Frauen oft jahrelang ergebnislos in reproduktionsmedizinischer
Behandlung verbleiben und dabei andere Lebensziele vernachlässigen. Sterilitätsbehandlung
wird für die Frau nicht selten zu einer biographischen Falle, IVF-Versuche
werden als ähnlich belastend erlebt wie Scheidung oder der Tod eines
Angehörigen.
Von dieser Ambivalenz ist unter
polnischen Feministinnen keine Spur zu finden, wie die Beiträge von Alicja Przy³uska-Fiszer
und Izabela Jaruga-Nowacka im Gespräch mit Sylwia Spurek belegen. Die
polnischen Feministinnen stehen offenbar unter dem starken Eindruck ihrer
Niederlage in der Auseinandersetzung um die gesetzliche Regulierung der Abtreibung
von 1997. Besonders die Auseinandersetzung mit der polnischen katholischen
Kirche, die die IVF wie die Abtreibung vehement ablehnt, führe nach Ansicht von
Gesine Fuchs zu einer "diskursiven Verschließung": Die polnischen
Feministinnen werden durch die Position der katholischen Kirche zu einer
Perspektive gedrängt, die die Schattenseiten der Reproduktionsmedizin im toten
Winkel verschwinden lässt. So passt auch die Bejahung der Reproduktionsmedizin
durch den Sprecher des Betroffenenvereins Nasz Bocian, Piotr Pa³asz, gut ins
Bild. Gesellschaftliche Initiativen zur kritischen Beobachtung reproduktionsmedizinischer
Entwicklung von nicht kirchlichen Positionen aus scheinen für Polen derzeit
genauso wenig denkbar wie etwa ein Dialog über Reproduktionsmedizin zwischen
Reprokult (ein deutsches Netzwerk zur kritischen Beobachtung
reproduktionsmedizinischer Entwicklungen) und OŒKA (ein polnisches Informationszentrum
über Frauenorganisationen und -initiativen).
Abgerundet wird der Band durch
die Gespräche der Herausgeberin mit zwei deutschen Wissenschaftlerinnen und
Politikberaterinnen, Sigrid Graumann und Kathrin Braun, sowie zwei polnischen
Frauenrechtlerinnen, Aleksandra Solik und Bo¿ena Solik. Und siehe da - so neu
das Thema im Spannungsfeld des deutsch-polnischen Verhältnisses auch sei, zum
Schuss begegnen wir wieder der bekannten Asymmetrie, bei der die Einen von den
Anderen mehr wissen als umgekehrt. Und bei der alle wissen, wie es sich mit den
Richtungen verhält.
Hoffmann,
Heidi (ed.) 2005, Biopolitik grenzenlos. Stimmen aus Polen. Herbolzheim:
Centaurus Verlag, 326 S., ISBN 3-8255-0510-3, Preis: 22,90 €