Gedanken über meine Jahre in Polen - eine etwas andere Sicht

Von Lore Beusch                                                          

 

Wenn ich immer wieder und überall, auf verschiedenen Ebenen, von den Schwierigkeiten höre, die angeblich zwischen Polen und Deutschen bestünden, dann revoltiert es in mir; manchmal weiß ich nicht, wovon die Menschen sprechen. Die negative und pessimistische Sichtweise überwiegt mir zu sehr, vor allem, wie mir scheint, im Westen Deutschlands.

 

Meine persönliche Sicht ist eine ganz andere. Ich schaue jeden Tag über die Oder nach Polen und wünsche mir nichts sehnlicher, als dass endlich wieder die Fähre eingerichtet wird, die früher Güstebieser Loose mit Güstebiese, heute Gosdowice, verband. Wir könnten dann einfach so ins Nachbarland radeln, eine Tasse Kaffee trinken, mit den Leuten ein bisschen schwatzen und wieder heimradeln, also einen ganz normalen Alltag leben. Die beiden Brücken, Küstrin-Kietz und Hohenwutzen, sind für eine spontane Radtour zu weit entfernt, aber mit dem Auto ist es sehr erholsam, eine Spazierfahrt durch die herrliche Landschaft rechts der Oder, durch die ehemalige Neumark, zu machen.

Warum erzähle ich das? Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass es für mich keinen Unterschied macht, mich rechts oder links der Oder zu bewegen; Polen ist für mich kein Ausland mehr.

Im Herbst 1993 wurde ich von NRW als sog. Programmlehrerin an das Fremdsprachenkolleg nach Leszno, Großpolen, entsandt. Dort habe ich 6 Jahre lang junge Menschen zu Deutschlehrern ausgebildet. Abgesehen davon, dass die Arbeit mir ungeheuren Spaß machte, war auch das Leben mit den Polen für mich sehr angenehm. Ich habe sie nur als freundliche, sehr höfliche und hilfsbereite Menschen kennen gelernt. Vor allem ist ihre Gastfreundschaft umwerfend, um nicht zu sagen, erdrückend. Aber wiederum drückt das auch ihre Herzlichkeit aus.

Ich fühlte mich gut aufgehoben in dieser mittelgroßen Stadt. "Pani Germanista" oder "Pani Bia³a" (wegen meiner weißen Haare) machen die Akzeptanz deutlich. Die Eleganz vor allem der jüngeren Frauen erfreute mich sehr; Hüte sind eine Selbstverständlichkeit.

Ich bin ohne Vorwissen jeglicher Art und ohne Sprachkenntnisse ins Nachbarland gereist. Ich habe nur Augen und Ohren aufgesperrt, neugierig auf alles Neue. Eine ungeheure Herausforderung und spannend obendrein. Ein Vorurteil nach dem anderen wurde in kürzester Zeit widerlegt. Ich habe die Polen als sehr arbeitsam, zuverlässig und vor allem ehrlich erlebt. Und das trägt zum Wohlfühlen bei - wir wissen alle, dass es überall Ausnahmen gibt. Ich habe sehr, sehr viele Menschen kennengelemt, und einige Freundschaften mit Jung und Alt sind bis heute geblieben.

Ich wünsche mir sehr, dass alle diejenigen, die noch keine Beziehung zu Polen und ihrem Land haben, ihren Blick auch einmal nach Osten wenden und schließlich die Oder als verbindendes Glied betrachten, sie überqueren, um Land und Leute kennen zu lernen. Dann wäre schön viel gewonnen.