AUS DER "DOKUMENTATION POLEN-INFORMATON"

Eine Leiche im Keller

Von Udo Kühn

Zufällig erhielten wir am 1. September - 66 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen, aus einem privaten Nachlass ein Buch mit dem Titel "Wir zogen gegen Polen". Eine reine Propagandaschrift, aufwendig gemacht, in Leinen gebunden, 93 Hochglanzseiten (wenn ich mich nicht verzählt habe) mit Fotos aus dem so genannten "Blitzkrieg", 145 Seiten Text, einer Vielzahl von Zeichnungen und eine großformatige Karte der "Vormarschstraßen der Divisionen" im Maßstab 1:1.000.000. "Die Karten auf dem inneren Einbanddeckel stammen aus der alten bayerischen Armeebibliothek, jetzt Wehrkreisbücherei VII.

 

Die eine Karte stellt das älteste und einzig vorhandene Exemplar einer Karte von Polen aus dem Jahre 1580 dar", soweit ein Titelhinweis. Das Ganze ein "Kriegserinnerungswerk des VII. Armeekorps [der Deutschen Wehrmacht]", herausgegeben vom Generalkommando VII. A.K. im Zentralverlag der NSDAP, Franz Eher Nachf., München. Das vorliegende Exemplar stammt aus der "5. Auflage / 71. - 90. Tausend" vom Jahre 1942.

Recherchen ergaben, dass die Erste Auflage 1940 erschienen ist und dieser Fünften mindestens noch eine Sechste Auflage / 91. - 120. Tausend folgte. Das "Dritte Reich" ließ sich seine Kriegspropaganda - und nicht nur diese - viel kosten, besonders Papier, das wir "Jungvolkjungen" der "Hitler-Jugend" eifrig als Altpapier sammelten, dafür des Öfteren schulfrei erhielten.

So ist denn auch der oberste Kriegsherr gleich zu Anfang des Buches in Hochglanz abgebildet, darunter seine historische Lüge: "Ich habe mich daher nun erschlossen, mit Polen in der gleichen Sprache zu reden, die Polen seit Monaten uns gegenüber anwendet... Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurück geschossen!"

Man könnte zur Tagesordnung übergehen, wenn nicht diese Propaganda, dieses Gift immer noch wirken würde. Archiviert und zugängig ist jeweils ein Exemplar der 1., 3. und der 6. Auflage in der Staatsbibliothek Berlin; letzteres unter der Signatur 387 895. Im Katalog der Deutschen Bücherei in Leipzig ist jeweils ein Exemplar der 1. und 5. Auflage zu finden. In welchen Bibliotheken wohl noch?

Natürlich sind Bibliotheken dazu da, Schriften - egal welchen Inhalts - für "ewige" Zeiten aufzubewahren. Aber in welchen privaten Büchersammlungen, auf dem Speicher oder in Nachlässen mögen noch und wie viele dieser Propagandaschriften aus "Opas heroischen Jungmännerzeiten" sonst noch schmoren, meist unkommentiert, bis sich einer der nachfolgenden Besitzer entschließt, sie wieder dem Altpapier zuzuführen? Oder was schlimmer ist, sie antiquarisch zu verhökern?

Das zitierte Buch ist ja bei weitem nicht das einzige dieser Art aus dieser "glorreichen" Zeit: So dokumentiert eine Bibliographie, Veröffentlichung des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt (siehe auch Polen und wir 2/2001), unter "8.3.1.4. Deutsche Septemberfeldzug-Literatur (Texte)" insgesamt an die einhundertundfünfzig verschiedene Titel von "Unsere Luftwaffe in Polen [1939]" bis zu "Die polnischen Gräueltaten... [1942]" und alle ohne einen Kommentar. In diesem Verzeichnis fand ich auch den Titel "Mit Mann und Roß und Wagen...", der mir noch nach über sechzig Jahren aus meiner Jugendzeit in Erinnerung war.

Unter der nachfolgenden Klassifikation "8.3.2. Polnische Armee an der westlichen Front" sind es gerade mal gut 20 Titel und diese sind alle in polnischer Sprache geschrieben. Hier gibt es wohl noch "Handlungsbedarf" wie unsere Politiker immer so schön sagen.

"Verjährt" sich das und wird schließlich alles zu Altpapier oder trägt es zu einer "Vergangenheitsbewältigung" bei, die alles nur beschönigen will, was damals im September 1939 in Polen wirklich geschah? Ich rate zu einer kritischen Betrachtung dieser "Leiche im Keller"!