"Ich
wurde Fährmann, übertrug kostbare Fracht"
Am
11.September 2005 starb der Dichter und Übersetzer Henryk Bereska
Von Christiane Thoms
Henryk Bereska dichtete, übersetzte und lebte. 1926 in Katowice geboren
und zweisprachig aufgewachsen, durchquerte er kranichgleich Lufträume zweier
Staaten und löste auf literarischer Ebene Sprachgrenzen auf. Die Arbeit am Buch
und sein Engagement für die polnische Kultur lassen Henryk Bereska als einen
bedeutenden Mittler zwischen Deutschen und Polen erscheinen. Er wird zweifellos
weltweit in den Reigen der herausragenden zeitgenössischen Übersetzer
polnischer Literatur weltweit gestellt. Bereskas Beharrlichkeit, seinem
Feinsinn und Engagement verdanken wir, dass wir auf ein umfangreiches
Lebenswerk blicken können: Zu seiner Werksammlung zählen über 200 Titel aus
Drama, Lyrik und Prosa, die als Einzelveröffentlichungen oder in Anthologien
und kulturellen Zeitschriften zu lesen sind.
Die Kraniche
auf ihrem Flug
nach dem Süden
passieren zahllose
Sprachgrenzen,
kriegen jeweils
andere Namen verpasst;
doch ihr Kranichgesang
bleibt davon unbeeinflusst;
erhaben durchqueren sie
die Lufträume
verfeindeter Staaten
ohne sich Passkontrollen
zu unterwerfen
Grenzverletzer
unantastbar.
Henryk Bereska
Die Zeit nach dem Krieg zeigte sich für Bereska als schwierig. Da er während des Krieges Mitglied in der Hitlerjugend war und eine Ausbildung bei der Luftwaffe machte, ist es nicht verwunderlich, dass die Staatssicherheit ihn ungern aus den Augen ließ. Eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit war für Bereska undenkbar, so dass er sich dem Zugriff des polnischen Geheimdienstes entzog und zwanzigjährig nach Ostberlin ging. Bereska fühlte sich als Mitläufer des Naziregimes und für die Verbrechen Hitlerdeutschlands mitverantwortlich. Er sah es als seine Aufgabe, die seit dem Zweiten Weltkrieg zugespitzte Feindschaft beider Völker überwinden zu helfen. Damit wurde das Übersetzen für Bereska zu einer moralischen Verpflichtung. Literatur als wirksames Mittel zur Völkerverständigung sollte die Chance bekommen, Vorurteile und nationale Stereotype beidseitig abzubauen.
Henryk Bereska studierte an der Berliner Humboldt-Universität von 1948-1952 Germanistik, Polonistik und Slawistik. Bereits während seines Studiums arbeitete er an der Übersetzung der Mickiewicz-Antholgie, die als "Mickiewicz-Lesebuch" 1953 publiziert wurde. Nachdem ihn, als Lektor beim ostberliner Aufbau-Verlag arbeitend, die politische und literarische Enge in seiner Arbeit hemmte, schlug er sich seit 1955 als freischaffender Übersetzer polnischer Literatur durch. Seit dem kulturpolitischen "Tauwetter" in Polen nach 1956 misstrauten die DDR-Kulturbehörden der Literatur aus Polen. So konnte beispielsweise der Roman "Asche und Diamant" von J. Andrzejewski 1958 in der DDR vorerst nicht erscheinen, weil der Autor aus der polnischen Partei ausgetreten war. Bereska musste während seiner Tätigkeit in der DDR nicht nur gegen die Stereotype unter den Deutschen und Polen kämpfen, sondern sich auch gegen die ideologischen Schranken beider kommunistischer Staaten engagieren.
Vor für unübersetzbar gehaltener polnischer Literatur machte er bewusst nicht Halt. Werke von St. Wyspianski, C. Norwid, St. I. Witkiewicz und J. Kochanowski stellten für Bereska eine große und gern angenommene Herausforderung dar. Sein translatorisches Schaffen kennt eine umfassende Bandbreite an Themen: Bereska übersetzte neben den Werken mit aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen (T. Breza, K. Brandys, J. Iwaszkiewicz, J. Andzejewski, St. Lem und T. Ró¿ewicz) auch Kriegsliteratur (A. Rudnicki, B. Wojdowski, Z. Na³kowska).
In den 70er und 80er Jahren übersetzte Henryk Bereska mit einer gewissen Vorliebe satirisch groteske Literatur. Mit der Übersetzung des Romans "Es oder der Einstieg" (1986) von Micha³ Choromañski führt uns Bereska beispielsweise in die Welt der polnischen Oberklasse und zeigt ein satirisch-groteskes Sittenbild am Vorabend des Zweiten Weltkrieges:
‘Gestern war ich im Morskie Oko', beginnt er. 'Na und? Du bist ja immer
noch nicht ausgenüchtert', entgegnete ich. 'Hat nichts zu sagen. Ich glaube
aber gesehen zu haben, wie dein Herr Witold mit einer Dame Tango tanzte, die
deinem Zimmermädchen sehr, sehr ähnelte. Wie hieß sie doch? Hania, glaube ich.'
'Anusia?' rufe ich und reiße die Augen auf. 'Ja.' Ich schweige. Ich habe nun
mal so einen Charakter, ich fresse alles in mich hinein und lasse mir nichts
anmerken. Allein das Kopfkissen kennt meine Tränen. 'Ist das alles, was du mir
mitteilen wolltest?' 'Nein!' 'Was noch?' 'Ich versprach dir einmal, mehr von
mir zu erzählen, erinnerst du dich noch?' 'Ich erinnere mich.' Auf dem Tisch
neben den Fotos stand mein nickelgerahmter Spiegel. Er nimmt ihn in die Hand
und betrachtet sich darin wie neulich. Er streckt die Zunge heraus, mustert
sie, dann hebt er das linke Lid an und mustert das Auge. Ich schweige. Er
stellt den Spiegel wieder hin und mißt seinen Puls. 'Am schlimmsten', sagt er
endlich, 'ist die Tatsache, daß mir gar nichts fehlt. (...) Wir fahren in einem
vergoldeten Aufzug hinauf, breit wie ein ganzes Zimmer. Im fünften Stock Glanz,
Pomade, Teppiche unter den Füßen, eine Stille wie im Kloster. Aber hinter den
Türen zelebriert der Teufel die Messe. Wir gehen in sein Zimmer. Es ist zwei
Uhr nachts, er aber klingelt nach dem Kellner ... Ein dicker, grauköpfiger
Kellner kommt herein und mustert mich von Kopf bis Fuß. Aber nichts, keine
Reaktion, er zuckte nicht mal mit der Wimper. Bier und Porter, wieviel
Flaschen? Sofort zu Diensten, Durchlaucht! Wicuœ setzt sich aufs Kanapee
und läßt mich neben sich Platz nehmen. Ich gucke, auf dem Tisch liegen lauter
bunte Alben. Er schlägt eins auf und zeigt mir die Bilder. 'Das ist Wangog',
sagt er. Ich denke, was will er bloß von mir? Alles Quatsch, wenn ich's bei
Verstand besehe, ich gucke - Sonnenblumen, aus lauter Flecken zusammengesetzt.
'So was könnte ich auch malen', sagte ich. 'Guck das nicht so aus der Nähe an!'
ruft er. 'Du mußt das Bild ein bißchen weghalten, so! Und jetzt kneif die Augen
zusammen. Spürst du nichts?' Ich fand das lächerlich, aber ich kniff die Augen
zusammen. 'Was soll ich spüren?' Er lacht, beugt sich über meine Schulter und
schnüffelt an mir wie ein Hund. 'Nein, wie du stinkst!' sagt er entzückt. (...)
Aber ich weiß nicht, warum ich mich plötzlich schämte und irgendwie schwach wurde
in der Seele. Das ist ein sehr interessanter und unverständlicher Kasus. (...)
für ihn ist jede Frau ein Minus, jeder Mann ein Plus. Ich bin auch schon so
geworden, ich finde auch, daß eine Frau ein Minus ist, aber ... aber was Männer
betrifft, da habe ich auch so meine Zweifel. (...) Sie sind die erste, der ich
das erzähle. (...) Der Krieg brach aus, die Okkupation begann. Frau Laterelli
besaß die Unverfrorenheit, beiläufig zu äußern, eigentlich lebe sie schon seit
langem unter der Okkupation, denn in Wys³owice habe man ohnehin längst
vergessen, was Freiheit bedeute.
Besonders Autoren und Autorinnen der jüngeren Generation wie N. Goerke, E. Stachura, E. Bryll und K. M. Za³uski haben es Bereska zu verdanken, dass die polnische, deutsche und europäische Literaturgeschichte jetzt ihre Namen kennt. Der mit scharf gewürzter Ironie geschriebene Erzählungsband "Sibirische Palme" (1997) von Natasza Goerke beispielsweise beeindruckt durch die auf der Tradition der Humoreske gewachsenen skurrilen Ideen, die Bereska gekonnt ins Deutsche übertragen hat:
"Das Leben des Jan Kreisel jun. war eine Kette von
Mißhelligkeiten: Mit zwei Jahren fiel er aus dem Kinderwagen, mit fünf
verschluckte er eine Taschenuhr; er war Albino, seine ersten und zweiten Zähne
wuchsen unregelmäßig; er war ein verlogenes Kind, das stahl und Tiere quälte;
sein Lieblingsspiel war das Spucken. (...) Und wäre es damit nicht genug, war
sein Vater, Jan Kreisel sen., Hauptbuchhalter. Von seiner Mutter wußte man nur,
daß sie Janina hieß und immer zuerst durch den Spion schielte, ehe sie die Tür
öffnete. Das Verhältnis zwischen dem Jungen und seinen Eltern war durch peinvolle
Kühle bestimmt: (...) Kein Wunder, daß Jan Kreisel jun. zu einem Mann
heranwuchs, der verschlossen und ängstlich durchs Leben ging. Er hatte keine
Freunde, wohl aber Sehnsüchte: Er wollte gerne fliegen. (...) In der Wanne
liegend, begann er Gedichte für Billy zu schreiben. (...) Billy K. war eine
Taube. (...) Billy hatte nämlich beschlossen, Jan zu beflügeln: Gene hin, Gene
her, am meisten beschweren dich die eigenen Schuhe. Wer sagt denn, der Himmel
sei blau, das Gras grün und in Sibirien könnten keine Palmen wachsen?! Jan
Kreisel jun. starb fast vor Verblüffung. Entzückt verfärbte er sich. (...)
Vater Hauptbuchhalter, Mutter Janina, scheinbar alles in Ordnung, keine
Probleme, aber plötzlich schauderte der Sohn vor Kälte, fühlte sich niedergedrückt,
stürzte beim Klingeln zum Spion. Das ist die Macht des Genotyps, eine
unsichtbare Kraft, doch im Leben nur allzu gegenwärtig. (...) Das Ganze ist ein
Problem der Opposition, entdeckte an diesem Morgen Jan Kreisel jun. Ich bin
angefüllt mit Genen meiner kühlen Eltern und sollte schleunigst Gegengene
mobilisieren: Den Spion zukleben, mich von der Erde lösen und Billy folgen.
(...) Ha, lachte Billy, das ist sie, die autonome Selbsterkenntnis. (...) Jan
(...) stieg in die Wanne und übersetzte, die Silben an den Fingern abzählend,
das Wesen der Selbstentfaltung in Verse. Diese Verse sahen so aus:
Die sibirische Palme
Des Unsinns unbewußt
Zeugte einen Schneemann.
Die Arbeitsbedingungen für Bereska waren nach den politischen Veränderungen 1990 schlagartig andere. Das Desinteresse an polnischer Literatur spiegelte sich in den ostdeutschen Verlagsprogrammen, die bereits Bereskas druckfertige Manuskripte ablehnten. Immer wieder nach Lebensalternativen suchend gab Bereska jedoch auch nach 1990 nicht auf und bot vehement und überzeugend seine Übersetzungen jetzt den kleinen Verlagen an. Nur so gelang es ihm, viele der abgelehnten Bücher doch zu veröffentlichen.
Heute würdigen Henryk Bereskas Schaffen viele Auszeichnungen: Er erhielt unter anderem die Kochanowski-Medaille (1984), den St. I. Witkiewicz-Preis des ITI Warschau (1987), das Bundesverdienstkreuz am Band (1997) und den Ehrendoktortitel der Universität Wroc³aw (2002).
Die feine Kunst, Übersetzungen wie Originaltexte lesen zu können, machten Bereska zu einem kongenialen Übersetzer. Sein Geheimnis war die nahezu lückenlose Kenntnis der polnischen und deutschen Kultur und Sprache im Detail. Die Spezifik der zu übersetzenden Bücher begriff Bereska umso mehr durch die oft gepflegten persönlichen Bekanntschaften mit den Autoren und Autorinnen. In diesem Sinne hat es seine Berechtigung zu sagen, dass Henryk Bereska den Kranichgesang jenseits der polnischen Sprachgrenze auch nach der Übersetzung uns als Original hören lässt.