"Eine wundervolle Suche nach Antworten"

Von Anna Leidinger

Am 5. Oktober wurde in Warschau feierlich die polnische, veränderte Fassung des Buches "Unbeirrbar Rot" von Stefan und Witold Leder vorgestellt. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sitzen in einem Zimmer drei junge Paare, die darüber diskutieren, was Menschen am Kommunismus fasziniert. Einer in der Gruppe ist Leszek Ko³akowski, der bekannte polnische Philosoph. Er macht die Harmonie, die marxistische Logik und die wunderschöne Struktur dafür verantwortlich. Pola Landau, Krankenschwester und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten in Warschau, meint, dass der Gerechtigkeitsgedanke, der dem Kommunismus innewohnt, die Menschen berührt hat. Ewa Lipiñska, die Wissenschaftlerin und Expertin für Milchproduktion dagegen kennt die elenden Lebensverhältnisse des Proletariats als Einzige aus eigener Erfahrung und meint, dass allein der Kampf um ein besseres Leben Menschen zum Kommunismus führt.

 

Bei ihnen saßen die Ehefrau von Leszek Ko³akowski, außerdem Witold Leder, Offizier des Sicherheitsdienstes, der Lebensgefährte von Ewa Lipiñska und sein jüngerer Bruder Stefan, Arzt und Lebensgefährte von Pola Landau. Diese Szene, von Witold Leder bei der feierlichen Vorstellung seines Werkes geschildert, die drei reine, unverfälschte Sichten auf den Kommunismus aufzeigt, ist vielleicht ein Schlüssel für das Verständnis dieses Buches und der Geschichte, die es erzählt. Denn die Menschen, die einem beim Lesen begegnen, lebten eben diese reine Vorstellung der kommunistischen Idee, gerade weil sie die furchtbaren Folgen, die der verzerrende Missbrauch des Kommunismus mit sich trug, selbst kennen gelernt hatten und unter ihm zu leiden hatten.

Stefan und Witold Leder haben die Geschichte ihrer Familie niedergeschrieben, wobei sie sich besonders auf Leben und Werk ihres Vaters, W³adys³aw Feinsteins, genannt Leder, beziehen. Dieser war ein enger Vertrauter von Rosa Luxemburg und starb 1938 auf dem Transport in ein stalinistisches Lager. In Deutschland erschien das Buch unter dem Titel "Unbeirrbar Rot" bereits 2002 . Jetzt, drei Jahre später, ist es endlich auch in Polen erschienen. Vieles ist anders in der polnischen Fassung des Buches der Gebrüder Leder; aus "Unbeirrbar Rot" wurde "Der rote Faden" (‚Czerwona niæ’) , viele Teile wurden verändert, gekürzt oder es wurde Neues hinzugefügt. Bei der Auswahl der Werke ihres Vaters beschränkten sich Stefan und Witold Leder auf Texte, die im Original bereits auf Polnisch verfasst worden waren und die polnische Problematiken behandeln. Besonders zu beachten ist in ‚Czerwona niæ' die Darstellung der Liebesgeschichte "ohne Happy-End" - so Witold Leder in seiner Ansprache - zwischen dem Revolutionär Feliks Dzier¿yñski und der Tante der Verfasser, Sabina Feinstein. Behutsam ausgewählte Briefe, die sich die beiden schrieben, sind in ‚Czerwona niæ' zu finden. Sabina Feinstein selbst hatte diese Briefe unter großen Schwierigkeiten aufbewahrt und später ihrem Neffen Witold übergeben, damit dieser die Briefe nach ihrem Tode öffne. Doch Witold wurde 1952 vom Geheimdienst verhaftet. Zunächst wurden die Briefe von den Funktionären, die Witold Leders Wohnung durchsuchten, für Briefe Lenins gehalten und Leder selbst wurde vorgeworfen, er habe sie für teures Geld im Ausland verkaufen wollen. Weggelassen wurde in der polnischen Version beispielsweise das Kapitel, mit dem eher für deutsche Leser interessanten Fragment aus einem ursprünglich russischen Buch, welches die Mutter Stefan und Witold Leders, Lilly Hirschfeld, Anfang des 20. Jahrhunderts ins Deutsche übersetzt hatte.

An der deutschen Fassung hat Witold Leder zwar noch gemeinsam mit seinem Bruder Stefan gearbeitet, doch als dieser überraschend auf einer Tagung in Warschau im Herbst 2003 mit 84 Jahren starb, verlor Witold zunächst den Ansporn weiterzuarbeiten und das Buch verlegen zu lassen. Doch dann sei er mit dem Verlag Iskra  in Kontakt getreten und habe sich wieder an die Arbeit gemacht, erzählt Leder bei der Feier, die im "Haus des Schriftstellers" auf dem Altstadtmarkt in Warschau stattfand. Auf die Frage, warum sie, die sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Polen lebten, es zuerst auf Deutsch veröffentlicht hatten, antwortet Witold Leder nicht ohne Ironie: "Glauben Sie, vor ein paar Jahren hätte man für ein solches Buch in Polen leicht einen Verleger gefunden? Da haben wir erst mal in Deutschland angefangen." Tatsächlich ist es eine kleine Attraktion, dass ein Buch mit einer solchen Thematik im heutigen Polen verlegt wird. Gerade haben bei den Parlamentswahlen wieder rechte Parteien viele Stimmen dazugewonnen, linke Politik und linke Grundhaltung ist sehr unpopulär und gilt bei vielen Menschen als rückständig.  Ihnen sei gesagt, dass die Leders, die Feinsteins, die Tenenbaums, die Hirschfelds und all die Menschen, die die Protagonisten und Helden dieser Familiensaga sind, keinesfalls verblendete, weltfremde Idealisten sind, noch jemals gewesen waren. Sie alle haben nicht nur unter den Feinden des Kommunismus gelitten, sondern auch besonders unter denjenigen, die sich als Verfechter dieses Kommunismus bezeichneten. So hat beispielsweise Witold Leder, in den fünfziger Jahren Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes mehrere Jahre in stalinistischer Haft verbracht, nachdem er im Zweiten Weltkrieg als Pole gegen die Nationalsozialisten gekämpft hatte. Der in Polen sehr bekannte Karol Modzelewski, der selbst viele Jahre im Gefängnis gesessen hat, nachdem er in den sechziger Jahren gemeinsam mit Jacek Kuroñ einen offenen Brief an die Leitung der polnischen Arbeiterpartei geschrieben hatte, formuliert bei der Feierstunde sein Fazit aus der Lederschen Familiensaga so: "Ich habe beim Lesen die ganze Zeit eine Frage im Hinterkopf gehabt: Wie konnten diese Menschen nicht nur Kommunisten sein, sondern nach allem Schrecklichen, das sie erlebt hatten auch Kommunisten bleiben? Ich habe zwar keine Antwort gefunden, aber allein die Suche danach war wundervoll." Eine Antwort auf diese Frage ist mit Sicherheit, dass ihnen allen gemein ist, dass sie trotz der politischen Realität an ihre Idee des wahren Kommunismus geglaubt haben, ohne die grausamen Fehler zu ignorieren, die im Namen desselben Kommunismus begangen worden sind.