"Ein Teil meines Herzens" von Wanda Przybylska

Von Renate Weiß

 

Polen wird am 1. September 1939 von Nazideutschland überfallen. Es wird besetzt. Der Krieg führt durch Polen in die Sowjetunion und der Rückzug  wieder durch Polen. Fast bis zum unmittelbaren Ende des Krieges wüten die Faschisten. Hinterlassen wird ein verwüstetes Land. Kaum eine Familie ist verschont geblieben. Das Tagebuch erscheint in Deutschland 60 Jahre nach Beendigung des II. Weltkrieges, eines Krieges, der viele Millionen Menschenleben gekostet hat. Seine unmenschliche Wirkung ist noch heute gegenwärtig. Es ist fast unmöglich, sachlich über ein solch emotionsgeladenes Büchlein zu berichten. In dem vorliegenden Tagebuch schildert  ein polnisches Mädchen seine Gefühle und Erlebnisse in dieser Zeit des Terrors und der Qualen für das polnische Volk.

 

Das Leben von Wanda war von ihrem 9. Lebensjahr an, von den Kriegsereignissen geprägt. Sie beginnt das Tagebuch 1942 und führt es, mit Unterbrechungen, bis Ende August 1944, bis zu ihrem Tode. Sie wurde auf der Flucht mit ihren Eltern aus dem Zentrum der Kämpfe des  Warschauer Aufstandes erschossen.

Dieses Tagebuch ist in vielen Ländern Europas und in Japan bereits vor 40 Jahren erschienen. In der Bundesrepublik Deutschland konnte damals kein Verlag gefunden werden. "Nicht zeitgemäß" war die Begründung. Auf Initiative von Jolanta Kolczyñska, Freundin von Wanda und heute aktive Mitarbeiterin im Vorstand des Verbandes der Warschauer Aufständischen, und der Gesellschaft für gute Nachbarschaft zu Polen, wurde vor einigen Jahren die Übersetzung in Angriff genommen.

Die Suche nach einem Verlag war zermürbend. Auf einer Konferenz der Deutsch- Ponischen Gesellschaft der Bundesrepublik e. V. lernte ich den Verleger Helmut Donat mit seinem Verlagsprogramm kennen. Nach Kenntnisnahme der Rohübersetzung sagte er eine Veröffentlichung zu. Es begann nun die Feinarbeit, sowohl der Übersetzerinnen (Lucie Ranft und Renate Weiß) als auch des Verlegers in Zusammenarbeit mit der Schwester der Tagebuchschreiberin, Jadwiga Przybylska-Wolf. Fünf Jahre nach der Bitte von Jolanta Kolczyñska zu prüfen, ob ein Erscheinen in Deutschland möglich wäre, ist das Büchlein dankenswerter Weise durch den Donat-Verlag verlegt worden, ohne finanzielle Zuwendungen, alles auf ehrenamtlicher Grundlage. Die Ausgabe ist rundum gelungen.

60 Jahre nach dem Kriegsende ist das Tagebuch nun auch in Deutschland präsent. Der Jahrestag war Anlass, vermittelst von Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen über das Grauen jener Zeit nachzudenken. Besonders der Jugend sollte mit diesem Tagebuch die Unmenschlichkeit dieses Krieges und der Kriege überhaupt nahegebracht werden.

Im Geleitwort  zur deutschen Ausgabe schreibt Hans Koschnick: "Hatte uns das Tagebuch der Anne Frank vor Jahrzehnten Anstoß zu einem solchen Nachdenken gegeben, es handelte von einer jungen jüdischen Heranwachsenden im Pubertätsalter, die über Monate hinweg in Amsterdam in einem Versteck leben musste und schließlich doch kurz vor der Befreiung im KZ Bergen-Belsen verstarb, so wird mit diesem hier vorliegenden Werk die Erfahrens- und Gedankenwelt einer  gleichartigen polnischen Heranwachsenden aufgezeigt. Eindringlich werden sichtbar, mit welchen Belastungen und Empfindungen die Lebensspanne dieser zur Frau Heranreifenden beschwert wird. Auch hier geht es um die authentische Wiedergabe einer Lebenssituation."    

Ein Leben mit dem Krieg

Mit 12 Jahren beginnt Wanda das Tagebuch als "ein Teil ihres Herzens" zu schreiben. Sie ist ein ganz normales Mädchen mit Flausen  im Kopf, aber auch mit Träumen. Immer wieder schreibt sie sich ihre Seele frei von  den schrecklichen Erlebnissen des Krieges. Ihre Betrachtungen gehen weit über die Gedankenwelt einer 12 jährigen in friedlichen Zeiten  hinaus. Sie stellt sich und ihren Freundinnen solche Fragen, wie: Was ist Glück? Was ist Wahrheit? Wozu sind Träume wichtig?

Ihre Träume nehmen am Ende ihres Tagebuches, das so je beendet wurde, Gestalt an. Ein Aufsatz zeigt wie sie sich Warschau 20 Jahre nach dem Kriege vorstellt. Sie nutzt auch die Briefform, um Ihre Gedanken zu äußern. Im Sommer 1942 schreibt sie an eine Freundin: ".....Danusia, hast Du schon gehört, wie sanft die Kiefern säuseln? Was hast Du in dem Moment gedacht? Hast Du irgendwann an unser Vaterland gedacht? ...... Ich sah, wie der Krieg tobte und die um unser Vaterland kämpfenden Soldaten. Ich sah sehr viel Blut, Elend und Hunger. Ich sah vor Kälte Sterbende, hörte ihr Stöhnen und Weinen. Was dachtest Du an diesem traurigen Tag?" Das Mädchen ist 12 Jahre! Worüber machen sich unsere 12 Jahre alten Kinder, Enkel Gedanken?

In ihrem Tagebuch werden die Ereignisse im Land und in Warschau reflektiert. Am 24. April 1943 berichtet sie kurz über den Ghettoaufstand: "Schon seit einer Woche tobt ein erbitterter Kampf. Die Juden leisten im Ghetto Widerstand. Alle paar Sekunden sind Kanonenschüsse und Gewehrschüsse zu hören."

Nur ein paar Tage später am 3. Mai 1943 äußert sie sich zum Polnischen Nationalfeiertag, dem Tag der Verfassung: "Heute gehe ich nicht zur Schule, denn es ist Feiertag. Es ist der 3. Mai, für die Polen ein großes Fest. Schon drei Jahre lang wurde dieser Feiertag nicht begangen. Wir, in den illegalen Schulen, feiern ihn trotzdem."

Zur Arbeit im Untergrund gehörten illegale Schulen, sogar Universitäten. In der gleichen Notiz kommt sie noch einmal auf den Widerstand der Juden im Ghetto zurück. "Es ist wahr, es sind nur noch sehr wenige, und sie verteidigen sich mit letzter Kraft. Fast das gesamte Ghetto brennt." Es wurde dem Erdboden gleich gemacht.

Im zweiten Teil des Tagebuchs, nachdem sie etwa ein Jahr die Eintragungen unterbrochen hatte, schildert sie die Zeit kurz vor dem Warschauer Aufstand, der am 1. August 1944 begann und den Warschauer Aufstand selbst. Am 24. Juli 1944 schreibt sie: "Es beginnt heiß zu werden, aber eigentlich ist es schon heiß. Der Krieg kommt eiligen Schritts daher. Die Bolschewisten scheinen Flügel zu haben, und die Deutschen ebenso, nur dass sie fliehen." Wanda befindet sich zu dieser Zeit in Otwock bei Bekannten. "Ich schaue zu den Sternen und sehne mich nach Warschau. ... Warschau wurde bombardiert. Jeden Abend denke ich an meine Mutter, an meinen Vater, ... an die, die ich liebe und die in  Gefahr sind! Ich denke an sie und sorge mich. ..." Nach Warschau zurückgekehrt beschreibt sie die Situation. "Nein - es ist schrecklich die ganze Woche über fielen Bomben. .... Nicht mehr lange und die Stunde des Blutvergießens ist da. Nicht mehr lange, und die Stunde des Kampfes schlägt....."

Dienstag, den ersten August, ist es so weit. Die Niederschrift zeugt von Angst, aber auch davon, wie sich Wanda selbst Mut macht. "Nach fünf Jahren flattern wieder die weiß-roten Fahnen im Wind, beim Aufhängen jeder Fahne klatschen wir. Angeblich geht alles einigermaßen, wahrscheinlich kann man sogar sagen, es geht gut"

Wanda beschreibt das Auf und Ab des Kampfes der polnischen Kämpfer. Am 28. August kommt sie auf dem Hof ihres Wohnhauses wieder einmal in eine lebensbedrohliche Situation. Ihr Mantel beginnt zu brennen. Sie wirft ihn geistesgegenwärtig weg. Am 29 August ist die letzte Eintragung im Tagebuch und am 4. September stirbt Wanda auf der Flucht mit ihren Eltern und ihrer Schwester aus dem Zentrum der Kämpfe.

Das Buch wird vorgestellt

Es ist den Mitgliedern unserer Gesellschaft eine Herzenssache, vor allem der Jugend unserer Tage die Gedanken und Träume von Wanda nahe zu bringen, uns für eine friedliche und freundschaftliche Nachbarschaft einzusetzen. Deshalb freut es uns sehr, dass am 26. März  2006 in Bremen, am Erscheinungsort des Büchleins, im Theater eine Lesung stattfinden wird. Organisiert wird sie von dem Verleger Helmut Donat. Veranstalter ist die dortige Deutsch-Polnischen Gesellschaft. Teilnehmen wird auch Hans Koschnick  Die Lesung selbst erfolgt durch Schauspieler des Theaters. An der Veranstaltung  werden die ältere Schwester von Wanda, Jadwiga Przybylska-Wolf und die Freundin Jolanta Kolczyñska als Zeitzeugen teilnehmen. Beide waren aktiv an den Kämpfen  des Warschauer Aufstandes beteiligt. Sie werden am 24. März in Berlin anreisen und von Lucie Ranft, Mitglied unserer Gesellschaft nach Bremen begleitet. Nach der Rückkehr aus Bremen, sind in Berlin unter Beteiligung dieser beiden Zeitzeugen Lesungen vorgesehen.

Am 28. März 16.00 Uhr ist mit dem Lichtenberger Kulturverein e. V. in der KULTSchule in Berlin Lichtenberg, Sewanstr. Nr. 43, 10319 Berlin die erste  Lesung vereinbart. Ebenso ist in der Reihe: "Literatur in Weißensee"  eine Veranstaltung am 29.03. 2006, 19.00 Uhr im Kulturverein Weißensee, Frei-Zeit-Haus Pistoriusstr. Nr. 23, vorgesehen. Am 30.03 2006, 11.00 Uhr wird  in der Anna-Seghers-Bibliothek in Berlin Hohenschönhausen unter Teilnahme von Schülern eine Lesung stattfinden.

Darüber hinaus sind noch einmal in der Zeit vom 8. bis 12. Mai 2006  eine Woche  Lesungen, wieder mit den beiden Zeitzeuginnen vorgesehen. Zum Beginn dieser Woche wird am 8. Mai, 19.00 Uhr am Tag der Befreiung,  eine Lesung im Polnischen Institut Berlin, Burgstr. 27, sein. Außerdem sind an vier bis fünf  Schulen Lesungen geplant.

Im Sinne von Wanda möchten wir so mit unseren Aktivitäten für eine menschliche Welt wirken.


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