Kultur der Angst

Von Włodzimierz Wróbel

 

Womit verbindet der Normalbürger gewöhnlich das Recht und seine Juristen? Mit korrupten Gerichten, habgierigen und unredlichen Rechtsanwälten sowie faulen Staatsanwälten, die nach der Pfeife der Politiker tanzen. Seit einigen Jahren engagieren sich an der Entwicklung dieses Bildes Politiker aktiv, was übrigens keiner großen Fähigkeit bedarf, denn in einem fast 40-Millionen Menschen zählenden Land finden sich immer ein gekaufter Richter, ein betrügerischer Rechtsanwalt oder ein straffreier Verbrecher. Es fällt dann leicht, sich als guter Scherif zu gebärden, der in dieser verkommenen Welt Zucht und Ordnung durchsetzt. Um die geplante Wirkung zu erzielen, bedarf es noch zahlreicher Pressekonferenzen sowie ab und an irgendeines auffälligen Requisites. Es hat sich erwiesen, dass solch eine Maskerade in einer Umfrage-Demokratie einen großen Wahlerfolg garantiert und dem Bürger ein Sicherheitsgefühl vermittelt.

 

Politiker beweisen ein bemerkenswertes Geschick bei der Bildung einer virtuellen Welt, in der schlechte Juristen gemeinsam mit gewöhnlichen Verbrechern die Rolle einer Baba Jaga spielen. Wenn man aber die soziotechnischen Tricks, die der Täuschung der öffentlichen Meinung dienen, bei Seite lässt, stellt sich die beunruhigende Frage, ob der Preis, der für diese medialen Spielereien zu zahlen ist, nicht etwas zu hoch ist?

Um billiger Popularität Willen darf man nicht die Gerichte beleidigen und unabhängige Richter mit disziplinarischen Maßnahmen einschüchtern. Man darf den Rechtsanwälten nicht ständig alles Schlechte vorwerfen und die Staatsanwälte dagegen als willenlose Marionetten behandeln, die die unfehlbaren Entscheidungen ihrer Vorgesetzten umsetzen. Man darf die Autorität der wichtigsten Staatsorgane wie die des Verfassungsgerichtes oder des Sprechers der Bürgerrechte nicht untergraben. Man darf in das gesellschaftliche Denken nicht die Kategorie eines Ausnahmezustandes einführen, in dem die Suspendierung oder Verringerung der Bürgerrechte und -freiheiten um des Zieles Willen, eine mystische IV. Republik zu schaffen, zulässig ist. Auf diese Weise werden so die Fundamente unserer Rechtskultur untergraben.

Eine Rechtskultur ist ein äußerst komplizierter Mechanismus, aber dank dessen kommen unschuldige Menschen eher selten in das Gefängnis, urteilende Richter fällen keine Urteile unter dem Druck von Presseartikeln, und Polizisten missbrauchen die ihnen zugebilligten großen Kompetenzen bei der Anwendung von physischer Gewalt oder polizeilicher Überwachung nicht. Die, die  den Totalitarismus erlebt haben, wissen genau, dass sich jedes Gesetz in den Händen von Personen, die es für ihre Ziele missbrauchen wollen, in ein wertloses Stück Papier verwandeln kann.  Eine Rechtskultur besteht aus einer Menge von Mechanismen, die gerade solch ein Vorgehen unmöglich machen sollen.

Eine Rechtskultur stellt auch ein kollektives Gedächtnis dar, wie man Recht falsch anwenden oder missbrauchen kann, in dem man dem Einzelnen Unrecht tut. Aber auch, wie man diese Fehler und Missbräuche verhindern kann. Wenn Juristen von der notwendigen Existenz von Garantien für des Verbrechens angeklagte Personen sprechen, haben sie Prozesse im Kopf, in denen Unschuldige verurteilt wurden. Wenn Juristen gedankenlose Projekte für die Verschärfung von Gefängnisstrafen kritisieren, spricht daraus kein naives Mitgefühl für Verbrecher, sondern nüchterne Betrachtung der Tatsache, dass das die wirksamste Methode ist, eine größere Anzahl von Verbrechern zu bekommen. In der jetzigen Situation, in der die Gefängnisse total überfüllt sind, gibt es überhaupt keine Möglichkeit, eine Demoralisierung der dort einsitzenden Personen zu verhindern.

Eine Rechtskultur besteht im Grunde aus zahlreichen Werten und ungeschriebenen Gesetzen, an die alle, die das Recht anwenden, glauben müssen – ob es der Richter des Obersten Gerichtshofes oder der Beamte vor Ort ist. Dieser Glaube umfasst die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes, des Schutzes der grundlegenden Rechte und der Würde eines jeden Menschen, der vernünftigen Ausübung des Rechtes, Respektierung von Rechtsgrundsätzen wie des Verbotes der Rückwirkung von Gesetzen oder des Gebotes der Achtung des Bürgers durch den Staat. Das ist die letzte Garantie, damit der normale Bürger, der es mit dem Staatsapparat zu tun bekommt, nicht in ständiger Unsicherheit leben muss, wie er vom Staat behandelt werden wird. Wir sind uns nämlich nicht darüber im Klaren, welche umfangreichen Befugnisse der moderne Staat seinen Funktionären überträgt und wie unwirksam die formalen Schutzmechanismen sein können.

Eine Alternative zu einer Rechtskultur kann die Kultur der Angst sein, die sich einer falschen Gegenüberstellung von Sicherheit und Freiheit bedient. In der Kultur der Angst wird bei allen Informationen über vermeintliche oder tatsächliche Gefahren mit der Beschränkung des Rechts für des Rechtsbruchs verdächtige Personen reagiert, mit dem Bau neuer Gefängnisse und der Bildung neuer Institutionen mit polizeilicher oder quasi-polizeilicher Befugnis. Die Hohen Priester der Kultur der Angst unterstreichen, dass die ehrlichen Menschen harte Strafen und die Beschränkung der Bürgerfreiheiten nicht zu fürchten brauchen, denn sie betreffen ausschließlich die, die das Recht verletzen. Die Kultur der Angst führt letztlich zur Einteilung der Gesellschaft in die Guten und Redlichen auf der einen Seite und die Schlechten und Unredlichen auf der anderen. In „Unsere“ und „Fremde“. Die Kultur der Angst nährt sich von der in der Gesellschaft verwurzelten Ideologie der Vergeltung als Grundlage der Gerechtigkeit und des allgemeinen Misstrauens. Ihr Produkt kann auch die rechtliche Verpflichtung aller Bürger zur Zusammenarbeit mit den Staatsorganen im Kampf gegen das Verbrechertum sein. Die Kultur der Angst verlangt zentralistische Regierungen, für die ein unabhängiges Gerichtswesen unzweifelhaft schädlich ist. In dieser Atmosphäre sind schwache Richter überzeugt, Funktionäre des Justizapparates zu sein und die Vorsitzenden der Gerichte reagieren nervös auf jeden Telefonanruf aus dem Ministerium.

Ist in einem demokratischen Staat, der in der europäischen Gemeinschaft verankert ist, eine Entwicklung solch einer Kultur möglich? Hysterische Reaktionen einiger europäischer Länder im Zusammenhang mit dem Terrorismus zeugen davon, dass das möglich ist, und die Versuchung, zu Mechanismen der Kultur der Angst zu greifen und dafür gesellschaftlichen Beifall zu bekommen, zeigt sich nicht nur in Polen als recht groß.

Um diesen Versuchungen nicht zu erliegen, protestieren die juristischen Kreise – gegen Dilettantismus und den Mangel an Vorstellungskraft bei den Politikern, die, obwohl sie sich mit Diplomen über die Beendigung ihres Jurastudiums legitimieren, das Recht als Instrument behandeln, das am Besten dem dient, der die größte Macht besitzt.

Włodzimierz Wróbel, Kultura strachu, Tygodnik Powszechny, Nr. 9 (2955) vom 26. Februar 2006; Übersetzung: Wulf Schade, Bochum. Wir danken der Redaktion und dem Autor für das Nachdrucksrecht in eigener Übersetzung. Leicht gekürzt von der Redaktion.