Zensur mit dem Teppichmesser

In Polen verstärkt die konservative Regierung den Druck auf die Medien

Von Anna Sprycha

 

Diese Aktion ist beispiellos in der noch jungen, demokratischen Ära Polens: Kurz bevor die April-Ausgabe des Magazins „Sukces“ (polnisch: Erfolg) ausgeliefert wurde, trommelte der Verleger Zbigniew Jakubas (53) Dutzende Journalisten und Verlagsmitarbeiter zusammen und befahl ihnen, mit Teppichmessern dem frisch gedruckten Magazin zu Leibe zu rücken. Aus 90.000 Exemplaren - der kompletten Auflage - wurde eine Seite fein säuberlich herausgeschnitten und vernichtet. Drei Tage dauerte die Arbeit. Danach gingen die zensierten Exemplare in den Verkauf.

 

Herausgeschnitten wurde ein Artikel der Schriftstellerin Manuela Gretkowska, die in der Redaktion von „Sukces“ für das Feuilleton verantwortlich ist. Gretkowska hatte sich aufgrund eines vorangegangenen Artikels über den polnischen Präsidenten Lech Kaczyński und seinen Zwillingsbruder Jarosław, in dem ihr tatsächlich ein Recherchefehler unterlaufen war, einen Protestbrief aus der polnischen Präsidialkanzlei eingehandelt, in dem zwischen den Zeilen ihr Ausschluss aus der Redaktion gefordert wurde. Gretkowska wollte darauf in der aktuellen Ausgabe von „Sukces“ antworten. Doch ihrem Verleger war der Artikel mit der Überschrift „Der diskrete Geschmack der Präsidialkanzlei“ zu heiß. Auf den fehlenden Seiten 17 und 18 weist Gretkowska die Einmischung des Staates in ihre Arbeit in klaren Worten zurück: „Die Länder, in denen sich die Politik in die Kunst einmischt, besonders in die Literatur, das sind die islamischen Länder… In unserer Groteske aber empfehlen Beamte des polnischen Präsidenten die Feuilletonistin zu entfernen.“

Unmittelbar nach dem Zensurfall haben aus Solidarität mehrere Journalisten, unter anderem auch die Chefredakteurin von „Sukces“, ihre Zusammenarbeit mit dem Verleger gekündigt. Dieser verteidigte sich vor seinen Mitarbeitern mit folgenden Worten: „Wenn der Artikel erschienen wäre, wäre eine Strafe durch den Staatsrat für Rundfunk und Fernsehen die Folge gewesen“.

Dieser ominöse Staatsrat, abgekürzt KRRiTV, hat sich dank eines neuen Mediengesetzes zu einer Waffe der konservativen Regierung gegen unliebsame Berichterstattung entwickelt. Durch eine Gesetzesänderung hat sich Präsident Kaczynski, der gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Polen erklärtermaßen in eine „4. Republik“ mit katholisch-konservativem Antlitz verwandeln will, gleich zu Beginn seiner Amtszeit Ende 2005 das Recht gesichert, die Spitze des Staatsrates selbst zu besetzen. Ausgewählt wurde Elżbieta Kruk, 47-jährige Absolventin einer Katholischen Universität und Kaczynskis Kollegin in der Partei „Recht und Gerechtigkeit“. Seit ihrem Amtsantritt läuft eine Welle der Angst durch die polnische Medienszene, denn der Staatsrat für Rundfunk und Fernsehen kann empfindliche Geldstrafen verhängen.

So wurde der Fernsehsender „Polsat“ gerade zur Zahlung von 130.000 Euro „für die Verspottung der Behinderten und des Gebets“ verdonnert. Grund war der Auftritt der Publizistin und Feministin Kazimiera Szczuka in einer Talk-Show. Während des Gesprächs hatte Szczuka die Stimme einer Moderatorin des erzkatholischen Senders „Radio Maryja“ imitiert und diese als „altes Mädchen“ bezeichnet. Was Szczuka nicht wusste: Die Moderatorin ist behindert. „Das war doch nur eine freundliche Anekdote“, verteidigte sich Szczuka hinterher. „Und ich habe am Anfang der Sendung doch gesagt, dass ich nicht weiß, wer das eigentlich ist.“ Auch der Polnische Medienethikrat (REM) fand in der Aussage der Publizistin keinerlei Spur von „Verspottung von Behinderten“. Doch der Staatsrat für Rundfunk und Fernsehen blieb stur. Es habe sich um eine „unrichtige Handlung“ gehandelt.

Ähnlich erging es dem Radiosender TOK FM, dem die Staatsrats-Vorsitzende Kruk vorwirft, dass er sich nicht an die Medienethik hält und deren Standards bricht. Grund ist unter anderem eine Live-Sendung über das Thema „Sex vor der Ehe“. Kruk hat dazu festgestellt, dass sich der Moderator „in einer geringschätzigen Art und Weise gegenüber der Lehre der Kirche und der Menschen, die diese Lehre verteidigen, geäußert“ habe. Gleichzeitig forderte Kruk den Radiosender auf, „in der Zukunft einen derartigen Missbrauch bedingungslos zu eliminieren“.

„Der Staatsrat für Rundfunk und Fernsehen sollte die Freiheit des Wortes verteidigen, stattdessen wird er zu einer Organisation, die das freie Wort unterdrückt“, kritisiert der Medienexperte Wiesław Godzic. „Mit Angst beobachte ich, wie wir zu einer Situation zurückkehren, in der die Führungsmacht weiß, was gut ist und versucht, dies dem Bürger aufzuzwingen. Einige Publizisten sagen, dies sei nur die Wahrnehmung einiger Intellektueller, doch ich sehe eine ernste und reale Bedrohung“. 

Bereits zu Anfang ihrer Regentschaft haben die nun führenden konservativen Politiker gezeigt, dass sie die polnischen Medien in gute und böse Medien aufgeteilt haben: Als der lang erwartete Koalitionspakt zwischen der Kaczyński-Partei und den verbündeten Parteien „Liga der Polnischen Familien“ und der Partei „Samoobrona“ des Bauernführers Andrzej Lepper unterzeichnet wurde, erhielten der katholische Fernsehsender „Trwam“ und der erzkonservative Sender „Radio MaryjaVorabinformationen und konnten live berichten. Die übrigen Journalisten erfuhren von dieser Bevorzugung in einer nachfolgenden Pressekonferenz und verließen diese unter Protest.

 

Versammlungsfreiheit wurde bestätigt

Das Verbot des “Marsches für Gleichheit” im November letzten Jahres durch den PO-Bürgermeister der Stadt Poznań sowie den SLD-Wojewoden von Großpolen (s.a. POLEN und wir, 2/2006, S. 5-6) war unrechtmäßig, so urteilte das Oberste Verwaltungsgericht Polens. “Dieses Urteil ist ein Damm gegen die Einschränkung der verfassugsmäßigen Versammlungsfreiheit. Ich stelle fest, dass den Verwaltungsorganen die Hände gebunden wurden, dass die Suche nach künstlich abgeleiteten Gründen beendet ist. Natürlich könnte man das Versammlungsrecht ändern, aber das ruft unweigerlich eine Reaktion des Verfassungsgerichtes hervor”, sagte laut Gazeta Wyborcza Dr. Andrzej Malanowski vom Büro des Ombudsmanns für Bürgerrechte.

Der Ombudsmann für Bürgerrechte hatte bereits im Januar dieses Jahres ein Urteil des Verfassungsgerichtes erstritten, nachdem er dort Klage gegen das Verbot der “Parade für Gleichheit” im Juni 2005 in Warschau einreichte. Das Verbot wurde ebenfalls durch das Gericht aufgehoben. Ausgesprochen hatte es damals der heutige Präsident der Republik Polen, Lech Kaczyński....                                                                                                                                                        w.s.