Über die Rolle
der Axel Springer AG in der Transformation der polnischen Printmedien nach der
national-konservativen Machtübernahme
"In den
Krieg gegen Gazeta Wyborcza..."
Von Roch Baranowski
Der Axel Springer Verlag nutzt die Krise der polnischen liberalen Zeitungslandschaft, allen voran Adam Michniks Gazeta Wyborcza, um eine polnische Version von Die Welt auf dem wichtigsten Medienmarkt Ostmitteleuropas zu etablieren. Nach dem überragenden Erfolg der polnischen Version der Bildzeitung - des Boulevardblattes FAKT - die in weniger als einem Jahr nach Einführung im Oktober 2003 die Marktführerschaft übernahm, prescht Axel Springer nun auf den Markt der sogenannten meinungsbildenden Tageszeitungen vor. Am 18. April 2006 erschien die Erstausgabe der Tageszeitung "Dziennik Polska Europa świat" (Tageszeitung Polen Europa Welt). Ob es Springers DZIENNIK gelingen wird, sich als Sprachrohr der national-konservativen Neuen Rechten zu etablieren, bleibt abzuwarten.
Während FAKT sich klar an der
Bildzeitung orientiert, ist DZIENNIK offen an
Die Welt angelehnt - wie schon der Blick auf das Logo zu erkennen gibt.
Offiziell gibt sich Springer mit
DZIENNIK weniger ehrgeizig als mit seinem Boulevardbruder FAKT. Nach Angaben
des Verlages wird mittelfristig eine Auflage von 150.000 angestrebt, dieses Auflagenziel liegt jedoch
weit unter den rund 500.000 verkauften Exemplaren der Gazeta Wyborcza und den 270.000 der Rzeczpospolita. Mit allen Mitteln versucht
Springer den Eindruck einer Kampfmarkteinführung zu vermeiden: “Der Herausgeber ist überzeugt,
dass DZIENNIK viele Leser aus einer neuen Generation erreichen wird, welche im
bisherigen Pressemarkt noch nicht ihre Zeitung gefunden haben.”
Diese Zurückhaltung hat ihren
Grund: Während der bisher boulevardscheue polnische Markt für FAKT vor zwei
Jahren nahezu leer stand (mit Ausnahme des Tabloids Super Express), galt Polens
Markt für ernste Tageszeitungen bisher als gesättigt. Springers Bescheidenheit
nun ist ein Versuch, eine offene Konfrontation mit den etablierten Blättern
solange zu verzögern, bis DZIENNIK auf dem Markt Fuß gefasst hat. Dass das
wirkliche Auflagenziel weitaus höher liegt, ist offensichtlich: Bei dem
Dumpingpreis von 1,50 Złoty (ca. 40 Cent) würde die Zeitung ansonsten ein
Verlustgeschäft bleiben - bei aller Anlehnung an Die Welt, wird Springer wohl
versuchen, den chronischen Verlust der deutschen Tageszeitung nicht an DZIENNIK
zu vererben.
Andreas Wiele, Springers Vorstand
für Zeitschriften und Internationales
erklärte: "Die osteuropäischen Länder, insbesondere Polen, gehören
zu den Kernwachstumsmärkten der Axel Springer AG." Als DZIENNIK am 18.
April startete, wurde von einer Erstauflage von 800.000 Exemplaren berichtet. Unabhängig von diesen Zahlen ist
klar, dass Springer nicht nur Neukunden aufsammeln, sondern vor allem die
Stammleserschaft des stark angeschlagenen Flagschiffs der polnischen Medienlandschaft,
Adam Michniks Gazeta Wyborcza, anzapfen will.
"Wir ziehen in den Krieg
gegen Gazeta Wyborcza", erklärten
einige Redakteure von DZIENNIK offen. So hat es diese auch verstanden:
Unmittelbar nach Springers extrem kurzfristiger Ankündigung der Markteinführung
von DZIENNIK zum Tiefstpreis von 1,50 Złoty zog Gazeta Wyborcza mit und senkte ihren
Preis dementsprechend (teilweise um fast die Hälfte von bisherigen 2,80 Złoty
), ohne sich jedoch wütende Kommentare
zu verkneifen. Als FAKT im Jahr 2003 für 1 Złoty an den Start ging, hatte
Super Express noch (erfolglos) gegen diesen Preis geklagt.
Der Zeitpunkt für Springers Attacke ist gut gewählt
Sowohl Gazeta Wyborcza wie die
auflagenzweite Rzeczpospolita befinden sich in einer tiefen Krise. Diese steht
unmittelbar mit dem starken politischen Rechtsruck, den Polen seit den
Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im vergangenen Oktober durchlebt, im
Zusammenhang.
Die oft mit der FAZ verglichene
rechtsliberale Rzeczpospolita (Rz) hat sich vor allem durch ihren Nachdruck der
umstrittenen Mohammed-Cartoons im sogenannten Karikaturenstreit Ärger mit den
neuen Machthabern eingehandelt. Die antiliberale, katholisch orientierte
polnische Rechte rund um die Regierungspartei
PiS (Prawo i Sprawiedliwosc - Recht und Gerechtigkeit) reagierte empört
und sah in der Aktion einen Angriff auf den Islam, der sie an die empfundenen
ständigen Angriffe auf Glauben und Kirche in Polen durch die liberalen Medien
erinnerte. Der PiS-Premierminister Marcinkiewicz entschuldigte sich offiziell
für die Rzeczpospolita, was seine Gegner wiederum laut an seinem Verständnis
von der Unabhängigkeit der Presse zweifeln ließ.
Da der polnische Staat ein
Minderheitseigner des Verlages der Rzeczpospolita ist, dessen Mehrheit dem
norwegischen Orkla Media-Konzern gehört, musste der liberale Chefredakteur
Grzegorz Gauden von Rz im Zuge der Mohammed-Affäre um seinen Job fürchten.
Nachdem einige Wochen lang nach einem neuen Chef gesucht wurde, blieb Gauden
schließlich doch im Amt, da sich Orkla und die Regierung nicht auf einen Nachfolger einigen konnten.
Gauden geht jedoch wie seine Zeitung stark beschädigt aus der Affäre hervor;
die offene Intervention der Regierung erschütterte ihre Unabhängigkeit.
Entstehung einer neuen Presselandschaft
Die Schwierigkeiten der
Rzeczpospolita, die jedoch vor der Krise der Wyborcza verblassen, erklären sich
aus der Struktur der polnischen Medienlandschaft. Polens Zeitungen und
Zeitschriften sind seit dem Ende des kommunistischen Printmonopols überaus
stark politisiert. So repräsentieren die verschiedenen Zeitungen nicht bloß
allgemeine politische Orientierungen wie 'links' oder 'konservativ', sondern
nehmen seit jeher aktiv an politischen Kampagnen einzelner Parteien teil, was
aus der jüngsten Geschichte der freien Medien in Polen herrührt.
Bis in die Achtziger gab es nur
eine offizielle überregionale Tageszeitung, das kommunistische Parteiblatt
Trybuna Ludu (Volkstribüne). 1982 wurde neben der Parteizeitung Trybuna die
Rzeczpospolita (Republik) als Regierungszeitung eingeführt, um angesichts der
Staatskrise um die Solidarność-Bewegung größeren Meinungspluralismus
zu suggerieren. Als 1989 die Solidarność-Gewerkschaft das erste Mal
zu Parlamentswahlen antreten durfte, entstand die erste nicht-kommunistische
Zeitung, die Gazeta Wyborcza Solidarność, die 'Wahlzeitung'. Als
direktes Wahlkampforgan dienten die ersten Ausgaben vor allem zur Veröffentlichung
der oppositionellen Kandidatenlisten.
Als diese Wahlen das Ende des
Kommunismus in Polen besiegelten, kam die Gazeta Wyborcza unter Leitung des
intellektuellen Dissidenten Adam Michnik als die dominante reguläre
Tageszeitung hervor. Das Parteiblatt Trybuna Ludu blieb den Postkommunisten
verbunden und fristet bis heute als Trybuna ein Marginaldasein wie ihr
DDR-Äquivalent Neues Deutschland. Die Rzeczpospolita konnte sich nach dem
unerwarteten Regierungswechsel 1989 aus ihrer bisherigen Rolle befreien und
entwickelte sich zum konservativ-liberalen Befürworter der anti-kommunistischen
rechten Regierungen der Lech Wałêsa-Zeit und damit zur zweitgrößten polnischen
Tageszeitung.
Der erste Platz blieb jedoch bis
heute dem ehemaligen Solidarność-Blatt, der Gazeta Wyborcza,
vorbehalten: Die Autorität Adam Michniks, der sich als einer der wenigen
Regimegegner nach der Wende aus der Politik zurückzog und damit im Gegensatz zu
seinen Mitstreitern der schnellen Kompromittierung entging, wog schwer, genauso
wie die historische Rolle der Wyborcza. Michniks versöhnlicher Stil bestimmte
die Anfangsjahre der dritten polnischen Republik. Nach den Misserfolgen der
unerfahrenen Regierungen der Rechten und der Lächerlichkeit der Präsidentschaft
Lech Wałęsas war es die Wyborcza, die entscheidend zur Rehabilitierung
der postkommunistischen Linken und der Präsidentschaft des Ex-Kommunisten
Aleksander Kwaśniewski beitrug.
Die polnische Politik der
Neunziger war von dem Dualismus der zerstrittenen und unprofessionellen
Solidarność Nachfolge-Parteien auf der Rechten und den erfahrenen,
jedoch geschichtlich vorbelasteten Postkommunisten um die linke Partei SLD
(Sojusz Lewicy Demokratycznej-Allianz der demokratischen Linken) bestimmt,
wobei die Rzeczpospolita eher die ersteren unterstützte und Michniks Wyborcza
sich immer mehr in Richtung der postkommunistischen Linken bewegte. Der Rest
des Tageszeitungsmarktes wurde von unzähligen Regionalblättern ausgefüllt.
Aufstieg der Neuen Rechten
Als sich die politische
Landschaft Polens in den letzten Jahren entscheidend wandelte und um einen
dritten, antiliberal-nationalen Pol erweitert wurde, blieb es nur eine Frage
der Zeit, bis die bisherige bipolare Marktaufteilung zwischen linksliberaler
Wyborcza und rechtsliberaler Rzeczpospolita von der neuen politischen Realität
eingeholt wurde.
Die 1997 entstandene
rechtsliberale Post-Solidarność-Regierung (AWS-Wahlaktion Solidarność)
von Jerzy Buzek zerfiel während seiner Amtszeit und wurde als
Minderheitsregierung zu Ende geführt. Die forcierte wirtschaftliche
Liberalisierung Polens, der Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 20%, das
gleichzeitige Absinken des Wirtschaftswachstums und das scheinbare Unterordnen
aller Probleme Polens unter das Ziel eines schnellen EU-Beitrittes führten zu
einem grandiosen Sieg der Postkommunisten (SLD) in 2001 (41%). Zur Enttäuschung
vieler änderten diese den Kurs jedoch nicht, setzten den neoliberalen
Wirtschaftskurs ihrer Vorgänger (mit größerem Erfolg) fort und führten Polen im
Mai 2004 in die EU. Als mehrere Korruptionsskandale die neue Regierungspartei
SLD samt Premierminister Leszek Miller stark belasteten, zerfiel der
öffentliche Rückhalt der Partei, die sich bis heute nicht mehr erholen konnte
und momentan im einstelligen Prozentbereich dahindümpelt, während der Aufstieg
der polnischen Neuen Rechten - rechts von den bisherigen Rechtsliberalen -
seinen Lauf nahm.
Die politische Seite der Solidarność
war bereits unmittelbar nach der Wende in ein liberales, pro-europäisches Lager
und eine nationalistische, an der Politik der Zwischenkriegszeit orientierte
Richtung zerfallen. Die letztere jedoch wurde in den 90er Jahren erfolgreich
marginalisiert - durch ihre Europafeindlichkeit, ihren radikalen Nationalismus
und teilweise offenen Antisemitismus nahmen diese Gruppen die Rolle moderner
Protestparteien am rechten Rand ein.
Das änderte sich mit dem Aufstieg
der 2001 gegründeten rechts-konservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) um die
Zwillingsbrüder Lech und Jarosław Kaczyński, die zwar gerne in die
populistische Kiste des Nationalismus griffen, sich jedoch von den Extremisten
und Antisemiten distanzierten und vor allem mit dem Versprechen der nationalen
moralischen Erneuerung und des solidarischen Staates im von Korruption und
neoliberalen Auswüchsen geplagten Land punkten konnten. Noch weiter rechts
entwickelte sich die nationalistisch-katholische LPR (Liga der polnischen
Familien). Die populistische Bauernpartei Samoobrona (Selbstverteidigung) dazu
genommen, entstand damit eine neue politische Kraft, die ihren Platz jenseits -
rechts - von der politischen Konfiguration der 90er Jahre einnahm. Die linksliberale
Gazeta Wyborcza setzte ihre Marktposition und Autorität ein, um Stimmung gegen
die Neue Rechte zu machen.
Der unaufhaltsame Aufstieg der
Neuen Rechten wurde durch die mediale Dominanz ihrer liberalen Gegner
behindert, doch zur Hilfe kam ihr das katholische Medienimperium des
exzentrischen Redemptoristenpriesters Pater Rydzyk, der mit dem größten
polnischen Radiosender Radio Maryja, seinem eigenen Fernsehsender TV-Trwam und der Tageszeitung Nasz Dziennik (Unsere Tageszeitung) seit
Jahren im In- und Ausland mit einer höchst politisierten, offen parteiischen
Berichterstattung und seinen fragwürdigen Managementmethoden für Empörung
sorgt. Trotz des Protestes der polnischen Kirchenoffiziellen und neuerdings des
Vatikans nahm sich Rydzyk der medialen Vertretung von LPR und PiS an. Neben
Angriffen auf die korrupte Linke wurde nun die Gazeta Wyborcza selbst zum Ziel:
als vermeintliches Sprachrohr des postkommunistischen Paktes zwischen
Ex-Funktionären und Vertretern der linken Opposition, unter denen - nach
Meinung der Wendeverlierer - Polen in den letzten 15 Jahren genüsslich
aufgeteilt wurde.
Die Gräben an der neuen
Medienfront verhärteten sich schnell: Während Gazeta Wyborcza ab jetzt fast
täglich Pater Rydzyk und seine Medien für ihr Engagement am rechten Rand der
Politik, seine nationalistische Gesinnung und die Duldung bekannter Antisemiten
auf ihrem Sender kritisierte, rief die nationalistisch-katholische Liga der
Polnischen Familien (LPR), welche zeitweise zweistellige Umfragewerte erlangte,
einen Boykott der Wyborcza aus. Der Abgeordnete des Europaparlaments, Wojciech
Wierzejski, erklärte Anfang 2005:
“Die Liga der Polnischen Familien
wird den offen staatsfeindlichen Medienaktionen und der journalistischen
Hinrichtung der Verteidiger der Wahrheit nicht länger tatenlos zusehen. Wir
werden es nicht zulassen, dass sich die rosafarbenen Hyänen straflos an uns
weiden. Wir appellieren an alle Mitglieder und Freunde der LPR, die Gazeta
Wyborcza nicht zu kaufen, nicht zu lesen und nicht zu zitieren. Wir erklären
ihren vollständigen Boykott innerhalb der Strukturen der LPR. Wir appellieren
an alle uns freundlich gesinnten Zeitungsverkäufer, die Gazeta Wyborcza nicht
zu verkaufen - und falls das nicht möglich ist - sie nicht zu bewerben und
nicht auffällig auszustellen.”
Michnik befand sich nun in der
Zwickmühle. Durch die Angriffe der damals schon bedeutenden, jedoch nicht
dominierenden Neuen Rechten wurde die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die
Parteinahme der Wyborcza gelenkt. Mit dem Untergang der linken SLD im
Korruptionssumpf wurde es höchste Zeit, seine Unabhängigkeit wieder unter
Beweis zu stellen. Andererseits fühlte sich Michnik offenbar verpflichtet,
Wyborczas Marktposition gegen die neuen Populisten einzusetzen. Die überfällige
Loslösung der Zeitung von der korrupten Linken wurde von den Exzessen der Neuen
Rechten verhindert - je mehr Michnik diese angriff, desto mehr wirkte er wie
der Verteidiger des postkommunistischen Paktes.
Dieser Medienkonflikt erreichte
seinen Höhepunkt im Sommer 2005, als der Wahlkampf um die Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen in die heiße Phase trat. Der Kampf zwischen der
kompromittierten Regierungslinken um die SLD und der Neuen Rechten um PiS und
LPR nutzte anfangs vor allem den traditionellen Rechtsliberalen, die nach dem
Debakel der Buzek-Regierung in diesem politischen Klima als neue Mitte wieder
auferstehen konnten. Die rechtsliberale Nachfolgepartei der zerfallenen AWS,
die Bürgerplattform PO, schien vielen einziger vernünftiger Ausweg aus der
Krise zu sein und genoss auf Anhieb die Sympathien höherer Bildungs- und
Einkommensschichten in Polen und des Auslands. Ihr Stammblatt, die
Rzeczpospolita, befand sich im Aufwind.
Für Michnik und seine Gazeta
Wyborcza entwickelte sich jedoch ein Dilemma: Es war die Wyborcza, welche die
Schwächen der rechtsliberalen Buzek-Regierung 1997-2001 kritisiert hatte und
die offen den postkommunistischen linken Präsidenten Aleksander Kwaœniewski
unterstützte. Dieser - die einzige unbeschädigte Person der polnischen Linken -
durfte nach Ablauf der zweiten Amtszeit nicht wieder zur Präsidentschaftswahl
antreten. Die notwendige Distanzierung von der zerstörten Linken und die
gleichzeitige Aufrechterhaltung einer kontinuierlichen, konsequenten Position
erforderte von Michnik und Wyborcza die Quadratur des Kreises. So unterstützte
die Zeitung im Herbst 2005 die rechtsliberale PO in den Parlamentswahlen, in
denen die Linke von Anfang an nicht den Hauch einer Chance hatte, während sie
für die Präsidentschaftswahlen den Kandidaten der SLD, den Ex-Premierminister Włodzimierz
Cimoszewicz befürwortete. Rydzyks katholisches Medienimperium hingegen
entwickelte sich zum fast-offiziellen Sprachrohr der neuen PiS-Regierung
Als Nachfolger des immer noch
extrem populären SLD-Präsidenten Kwaœniewski und als möglicher Gegenpol zur
unvermeidlichen Regierungsübernahme durch die Rechte entwickelte sich
Cimoszewicz tatsächlich zum Favoriten für das Präsidentenamt und Michniks
Strategie schien aufzugehen. Doch einige Wochen vor der Wahl wurde Cimoszewicz
Opfer einer konzentrieren Medienkampagne seitens der rechten Medien, allen
voran von Pater Rydzyk, die seine Kandidatur mit (ungedeckten)
Korruptionsvorwürfen zerschoss, so dass Cimoszewicz innerhalb von wenigen
Wochen von der Führung in allen Umfragen auf einen hoffnungslosen Platz
abrutschte und seine Kandidatur drei Wochen vor den Wahlen zurückzog. Die
Gazeta Wyborcza erlitt schweren Gesichtsverlust und die polnische Linke war endgültig
am Ende. Ab jetzt war klar, dass beide Oktoberwahlen sich nur noch zwischen der
alten Rechten um die PO und der neuen Rechten um PiS abspielen würden.
Die Rechte spaltet sich
Bisher waren die rechtsliberale
PO und die nationalkonservative PiS mit klarer Koalitionsankündigung gegen die
Linke ins Rennen gezogen. Als aber deutlich wurde, dass es keinen Gegner mehr
links von ihnen gab, begann die Partnerschaft zu bröckeln, so dass die Wyborcza
jetzt ihre verbleibende Stärke und Autorität der PO und der
Präsidentschaftskandidatur ihres Vorsitzenden Donald Tusk verleihen konnte und
die Kampagne gegen die Zwillingsbrüder Kaczyński der PiS anführte. Es ging
darum, den sicher geglaubten Vorsprung der rechtsliberalen PO zu vergrößern, um
den Einfluss der Neuen Rechten um PiS als zukünftigen Juniorpartner gering zu
halten.
An den Tagen vor der Wahl führte
die PO in den meisten Umfragen sowohl für das Parlament als auch die
Präsidentschaft. Als dann jedoch die PiS beide Wahlen im Oktober überraschend
gewinnen konnte, war das Worst-case-Szenario für die Wyborcza, Adam Michnik und
Polens Linksintellektuelle eingetreten: Die Linksliberalen haben sich in Luft
aufgelöst (von 41% 2001 auf 11,3% gefallen und noch hinter der dubiosen
Bauernpartei Samoobrona (11,4%) gelandet), die Rechtsliberalen den sicheren
Sieg verspielt (24%) und die Neue Rechte um PiS (27%) und LPR (8%) die
Regierung und die Präsidentschaft gesichert.
Die dunklen Wolken über der
Wyborcza brachen nun: Die Auflage sank schlagartig auf unter 400.000 um die
Jahreswende herum und der Aktienwert des Verlagshauses Agora, das noch in der
Neujahrsausgabe des amerikanischen BusinessWeek als Kauftipp in Mitteleuropa
genannt wurde, verlor seitdem ca. 40%
seines Wertes. Auch das Ansehen Adam Michniks litt schwer: Laut einer
hauseigenen Umfrage der Wyborcza wurde Michniks Einfluss auf Polen von nur noch
25% der Befragten als positiv, von 23% als schädlich eingestuft, was dem
einstigen Solidarność-Helden (und Träger des Großen
Bundesverdienstkreuzes) den 13. Platz von 23 genannten Personen einbrachte, nur
vier Plätze vor dem kommunistischen Diktator Wojciech Jaruzelski .
Radio Maryja – problematisches Sprachrohr
Als sich der Konflikt zwischen
der Regierungspartei PiS und der rechtsliberalen PO in den Monaten nach der
Wahl verschärfte, wurde auch POs klassischer Unterstützer, die Rzeczpospolita,
mit dem Karikaturenstreit als Anlass, von der PiS abgestraft. Rydzyks
katholisches Medienimperium hingegen entwickelte sich zum fast-offiziellen
Sprachrohr der neuen PiS-Regierung. Beinahe täglich fahren seitdem schwarze
Warschauer Regierungslimousinen in Rydzyks Zentrale in Torun vor, um in
TV-Trwam aufzutreten. Als die PiS-Minderheitsregierung Anfang Februar eine
Quasi-Koalition, den so genannten Stabilisierungspakt mit LPR und Samoobrona
unterschrieb, geschah dies exklusiv vor Journalisten von Rydzyks TV-Trwam,
Radio Maryja und Nasz Dziennik, während die restlichen Medien erst hinterher informiert
wurden, wogegen sie bitter aber vergeblich
protestierten.
Die anhaltende Zusammenarbeit von
PiS mit dem exzentrischen Priester ist jedoch mit einigen Nachteilen verbunden.
Rydzyks aggressive Parteinahme verärgert seit Jahren die polnischen
Kirchenoberen, die sich - zumindest offiziell - wünschen würden, dass seine
Medien sich aus der Politik heraushielten und sich auf die Übertragung von
Gottesdiensten und Rosenkränzen konzentrierten. Auch Benedikt XVI. äußert sich
immer kritischer über das politische Engagement des polnischen Redemptoristen.
Des Weiteren ist Radio Maryja mit einem ständigen Antisemitismusvorwurf
konfrontiert. Zwar enthalten sich die redaktionellen Beiträge in den letzten
Jahren antijüdischer Kommentare, doch wiederholt wurden externe Kommentatoren
oder Anrufer in den Äther geschaltet, welche vor Freimaurer- und Judenverschwörungen
warnend, die politischen Polemiken aus Vorkriegspolen wiederaufleben lassen,
wie zuletzt der Beitrag von Stanisław Michałkiewicz vom 29. März,
gegen den nun die polnische Staatsanwaltschaft
ermittelt.
Die Partnerschaft mit Rydzyk
bindet dadurch die PiS an die extreme Rechte, von der sich die Regierungspartei
gerne trennen würde. Der Ehrgeiz des Partei-Masterminds und Präsidentenbruders
Jarosław Kaczyński sieht PiS langfristig als rechts-konservative
Volkspartei - in deutschen Maßstäben eher CDU als NPD. Da kann sich die aus der
Not entstandene Partnerschaft mit dem unkontrollierbaren Medienpriester Rydzyk
als Nachteil erweisen. Die letzte Stelle in der
Umfrage, in der Michnik den schwachen 13. Platz machte, nahm
bezeichnenderweise kein anderer als Pater Rydzyk selbst ein. Nur 9% der
Befragten schätzten sein Wirken als positiv, 70% seinen Einfluss als negativ
für Polen ein.
Die Springerpresse als neues Sprachrohr der Rechtsregierung?
PiS ist sich der Gefahren einer
zu starken Bindung an Rydzyks Medien offenbar bewusst. Ihr zweitbeliebtestes
Forum ist dadurch seit langem - Axel Springers FAKT. Vor allem der PiS
Regierungschef Marcinkiewicz ist ein regelmäßiger Gast der polnischen
Bildzeitung, aber auch der sonst medienscheue Präsident Lech Kaczyński
gibt seine seltenen Interviews bevorzugt in der FAKT.
Das Timing der Markteinführung
von Springers DZIENNIK ist somit perfekt. Am 2. Mai beschloss (24) die polnische
Bischofskonferenz, Rydzyk aus der Politik zurückzupfeifen und ein Kontrollorgan
zur Überwachung seiner Medien einzusetzen. Ob dieser die Entscheidung kampflos
akzeptieren wird, ist ungewiss. Falls PiS seine Verbindungen nach Rechtsaußen
jedoch tatsächlich kappen will, wird es bald einen neuen Partner in den Medien
brauchen.
Mit der Wyborcza ist PiS immer
noch offen verfeindet: Noch am 1. Mai erklärte Jarosław Kaczynski, dass
die Gazeta Wyborcza der polnischen Kommunistischen Partei entstammte; ein
Affront gegen Michnik, der viele Jahre als Dissident in kommunistischen
Gefängnissen einsaß. Doch auch mit der Rzeczpospolita schwelt der Streit
weiter, wie das Gezanke um das erst nicht autorisierte, später retuschierte und
schließlich von der Rzeczpospolita abgelehnte Präsidenteninterview zeigt.
So bietet sich Springers DZIENNIK
geradezu an, das Sprachrohr der polnischen Neuen Rechten zu werden und das genau
scheint Springers Strategie für Polen zu sein. So wird berichtet, dass der
Springer Verlag seine neue Zeitung vorab den Kaczyński-Brüdern persönlich
vorstellte. Ob diese jedoch anbeißen, muss man abwarten. Denn Springers
DZIENNIK hat einen hauseigenen Nachteil: Es ist eine deutsche Zeitung. Rydzyks
Medien haben diese Schwäche erkannt und bezeichnen die Zeitung dadurch
konsequent als "Der Dziennik", um auf seine deutsche Herkunft zu verweisen. Ob PiS, welche gerne mit
anti-deutschen Parolen in der Wählergunst fischt, bereit ist,
"Dziennik" zu ihrer Hauszeitung zu machen, wird sich zeigen müssen -
für ihre bisherige Kooperation mit FAKT schien dies jedoch kein Hindernis.
Falls das nicht geschieht, wird es eng werden für Springer auf dem polnischen
Tageszeitungsmarkt. Trotz ihrer tiefen Krise ist die Wyborcza immer noch klarer
Marktführer und durch die Preissenkung steigt ihre Auflage wieder. Auch die
Rzeczpospolita wird ihre Position als elitäres Qualitätsblatt trotz der
Angriffe von PiS so schnell nicht verlieren. Wenn es Springer nicht gelingen
wird, Rydzyk als medialen Partner der Regierungspartei zu verdrängen, wird es
DZIENNIK kaum möglich sein, die Gewinnzone zu erreichen.
Vielleicht jedoch wird Springers
DZIENNIK dazu beitragen, die polnische Medienlandschaft von ihren direkten
Verbindungen zur Politik zu befreien. Das wiederum wäre eine Premiere für die
Axel Springer AG. Würde PiS hingegen bereit sein, mit Hilfe von DZIENNIK eine
polnische CDU aufzubauen, könnte der deutsche Verlag bestimmt gut mit seiner
langjährigen Erfahrung als verlässlicher Medienpartner der Konservativen
dienen. So oder so - auch wenn Springer gegen die Gazeta Wyborcza in den Krieg
zieht, scheint die letzte Schlacht auf dem polnischen Zeitungsmarkt noch lange
nicht geschlagen.
Wir danken dem
Autor und dem Verlag für das Nachdrucksrecht. Der Text wurde von der Redaktion
leicht gekürzt. Copyright © Heise Zeitschriften Verlag