Der Traum vom Glück?

Von Witold Kamiński

 

Mit dem EU-Beitritt Polens sind insbesondere gegenüber Deutschland und Österreich befristete Begrenzungen der Arbeitnehmer-Freizügigkeit in Kraft getreten. Einerseits zeichnet sich schon heute ab, dass die deutsche Politik diese Fristen nicht nutzt, um sich und das Land auf die dann eintretende neue Situation vorzubereiten, stattdessen wird bereits über Verlängerung der Fristen laut nachgedacht. Andererseits zeigt sich, dass man Wanderungsbewegungen nicht so einfach stoppen kann. Drängte man früher polnische Arbeitskräfte, die nach Deutschland wollten, in die Illegalität, so drängt man sie mit der veränderten Regelung in die Scheinselbständigkeit. Doch allein mit Kriminalisierung oder anti-polnischen Stimmungen ist das Problem nicht zu lösen.

 

Ein Traum vieler Menschen in Polen scheint in Erfüllung gegangen zu sein. Polen in der EU. Endlich mal wie Europäer und nicht wie bislang als Paria behandelt zu werden. Die Grenzen sind zwar nicht voll und ganz durchlässig, aber die nur ein wenig eingeschränkte Freizügigkeit lässt sich genießen. Seit dem 1. Mai 2004 strömen die Menschen aus Polen in den Westen und siedeln sich in England, Irland und in der Bundesrepublik an. Es sind nicht die Ströme, welche die "Experten" vorausgesehen haben wollten - keine Millionen, sondern nur Hunderttausende und nicht die Bundesrepublik ist das Hauptziel der Wanderung.

Legalisierung des Aufenthalts auf der einen...

Hierzulande verläuft die Entwicklung ganz anders, als die "Experten" prophezeit haben. Hierher kommen weniger Menschen über die Grenze, als die Statistiken verzeichnen. Es ist nicht die Zuwanderungswelle, sondern eine Legalisierungswelle zu verzeichnen. Kleine und kleinste (Ein-Mann/Frau) Firmen gründen Menschen, die schon lange ohne Aufenthaltstitel und mit dem Stigma - Schwarzarbeiter - in Deutschland gelebt haben. Jetzt dürfen sie legal leben und ohne Angst, kontrolliert, geschnappt und ausgewiesen zu werden. Legal arbeiten, Geld verdienen, Steuern zahlen, die Kinder in die Schule schicken.

Es scheint, dass sich viele daran gewöhnt haben und die Möglichkeit, selbst davon zu profitieren, nutzen: Brötchen und Wurst aus Polen, gekauft in einem polnischen Laden und nicht auf dem "Polenmarkt"; Renovierungsarbeiten "mit Rechnung" von einer polnischen Ein-Mann-Firma, oder die Pflege der kranken Mutter einer "legalen" polnischen Krankenpflegerin anvertrauen. Solche "Geschäftskontakte" passen eher in die Kategorie "Schnäppchen", als wie bislang in die Kriminalstatistiken: Beschäftigung illegaler Arbeitskräfte, Erwerb von Schmuggelware, Steuerhinterziehung usw. Dieselben und nur "Verwandelten" werden jetzt zu Geschäftspartnern und werden nicht mehr als Halbsklaven beurteilt und behandelt. Man lernt langsam, auf gleicher Augenhöhe miteinander zu verhandeln und zu reden. Das ist das Sichtbare und das Gute daran.

Das Unsichtbare wird aber nicht lange verborgen bleiben. Es ist zu erwarten, dass die negativen "Nebenerscheinungen" des Prozesses der europäischen Integration bald mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wecken als alle positiven Merkmale, weil es schon immer so gewesen ist. Diese negativen Erscheinungen gibt es als Folge verschiedener Faktoren, die im Vorfeld der EU-Erweiterung gar nicht oder zu wenig berücksichtigt wurden.

... Ausbeutung durch Gangster auf der anderen Seite

Es ist nicht nur die Kluft zwischen den "alten"- reichen Europäern und den "neuen" - armen. Es sind vor allem sich wiederholende Fehler der Politik und daraus folgende Gesetze und deren Handhabung. Realitätsfremde Vorschriften weisen immer Lücken auf, die dazu einladen, sie zu umgehen.

Viele Ein-Mann-Firmen werden oft als Scheinfirmen gemeldet. Sie sind zu fünfzig oder zu achtzig Prozent unter einer Adresse zu finden. Fast täglich fahren Kleinbusse mit unscheinbaren Typen, angeführt von einem "der alles weiß" und sich gut auf Deutsch verständigen kann. Er erledigt alle Formalitäten: Anmeldung, Bescheinigung über Freizügigkeit, Gewerbeanmeldung, Bankkonto, usw. Manchmal werden von ihm die Anträge auf Kindergeld gestellt und Verträge für Handys abgeschlossen. Für einen Vertrag werben die Betreiber mit großzügigen Geschenken, die nicht selten den Wert von eintausend Euro übersteigen. Diese Geschenke kassiert der, "der alles weiß", genauso wie das Kindergeld, weil er bevollmächtigt ist. Gewerbetreibende werden nach Hause zurückgebracht und versaufen ihre 100 Euro Belohnung, die sie für den Tag in Deutschland von dem "der alles weiß" kassiert haben. Nicht beglichene Telefonrechnungen machen diesen Menschen keine Sorgen, genauso wenig wie ein Gerichtsvollzieher. Die Adresse stimmt sowieso nicht und ansonsten haben diese Menschen kein Einkommen oder sogar kein Dach über dem Kopf. Telefonnetzbetreiber gehen leer aus, die Kindergeldkassen verzeichnen Verluste, der  "der alles weiß" verzeichnet unversteuerte Gewinne, die Medien werden ein gefundenes Fressen finden und berichten nach bekannter Manier, dass die Polen Deutschland wieder ausplündern. Die Leidtragenden bleiben sowohl die ehrlichen Ein-Mann-Firmen, als auch das deutsch-polnische Verhältnis auf der wichtigsten - der Otto-Normalverbraucher-Ebene. Alte Vorurteile werden wieder belebt und instrumentalisiert und zwar von denen, die es immer schon gewusst haben, dass die Migration und die Immigranten seit eh und je nichts Gutes gebracht haben und Deutschland nur den Deutschen gehören soll. Diejenigen, denen Argumente für eine weitere Verlängerung der Übergangszeiten für Polen ausgegangen sind, werden sich dadurch bestätigt fühlen.

So wird die Debatte über die weitere Verlängerung der Übergangszeiten auf das schon Bekannte reduziert: Deutschland muss sich vor Kriminalität und vor Kriminellen schützen. Gegenargumente werden in der Atmosphäre der Angst nicht zugelassen. Das Problem wird nur nach hinten verschoben.

Offener Zugang mit einfachen Regeln ist notwendig

Weiter gibt es sehr viele Risiken für Menschen, die es gewagt haben, den Begriff Freizügigkeit ernst und wortwörtlich zu nehmen. Selbstständig arbeiten in einem im Grunde nur oberflächlich bekannten Land und System mit immer noch geringen Sprachkenntnissen, ist bestimmt nicht einfach. Aber noch schwieriger ist es, im Crashkurs, Funktions- und Lebensfähigkeit zu erlernen, Gesetzes- und Behördenlandschaft zu erkunden, gesellschaftliche Zusammenhänge kennen und verstehen zu lernen und sich dabei selbst zurechtzufinden. Betrüger und Ausbeuter haben diese Zielgruppe schon entdeckt, weil sie wissen, dass die Menschen auf der Suche nach einem eigenen Platz in dieser Gesellschaft schutzlos und wehrlos sind.

Im Interesse des deutschen Staates und der hiesigen Gesellschaft liegt eine differenzierte Betrachtung der neuen Zuwanderung und der neuen Zuwanderer. Einerseits soll dem Missbrauch der Freizügigkeit vorgebeugt werden, anderseits sollen Schutz und notwendige Hilfestellung im Rahmen der Integrationshilfe gefördert werden.

Migration bringt Bereicherung und gewaltiges Potential in das Land, wenn der Staat und die Gesellschaft mit dem Phänomen umgehen können. Migrationsprozesse müssen umsichtig begleitet und gesteuert werden. Gegenwärtige Probleme mit MigrantInnen haben ihre Wurzel in der falschen Integrationspolitik der Vergangenheit und daraus resultierenden fehlenden Integrationsbereitschaft der MigrantInnen, aber auch der deutschen Gesellschaft. Die Osterweiterung der EU bietet eine Chance, die Einstellung zur Migration und zu Immigranten und den Umgang mit Zuwanderern zu ändern und endlich eine Wende in der Zuwanderungspolitik zu wagen.

Die bisherige Haltung der Politik legt leider die Vermutung nahe, dass sie wieder bereit ist, die Probleme einfach vor sich her zu schieben. Die Verlängerung der Übergangszeiten ist eben das Signal, dass die Ängste, welche übrigens von der Politik geschürt wurden, zum Anlass genommen werden, um abzuwarten und sich nicht der Realität stellen zu müssen. Die aktive Rolle der Politik soll sich doch nicht auf Reagieren beschränken, sondern bewusst die Prozesse steuern. Ansonsten mündet diese jahrelang andauernde passive Haltung in purem Aktionismus, dessen Folgen sich gerade in den öffentlichen Debatten zur Integrations- oder Schulproblematik widerspiegeln.

Gerade der sehr sensible Kontext des deutsch-polnischen Verhältnisses soll in die Betrachtung der Zuwanderung im Rahmen der Freizügigkeit nach der EU Erweiterung ermahnend wirken.

Unterstützung und Förderung der Zuwanderung kann als Investition betrachtet werden und deshalb sollte ihr kein geringeres Gewicht zugemessen werden als der Vorbeugung und Bekämpfung der kriminellen Handlungen, die im Zusammenhang mit den Migrationsprozessen als Nebenerscheinung  auftreten müssen. Wobei Prophylaxe immer wirksamer ist als restriktive Maßnahmen. 

Witold Kamiński ist Vorstandsmitglied des Polnischen Sozialrates Berlin und Beiratsmitglied der Deutsch-Polnischen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland