Flucht, Vertreibung,

Integration - eine Ausstellung

Von Udo Kühn

 

Dieses Ausstellungsprojekt, durchgeführt von der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, zerfällt in vier Teile: einer Studie, beim Institut für Demoskopie Allensbach in Auftrag gegeben, einem Begleitbuch zur Ausstellung, der Ausstellung selbst und Interviews von Zeitzeugen. Insgesamt gesehen verfestigt das sehr aufwendig angelegte Unternehmen zum Teil alte Vorurteile und trägt wenig zur Entspannung der Diskussion über dieses Thema bei.

 

Die Meinung der Meinungsforscher

Ende 2002 wurde zur Vorbereitung der Wechselausstellung eine Meinungsforschung in der Bundesrepublik durchgeführt, der sich 2004 eine Befragung in Polen und in der Tschechischen Republik anschloss. Eine Broschüre* fasst die kommentierten Ergebnisse zusammen. Egal wie man zu Meinungsforschungen im Allgemeinen steht, insgesamt wurden in der BRD 2.183 Personen und in den beiden anderen Staaten jeweils 500 befragt. "...Die Auswahl der Befragten erfolgte nach dem repräsentativen Quotenverfahren, ihre Aussagen sind damit ... für die deutsche Gesamtbevölkerung verallgemeinerbar..." behaupten zumindest die Meinungsforscher.

Es kommt dabei zu Tage, dass "das Wissen um ehemalige deutsche Siedlungsgebiete" anscheinend äußerst mager ist, besonders bei den unter 30-jährigen Befragten: Nur 18 % der Befragten konnte auf einer vorgegebenen Landkarte genau angeben wo zum Beispiel Schlesien liegt. Das betrifft natürlich auch die aktuellen deutsch-polnischen Beziehungen, denn bekanntlich liegt ja Schlesien (Sl¹sk) seit Ende des Zweiten Weltkrieges in Polen.

Interessant ist auch die Aussage, "...Daß die Mehrheit der Deutschen den Vertriebenenverbänden gegenüber weitgehend neutral und eher gleichgültig gegenübersteht...". Weiter: "...Das Klima gegenüber den Vertriebenenverbänden ist in Polen und Tschechien von außerordentlich großem Mißtrauen geprägt. Es ist nicht erkennbar, daß Bemühungen zu gegenseitiger Verständigung, sofern sie von den Vertriebenenverbänden ausgegangen sind, bisher auf fruchtbaren Boden gefallen sind..."

"...Bei der Frage, ob es eine gute Idee sei, ein zentrales ‚Zentrum gegen Vertreibungen' einzurichten, zeigt sich die Bevölkerung gespalten ... eine relative Mehrheit von 45 Prozent ist der Ansicht, man brauche ein solches Zentrum nicht..."

Eigentlich hätten m.E. die Meinungsforscher nach den vorliegenden Ergebnissen von einer Ausstellung abraten sollen.

Das Begleitbuch zur Ausstellung

Das Begleitbuch** ist kein Katalog, denn Ausstellungsobjekte wären auch kaum zu katalogisieren. Es ist ein Buch wie es schon tausende solcher Bücher zum Thema gibt, die besonders in den vergangenen Jahrzehnten die Büchereien und Bibliotheken "bereicherten", oft kostenlos vom Herausgeber ungefragt zugesandt. Allein in dem vorliegenden Begleitbuch sind über hundert Literaturnachweise. Das Begleitbuch ist sehr aufwendig in Druck und Bildwiedergabe, es wurden scheints keine Kosten gescheut. Allerdings fehlt einiges: Zum Beispiel wurde das Buch von Günter Grass "Im Krebsgang" ausdrücklich erwähnt, auch in der Broschüre zur Meinungsforschung, aber die "Unkenrufe" vom selben Autor, in der er eine fiktive "Deutsch-Polnische Friedhofsgesellschaft" beschreibt, bleiben unerwähnt. Nur am Rande wurden die Umsiedlungsaktionen von Deutschstämmigen aus deren Siedlungsgebieten im Südosten Europas in den sogenannten "Warthegau" während des Zweiten Weltkrieges beschrieben. Da gab es zum Beispiel einen SS-Aussiedlungsstab Südmark mit einer Planungsabteilung, nachzulesen in einer Ausarbeitung "Posen, 11.01.1942" [siehe im Internet unter www. gottschee.de]. Die Ausgesiedelten wurden natürlich nach dem Kriege zu "Flüchtlingen und Vertriebenen".

Einen ausgezeichneten Überblick verschafft dagegen das Kapitel "Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg" von K. Erik Franzen (Historiker und freier Autor) mit zum Teil unbekannten oder verdrängten Faktoren. Darin heißt es zum Beispiel "...Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland glaubten viele Deutsche in Polen an die vielfältigen Heilsversprechen dieser Bewegung, wandten sich schließlich in ihrer deutlichen Mehrheit rasch dem Nationalsozialismus zu und spielten die ihnen zugedachte Rolle als ‚Hitlers Helfer' mit ‚Erfolg'...".

Dass bei der Liste der "Förderer, Leih- und Lizenzgeber" das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt als "Deutsch-Polnisches Institut" aufgeführt wird, lässt an der Kompetenz der Bearbeiter zweifeln, denn die Bedeutung ist schließlich eine andere.

Das Begleibuch ist wesentlich übersichtlicher strukturiert als die Ausstellung selbst.

Die Ausstellung und Zeitzeugeninterviews

Da gehen die Meinungen auseinander! DIE ZEIT meint in einer ausführlichen Besprechung vom 8. Dezember 2005 (Nr.50): "...Wer die angenehm sachliche Bonner Ausstellung ... gesehen hat, dem kommt die sterile Aufgeregtheit der bisherigen Debatte läppisch vor. Die Ausstellung arbeitet mit allen Mitteln der modernen Museumspädagogik, ohne je überwältigen zu wollen..."

In der NEUEN ZÜRICHER ZEITUNG vom 16. Dezember 2005 (Nr.294) steht u.a.: "...Frappierende Intensität hat eine Nische, die fast nur aus einer Regalwand mit Aktenordnern besteht, deren Rücken durchweg mit Ortsnamen beschriftet sind: lauter Unterlagen der Ämter für Lastenausgleich, welche die Vertriebenen nach ihrem Herkunftsort sortierten. Die Namen sind ein blasser Widerschein dessen, was einmal ‚Deutscher Osten' hiess..."

Durchweg nur Lob für die Ausstellungsmacher, da fällt es schwer, auch ein paar kritische Worte zu schreiben: Wer das Handbuch studiert hat, braucht die Ausstellung eigentlich gar nicht zu besuchen, ist meine Meinung. Es sei denn, der Besucher hat ein Faible für modernes Medienspektakel, wie bewegte Bilder, dramatische Filme oder Hörapparate mit biografischen Interviews und anderen für wichtig gehaltenen Beiträgen. Von den in Millionen gehenden Flüchtlingen und Vertriebenen wurden vom Institut für Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg dazu 15 Zeitzeugen interviewt.

Als Dauerberieselung sind Flüchtlingsbeschimpfungen auch ohne Apparat zu hören. Auf engstem Raum laufen die Besucher in einem düster gehaltenen Labyrinth etwas orientierungslos herum. Immerhin zeigt die Ausstellung, dass die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen sowohl in der BRD als auch in der ehemaligen DDR voll gelungen ist.

Am vorletzten Ausstellungstag in Bonn wurde die Ausstellung gut besucht, was vielleicht aber auch am schlechten Osterwetter liegen mag. Von Mai bis August 2006 soll die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin und vom 1. Dezember 2006 bis 15. April 2007 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gezeigt werden. Der Eintritt ist frei.

* Petersen, Thomas: Flucht und Vertreibung aus Sicht der deutschen, polnischen und tschechischen Bevölkerung; Hrsg.: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland; 127 S.; 2. überarbeitete Auflage 2005; Preis € 9,90

** Hrsg.: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Flucht, Vertreibung, Integration; Bonn 2005; Kerber Verlag Bielefeld; 208 S.; Preis € 22,-