Interkulturelles Lernen

Wie machen das Deutsche, Polen und Ukrainer?

Einblicke in ein trinationales Seminar für Jugendleiter in Motycz Leśny bei Lublin

Von Jeremias Schreiber

 

Der König der Tiere hielt Hof. Der Löwe schenkte dem Bären einen Honigtopf (aus dem beide genüsslich schleckten). Danach gab er dem Tiger einen Gutschein für einen gemeinsamen Jagdausflug und miaute der Katze mit seiner tiefen Stimme zu, ehe er die samtpfotige ins Schlafzimmer bat. Dass er die danach ankommende Maus ebenfalls ins Schlafzimmer schickte, quittierte diese mit Kopfschütteln. Sie nahm Reißaus. Das Wildschwein erhielt ein Halsband und eine Goldkette, an welcher der Löwe seine Beute in eine Vorratskammer führte. Die Schlange schließlich bekam eine kleine Ziege als Geschenk. Mit mehrfachem Zwischenapplaus bedachten Regisseurinnen und gerade nicht aktive Schauspieler das Geschehen.

 

Elf Frauen und Männer aus der Ukraine, aus Polen und aus Deutschland hatten die Inszenierung zur Aufgabe bekommen und spontan umsetzen sollen. Die Elf, die sich überwiegend nonverbal verständigten, spielten im Rahmen der angebotenen Theaterpädagogik einer trinationalen Begegnung: Nach Motycz Leśny, unweit von Lublin in Polen, hatte "JuSeV" eingeladen, die Jugendhilfe und Sozialarbeit e.V. aus Fürstenwalde. Das Ziel der 15 ukrainischen, 12 polnischen und 10 deutschen TeilnehmerInnen: Sie wollten als GruppenleiterInnen lernen, wie sie internationale Begegnungen organisieren und auf welche Eigenheiten sie achten müssen.

Die Sprachprobleme sind die erste Hürde: Zwar verstehen Ukrainer und Ukrainerinnen meist viel vom Polnischen und umgekehrt, doch die meisten Deutschen können weder Polnisch noch Ukrainisch. So gilt es, den anderen spielerisch zu erfahren. Doch davor steht die Unsicherheit beim Eintreffen in der Tagungsstätte: Mateusz aus Polen, ein "einfacher" Teilnehmer, machte es gut und sich unverwechselbar. Er begrüßte alle Angereisten mit Handschlag, nannte seinen Namen und seinen Heimatort Lublin. Ungewöhnlich? Natürlich, doch auch ungewöhnlich erfolgreich, weil er sich sofort allen anderen einprägte.

Bis zur offiziellen, dreisprachigen und simultan gedolmetschten Begrüßung hatte, wer wollte und sich mit Händen und Füßen zu reden getraute, schon allerlei erfahren, z.B. dass die 9-stündige Zugreise von Berlin aus ein Klacks war gegen den 24-Stunden-Trip mit Bahnen und Bussen aus Kiew, der 21 Euro kostete. Für den doppelten Preis hätten die Kiewer schneller kommen können, doch wer hat schon so viel Geld übrig bei z.B. 85 Euro Monatsgehalt für eine Gymnasiallehrerin.

Die wenigsten UkrainerInnen sprachen Englisch, nur eine Deutsch. Die Mehrzahl waren Akademikerinnen von der Studentin bis zur stellvertretenden Schulleiterin. Die Polen konnten meist Englisch wie die Deutschen, zu denen wiederum polnische MuttersprachlerInnen gehörten.

Die Organisatoren Klaus Waiditschka (JuSeV) und Zbigniew Chwalczuk von der Lubliner Stiftung "Glückliche Kindheit", der das Tagungshaus gehört, hatten ein prall gefülltes und inhaltlich bemerkenswertes Programm auf die Beine gestellt. Workshops zu den Themen Spielpädagogik, Bildnerisches Gestalten, Theaterpädagogik, Erlebnispädagogik, Musik/Tanz, Sprachanimation und die von den Teilnehmern selbst gestalteten Nationenabende ließen die Seminarwoche im Fluge vergehen. Die Mischung des Angebots war nahezu perfekt, ebenso das starke Engagement der Jugendleiter zur aktiven Teilnahme. Nur einen Programmpunkt ließen Einige aus Polen und der Ukraine aus, weil es zu sehr schmerzte: Den Besuch des Konzentrations- und Vernichtungslagers Lublin-Majdanek.

Natürlich fehlten handfeste Tipps für die Partnersuche für internationale Begegnungen ebenso wenig wie das Entwickeln von Projektideen und die Umsetzung. Die finanziellen, rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen mit der wohl wichtigsten Frage: „Wo gibt es Fördergelder?“ zählten zum Pflichtprogramm für künftige OrganisatorInnen.

Was beispielsweise Erlebnispädagogik für das Erleben gemeinsamen Handelns und gegenseitiger Unterstützung statt Konkurrenz bewirken kann, zeigte Klaus Waiditschka in etlichen Beispielen auf. Bei den Übungen, sich rückwärts fallen und auffangen zu lassen, traute sich nicht jeder/jede mitzumachen. Mit geschlossenen Augen in einer fremden Sprache durch einen Hindernisparcours geführt zu werden, ist da schon etwas einfacher. Immer wieder ein Highlight: Mit verbundenen Augen an einer Schnur im Wald etwa 80 Meter entlang zu gehen, mit einer Hand an der Schnur, der anderen vor dem Gesicht wegen möglicher Zweige und vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, vielleicht sogar die nachfolgenden Unsicheren warnend. Die Teilnehmer müssen kooperieren oder sie verlieren, wenn es gilt, künstliche Hindernisse zu überwinden. Das Erlebnis als Herausforderung, das Erweitern der eigenen Handlungsmöglichkeiten und das Erkennen und mögliche Überwinden von Grenzen sowie das Spüren von Verantwortung stärken die Individuen und damit die Gruppen, deren Zusammenwachsen gewünscht ist.

Körper- und Zeichensprache, das Benutzen von Zeichen und Symbolen stellt auch in der Spielpädadogik eine Rolle dar. "Putzfrauen", welche "Wachsfiguren" aus einem Kabinett auf die Seite räumen und dann erraten, welche Rolle die Mimen spielten, sorgen für viel Gelächter. Die Gruppe sucht das Einende, um "überleben" zu können, die nationale Zugehörigkeit tritt in den Hintergrund. Alle sollen sich wohl fühlen, ob beim "Gordischen Knoten" oder beim Zuwerfen einer Schnurkugel, um sich spielerisch besser die Namen merken zu können. Lustig wird es beim Drehen einer Decke, auf der die Gruppe dicht gedrängt bis an die Ränder steht. Die Hände dürfen nicht mit der Decke in Berührung kommen, die Füße dürfen nicht den Boden außerhalb der Decke berühren.

In den theaterpädagogischen Workshops ging es um das Improvisieren und das rasche Einüben kleiner Stücke - ein nicht ganz einfaches Unterfangen, wenn man sich verbal nicht verständigen kann. Aus Nichts etwas zu machen, das andere auch noch deuten können, ist für den Theaterungeübten kein leichtes Unterfangen. Aus sich heraus zu gehen wird jedoch unkomplizierter, wenn man weiß, dass die Zuschauer nicht gleich die Augen verdrehen und die Inszenierung als unprofessionell abtun.

Die Phasen einer internationalen Jugendbegegnung fasste Klaus Waiditschka interessant zusammen: Der anfänglichen Unsicherheit begegnen gute Organisatoren mit Orientierung und bauen somit Hemmungen ab. Motivation und Tatendrang kommen den geplanten Aktivitäten und der Projektarbeit entgegen. Der Ermüdung, dem möglichen Scheitern und der Sehnsucht nach dem Gewohnten (u.a. wieder im eigenen Bett schlafen) begegnet man mit der Zwischenauswertung und einem "Bergfest". Zum sichtbaren Ende ist es möglich, das Vertrauen und den Zusammenhalt der Gruppe zu stärken. Den Trennungsschmerz zu überwinden helfen Zusammenfassung/Reflexion, der Plan eines Folgetreffens in einem anderen Land und das Abschiedsritual.

Für Deutsche ist es ein Klacks, nach Polen zu kommen. Günstiges Bahn-Gruppenticket gekauft, Personalausweis an der Grenze vorgezeigt. Ukrainer benötigen Visa und dafür Einladungen. Die GastgeberInnen müssen Unterkunft, Verpflegung und mögliche Arzt- und Krankenhauskosten übernehmen. Man weiß nicht einmal, wann genau die Busse eintreffen, weil manche bis zu 5 Stunden an der Grenze warten müssen. Eine Erklärung dafür gibt es von den eigenen Grenzbeamten nicht.

Der Mensch ist mehr als nur sein Kopf und sein Verstand. Spielen und Lachen zu dürfen, die Seele baumeln zu lassen, auch dafür war dieses Seminar gedacht. Interkulturelles Lernen geschieht durch das eigene Erleben, Handeln und Reflektieren - learning by doing - statt theoretischer Trockenübungen. Das erfuhren die künftigen GruppenleiterInnen bereits in der Einladung. Willkommen war auch, wer ein Austauschschuljahr oder einen Freiwilligendienst plant.

Rund eine Million TeilnehmerInnen hat das Deutsch-Polnische Jugendwerk bisher zusammengeführt. 300.000 Teilnehmer von Begegnungen dürften 2005 gefördert worden sein. Zum binationalen außerschulischen Austausch kann ein drittes Land hinzugezogen werden. An erster Stelle steht Tschechien. Fördergelder gibt es auch aus dem Jugendprogramm der Europäischen Union. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk erhält im Jahr von der Bundesregierung 4,3 Millionen Euro Fördergelder. Die Polnische Regierung gibt dieselbe Summe dazu und trägt damit, gemessen am Gesamtetat, die ungleich höhere Last.

Schneeflocken wehten zur Abschlussbesprechung um das Tagungshaus. Die Ernsthaftigkeit, die Lebensfreude, die hohe Konzentration trotz des dicht gedrängten Programms, das war auffallend. Kritik gab es an der Qualität der Arbeitspapiere (manche ReferentInnen hatten überhaupt keine), am nur lauwarmen Duschwasser und der niedrigen Raumtemperatur, dafür aber Lob für die sehr gute Küche.

Ins Lob einbezogen sind die ÜbersetzerInnen: Ihr Tun machte die Dialoge und Vorträge einerseits etwas schleppend, andererseits blieb jedem Teilnehmer und jeder Teilnehmerin Zeit zum Nachdenken und Verarbeiten schon im Arbeitsprozess.

JuSeV in Fürstenwalde hat für das Frühjahr 2006 auf deutschem Boden ein trinationales Seminar mit ähnlichem Programm, jedoch anderen TeilnehmerInnen geplant. Man darf darauf gespannt sein, welche Ideen die 35 TeamerInnen des Treffens in Polen in ihren Ländern umsetzen.

 

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