Ausflug in verwunschene Schilflandschaften

Eine Reise auf Polens schönster Kanu-Route

Von Julia Klabuhn

 

Leise plätschert das Wasser am Bug des Kanus. Das Schilf wispert im Wind, blauschimmernde Libellen surren über die Wasseroberfläche. Eine Libelle setzt sich auf die Spitze des Bootes - zarte Galionsfigur und kurzzeitige Begleiterin auf dem Weg die Krutynia abwärts Richtung Ruciane Nida. Die Krutynia-Route gilt als eine der schönsten Kanu-Routen im Nordosten Polens. 100 Kilometer lang führt sie durch verwunschene Schilflandschaften, durch Feuchtwälder und Seen. Fischadler, Kraniche, Eisvögel, Biber und Fischotter lassen sich aus nächster Nähe beobachten. Organisatoren von Gruppenreisen haben die erholsame Strecke nun für sich entdeckt, auch Individualtouristen zieht es zunehmend an die Krutynia.

 

Die Reise beginnt in Sorkwity, einer Ortschaft 80 Kilometer östlich von Olsztyn, der Hauptstadt der Region Ermland und Masuren. Hier am Lampackie-See hatten abwechselnd polnische und deutsche Adelsfamilien ihren Sitz auf dem Gut Sorkwity.

An seinem Ufer sieht man die letzten Häuser hinter Bäumen, dann zeigt sich für eine Weile kein Zeichen mehr von Zivilisation. Auf den ersten zehn Kilometern sind drei lang gezogene Seen zu durchqueren, die durch schmale Zuflüsse miteinander verbunden sind. Der Blick auf kiefernbestandene Ufer wechselt sich ab mit Schilflandschaften, die den Blick auf die Verbindungen zwischen den Seen oft erst bei genauerem Hinschauen freigeben.

Der erste Abschnitt der Krutynia-Route wirkt wie ausgestorben. Andere Boote sind selten zu sehen, erst abends auf dem Campingplatz gibt es den Beweis, dass man nicht alleine unterwegs ist und auch die Bekanntschaften vom Vortag die Krutynia weiter entlang paddeln. Auf dem Wasser dagegen trifft man sich selten. Dafür sind am Ufer immer häufiger Spuren von Bibern zu entdecken: Gefällte und angenagte Bäume, eine Biberburg, deren Bewohner sich aber nicht blicken lassen. Für die fehlenden Biber entschädigt bei der Weiterfahrt eine Kranichkolonie am Bia³e-See. Schon von weitem kündigt sie sich durch die trompetenartigen Rufe der eleganten Vögel an. Morgens und abends kann man immer wieder ganze Schwärme über dem See kreisen sehen.

Nach 23 Kilometern am Ortseingang des Dörfchens Babięta müssen die Boote das erste Mal umgetragen werden. Zum Glück gibt es auf der gesamten Route nur fünf Mal Umtragestellen und an den meisten werden Bootswagen verliehen. Jugendliche verdienen sich hier ein Trinkgeld, laden die Kanus samt Gepäcktonnen und Packsäcken auf klapprige Karren und schaffen sie auf dem Landweg übers Wehr. Ein wenig halsbrecherisch sieht das aus, wenn sie den schwankenden Wagen die Böschung hinaufzerren und auf der anderen Seite wieder hinunterschlittern. Aber Anpacken gilt nicht, die Jungs wollen das alleine schaffen.

An der Umtragestelle in Babięta lohnt sich ein Spaziergang durchs Dorf. Dunkle Holzhäuser und herbstlich bunte Bauerngärten reihen sich hier zu einer ländlichen Kulisse aus schon vergangen geglaubten Zeiten.

Der Zyzdrój-See ist der erste größere See, durch den die Krutynia-Route in ganzer Länge führt. Kleine Inseln mit Biwakplätzen laden hier zum Zelten ein. Abends am Strand im Licht der untergehenden Spätsommersonne überkommt einen das Gefühl, als Familie Robinson an unbewohnten Ufern gelandet zu sein. Ein Fischotter schwimmt vorbei, ein Kormoran taucht nach Fischen, die tiefe Stille wird nur von Enten unterbrochen, die im Schilf quaken.

Das Herzstück der Paddelroute ist die Krutynia. 27 Kilometer lang schlängelt sich das oft nur ein Meter tiefe Flüsschen durch die Johannisburger Heide. Die Bäume am Ufer bilden einen grünen Tunnel, Eisvögel jagen nach kleinen Fischen im klaren, schnell fließenden Wasser.

Beliebtester Ferienort an der Krutynia ist Krutyñ, in dessen Umgebung buntes Treiben auf dem Wasser herrscht. Neben den Touristengruppen, die sich mit Kähnen über das Flüsschen staken lassen, sind hier vor allem Tagesausflügler im Kanu unterwegs. Gruppen, die im Zickzack die Krutynia entlang paddeln, und Familien, die sich mit Kind und Schoßhund auf dem Arm, den Proviantkorb zwischen den Sitzen verstaut, gemütlich flussabwärts treiben lassen. Kommunikativ geht es zu: Beim Überholen müssen Warnungen gerufen werden, manchmal auch Entschuldigungen, wenn doch ein Kanu das andere gerammt hat, und ein älteres Ehepaar erkundigt sich lachend bei den deutschen Touristen, ob sie in den großen, blauen Gepäcktonnen etwa Benzin transportieren. Am Ufer machen Kinder lohnende Geschäfte. Porzellanenten als Souvenir, einen Blumenstrauß oder soll es doch lieber ein Blaubeerhörnchen sein? Der Steg wird zum Flohmarkt.

Knapp eine halbe Fahrtstunde hinter Krutyń ist es dann wieder ruhig. Die Krutynia fließt hier durch eine weitläufige, verwunschen wirkende Schilflandschaft. Seitenarme des Flusses winden sich um Inseln, auf denen abgestorbene Bäume ihre kahlen Äste in den Himmel recken.

Eine kleine Kapelle mitten in der Krutynia zeigt an, dass wieder eine Ortschaft nahe ist. Auf einem Pfahl steht sie im Wasser, hinter Glas eine Jesusfigur aus Treibholz und eine Plastikmargerite. Hinter der nächsten Biegung liegt Ukta. Von hier aus ist es nicht weit zum Kloster in Wojnowo, das 1823 von russischen Altgläubigen, den Philliponen, gegründet wurde.

Drei Kilometer hinter der Krutynia-Mündung im Gardynskie-See mit seinen riesigen Seerosenfeldern grenzen am linken Ufer Holzpalisaden das Gelände eines Freilichtmuseums und Hotels ab. Skulpturengroße, wild dreinblickende Figuren aus Holz erinnern die Reisenden daran, dass sie durch eine Landschaft fahren, in der einstmals Perkunos in heiligen Hainen herrschte. Er wurde als Gott des Donners und der Sonne von den Galindern verehrt, einem Prussenstamm, der in Masuren lebte, bevor die Ritter des Deutschen Ordens den Stamm im 13. Jahrhundert vernichteten.

Heutzutage spielen die Hotelgäste des "Galindia" das Leben der Prussen, ihre Sitten und Bräuche nach, ein altprussischer Abenteuerspielplatz für ruhebedürftige Stadtbewohner.

Für die Paddler ist es mit der Ruhe vorbei, sobald sie sich auf den Beldanysee hinauswagen. Zwar gilt er als einer der schönsten Seen Masurens, mit kleinen Booten ist seine Überquerung aber ungemütlich. Wellen bringen das Kanu zum Schaukeln, Segel- und Motorboote kreuzen den Weg. Der Beldany-See markiert damit das Ende des ruhigen Naturerlebnisses auf der Krutynia-Route. Von hier an werden die Schiffe immer größer und spätestens beim Anblick der Ausflugsdampfer am Hafen von Ruciane-Nida, dem Ende der Reise, hat man sich wieder an die Zivilisation gewöhnt.