Dokumentation

 

Kopernikus-Gruppe:

Deutsch-polnischer Appell an gemeinsames

Verantwortungsgefühl und Vernunft

 

Seit über sechs Jahren befasst sich die "Kopernikus-Gruppe" mit ungelösten Fragen und neuen Herausforderungen im deutsch-polnischen Dialog. Der deutsch-polnische Expertenkreis versucht, zu wichtigen Themen der deutsch-polnischen Beziehungen Denkanstöße zu geben. Die Mitglieder der "Kopernikus-Gruppe" sind beunruhigt über die wachsenden Schwierigkeiten in diesem Dialog und wenden sich an Politiker und öffentliche Meinung in beiden Ländern mit folgendem Appell:

 

Wir sind beunruhigt über den unbegründeten Ausbruch von Emotionen in den letzten Wochen, der das deutsch-polnische Verhältnis betrifft. Über die "deutsch-polnische Interessengemeinschaft in Europa", die von der polnischen Regierung vor kurzem - auf dem Deutsch-Polnischen Forum im Dezember 2005 - ausdrücklich bestätigt wurde, legt sich ein dunkler Schatten. Seit 1990 hat diese Interessengemeinschaft ungeachtet von divergierenden Optionen in verschiedenen Sachfragen (Irakkrieg, europäische Verfassung u.a.) beide Staaten und Gesellschaften verbunden.

Die Art und Weise, wie derzeit im öffentlichen Leben negative Erscheinungen über Gebühr betont werden, ist ein Abgehen von den Idealen hochverdienter Persönlichkeiten in Polen und in Deutschland, die es als ihre Gewissenspflicht angesehen haben, ihre persönlichen Erfahrungen aus Krieg und Terrorpolitik in das Werk der deutsch-polnischen Verständigung einzubringen. Dies ist ein Abgehen von den Idealen des Papstes Johannes Paul II., des Primas Stefan Kardinal Wyszyński, eines Władysław Bartoszewski, Bronisław Geremek, Stanisław Stomma, auf deutscher Seite eines Willy Brandt, Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker, um nur wenige Namen unter den zahlreichen Personen in Deutschland und in Polen zu nennen, die über Jahrzehnte für die Überwindung von Vorurteilen und Ressentiments im Verhältnis zwischen unseren Völkern eingetreten sind. Millionen von Deutschen und Polen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten an gemeinsamen Zielen gearbeitet. Der Tonfall öffentlicher Auseinandersetzungen gibt ein völlig falsches Bild der deutsch-polnischen Alltagswirklichkeit.

Die deutschen Befürworter der deutsch-polnischen Verständigung und die deutschen Freunde Polens haben den Eindruck, dass es immer schwieriger wird, im politischen Leben Polens an verantwortlicher Stelle Partner zu finden, mit denen sie auch komplizierte Fragen des deutsch-polnischen Verhältnisses ernsthaft diskutieren können. Deutsche und Polen sollten wissen, dass sie sehr viel mehr verbindet, als diejenigen Politiker und Medien wahrhaben wollen, die sich mit den Beziehungen der beiden Völker auf anachronistische Art und Weise beschäftigen. Das Netzwerk der Beziehungen zwischen den Menschen, den Kommunen und Regionen, den Schulen und Hochschulen, anderen wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen, den Verlagen, Medien, Künstlern und einfachen Privatmenschen, darunter auch deutsche und polnische Vertriebene, ist so umfangreich geworden, dass es zu einer wahren Verbindung zwischen Deutschen und Polen gekommen ist. Allein im Rahmen des deutsch-polnischen Jugendaustauschs sind sich seit 1991 über 1,7 Millionen junge Menschen begegnet.

Die große Mehrheit der Menschen in beiden Gesellschaften wurde lange nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Es wäre eine unverzeihliche Sünde der Politik und der gesellschaftlichen Erziehung, wenn die heutige Generation der Deutschen und Polen wieder auf historische Konfrontationen zurückgelenkt würde. Mit einem Verharren bei den Leiden der eigenen Nation, wenn man von den Opfern spricht, und mit einem Mangel an der nötigen Sensibilität bei der Bewertung der Geschichte würde das, was in den letzten Jahrzehnten - zum Vorteil von Millionen Menschen in beiden Ländern - auf dem Weg zu Verständigung und Zusammenarbeit erreicht worden ist, gering geschätzt und diskreditiert. Die erfolgreiche Entwicklung der Beziehungen zwischen den Deutschen und den Polen in den letzten 15 Jahren ist bereits zum Vorbild für die zukunftsorientierte Gestaltung von historisch belasteten Nachbarschafts-Verhältnissen, wie z.B. den polnisch-litauischen und polnisch-ukrainischen Beziehungen, geworden.

Wir, die Unterzeichner dieses Briefes, appellieren an die Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in beiden Ländern, diese unverantwortliche Eskalation aufzuhalten, eine kritische Bilanz der letzten Monate zu ziehen und schnellstens den Dialog in den Sachfragen zu intensivieren, die seit längerer Zeit rasche und einvernehmliche Entscheidungen verlangen. Ein aktualisierter Katalog der gemeinsamen Ziele, aber auch der Meinungsunterschiede sollte aufgestellt werden. Auf diese Weise würde die Befürchtung gegenstandslos, dass unsere Beziehungen dauerhaft beschädigt werden können, und es wird alles das gestärkt, was sich in den gegenseitigen Beziehungen bisher positiv entwickelt hat.

Es unterliegt doch keinem Zweifel, dass beide Länder aufeinander angewiesen sind und gemeinsam zahlreiche Projekte realisieren können, die für sie und für Europa wichtig sind. In den bilateralen Beziehungen betrifft das z.B. die Fragen einer von gegenseitigem Verständnis getragenen Erinnerungspolitik. Hier haben zuletzt noch die beiden Präsidenten Horst Köhler und Lech Kaczyński ein gutes Beispiel gegeben. In der europäischen Politik trifft das z.B. auf eine gemeinsame europäische Außenpolitik gegenüber Belarus, Russland und der Ukraine und die Entwicklung einer europäischen Energiepolitik zu.

Vor über 40 Jahren setzten die Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Amtsbrüder Zeichen der Versöhnung. Vor 15 Jahren wurde der große Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit unterzeichnet. Nicht kleinliches Gezänk und permanente Verdächtigungen, sondern diese Botschaften sollen weiter den Ton im deutsch-polnischen Dialog angeben, und aus ihrem Geist sollten Deutsche und Polen ihre Beziehungen weiter entwickeln.

 

Darmstadt, Warschau, 28. Juli 2006

 

Dr. habil. Klaus Bachmann, Breslau; Prof. Dr. Dieter Bingen, Darmstadt; Prof. Dr. W³odzimierz Borodziej, Warschau; Piotr Buras, Warschau; Roland Freudenstein, Brüssel; Dr. Andrea Gawrich, Kiel; Prof. Dr. Hans-Henning Hahn, Oldenburg; Basil Kerski, Berlin; Adam Krzemiñski, Warschau; Dipl.Verw.-Wiss. Kai-Olaf Lang, Berlin; Dr. Doris Lemmermeier, Potsdam; Dr. Krzysztof Ruchniewicz, Breslau; Jürgen Vietig, Kleinmachnow; Hubert Wohlan, Bonn; Dr. Kazimierz Wóycicki, Warschau; Prof. Dr. Klaus Ziemer, Warschau; Prof. Dr. Marek Zybura, Breslau