Dokumentation

Polen muss enger Bündnispartner Deutschlands sein

 

Jacek żakowski im Gespräch mit Prof. Zbigniew Brzeziński, u.a. ehemaliger Berater des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter

 

Jacek żakowski: (...) Man spricht über ein strategisches Vakuum oder die Gefahr eines globalen Chaos'. Aktuell sind das noch übertriebene Befürchtungen, aber Quelle dafür sind reale Prozesse, die in hohem Maße für die Situation Polens verantwortlich sind. Ich quäle sie deshalb mit der Frage nach dem Kontext, weil in Polen eine Konfusion in der Außenpolitik herrscht. Ich möchte diese Konfusion in einen etwas breiteren Zusammenhang stellen.

Zbigniew Brzeziński: Das ist offensichtlich notwendig.

Den Kontext, über den wir traditionell nachdenken ist der, dass Polen zwischen Deutschland und Russland liegt…

So ist es im Allgemeinen.

... und dass Polen diesen lokalen Kontext mit Hilfe eines Bündnisses mit der stärksten Weltmacht durchbricht.

Haha. So scheint es zu sein.

Aber vielleicht liegen wir nicht so sehr zwischen Deutschland und Russland sondern z. B. zwischen China und Europa.

Aber vielleicht liegt Polen zwischen Europa und Russland? Oder auch zwischen der atlantischen Gemeinschaft und Russland? Jede Perspektive ändert sofort die Situation Polens. Polen ist auch Verbündeter der einzigen Weltmacht… Auch das könnte man sagen. Aber man könnte auch brutal sagen, dass Polen ein drittrangiger Bündnispartner dieser Weltmacht ist.

Nur ein drittrangiger?

Denken Sie, ein erstrangiger?

Auf diese Annahme stützt sich die polnische Außenpolitik.

Und was meinen Sie?

Ich bin mir sehr sicher, dass das die Meinung der Mehrheit der polnischen Spitzenpolitiker ist.

Das ist eine andere Frage. Aber Sie, glauben Sie das nicht?

Meiner Meinung nach sind das Hirngespinste.

Natürlich. Und wenn wir beide meinen, dass das Hirngespinste sind, könnte es nicht sein, dass auch andere so denken? Dass andere mit uns darin übereinstimmen, es nur nicht öffentlich zu sagen trauen?

(…) Was meinen Sie dann, welchen Platz Polen heute einnimmt?

Geografisch sicherlich zwischen Deutschland und Russland. Das hat für die Beziehung zu Deutschland eine große Bedeutung. Die Situation in Russland ist undurchsichtig. Noch hat das Land keine Wahl zwischen einer richtigen Demokratie im Rahmen eines Nationalstaates oder einem imperialistischen Staat gefällt, der es Jahrhunderte hindurch war. Und auf der anderen Seite befindet sich Deutschland,  in gewisser Hinsicht tragischerweise leider der ewige Feind Polens, aber bereits seit einigen Jahrzehnten ein Land, mit dem Polen sich schrittweise aussöhnte. Diese Aussöhnung muss man weiter führen, weil Deutschland eine wahrhaftige Demokratie und ein Schlüsselland der Europäischen Union ist. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Deutschland ein erstrangiger Bündnispartner der Vereinigten Staaten ist, mit denen Polen enge Beziehungen haben will.

Aber wir sind doch mit Amerika gegen den Irak gezogen, nicht Deutschland.

Das ändert nichts an der Tatsache, dass Deutschland ein erstrangiger Partner ist, und Polen erst Schritte macht, eine solche Position einzunehmen. Und das mit begrenztem Erfolg. Dänemark und Australien haben auch an der irakischen Operation teilgenommen, aber der einzige Bündnispartner von Bedeutung ist dort Großbritannien. Sagen Sie mir doch, welchen Einfluss Italien oder die Ukraine auf die amerikanische Irakpolitik haben? Und welchen Polen? Beteiligt sich Polen an irgendwelchen Diskussionen über dieses Thema?

Meinen Sie denn, dass sich die Teilnahme am Irakkrieg für uns nicht ausgezahlt hat?

Das meine ich absolut nicht! Ich bin Kritiker der amerikanischen Irakpolitik, denn sie ist für Amerika schlecht. Aber als am Schicksal Polens interessierter Mensch meine ich, dass Polen richtigerweise Soldaten dorthin geschickt hat. Das ist ein unkluger Krieg der in unkluger Weise geführt wird, aber die Teilnahme Polens ist klug.

(…) Aber der Preis dafür ist, eine Vertrauenskrise zwischen Polen und den bedeutendsten europäischen Staaten.

Das ist eine Übertreibung. Frankreich und Deutschland hat die polnische Teilnahme nicht sehr empört.

(…)

(Ohne) tatsächliche Zusammenarbeit mit Deutschland ist Polen kein glaubwürdiger und bedeutender Faktor in der Europäischen Union und darüber hinaus schwächt ein Mangel an guten Beziehungen zu Deutschland die Position Polens gegenüber Washington. Das sind zwei strategische Gründe, warum Warschau eine aktive und gezielte Politik der Annäherung mit Berlin durchführen muss.

(...) Und wenn es darum geht, welche Bedeutung für Washington die Beziehung mit verschiedenen Ländern hat, so ist für alle klar, dass Deutschland - und im negativen Sinne Russland - deutlich wichtiger sind als Polen. Das ist natürlich überhaupt keine komfortable Situation. (…) Ich habe den Eindruck, dass die polnische Politik in letzter Zeit Polen eher schadet und seine internationale Position schwächt.

Woran denken sie dabei?

An die Beziehungen zu Deutschland und die äußerst negativen Folgen, die sich aus deren Verschlechterung für die Position Polens in Washington ergeben.

Aber wenn wir Probleme mit den Nachbarn haben und kein erstrangiger Verbündeter Amerikas werden können, so müssen wir vielleicht doch, wie es Jarosław Kaczyński sagt, woanders Unterstützung suchen. (…)

(…) Vor welcher Wahl steht heute die Welt? Im Wesentlichen scheint das doch recht einfach zu sein. Wir können uns weiter in Richtung eines Weltchaos' bewegen. Aber vielleicht gelingt es uns doch, schrittweise ein internationales System zu schaffen, das vielleicht nicht auf vollständiger Gleichheit basiert, denn das ist unmöglich, in dem aber die Rolle der ökonomischen und militärischen Kraft weniger bedeutend ist, und der internationale Konsens und das internationale Recht in hohem Maße die entscheidende Rolle spielen. Das ist der Rahmen, in dem sich die Zukunft Polens abspielt. Für ein Land wie Polen, das zwischen zwei Großmächten liegt, hat diese Entscheidung eine besondere Bedeutung. Denn in einer chaotischen Welt befindet sich Polen, wenn man seine Geschichte und geografische Lage berücksichtigt, in einer besonders gefährlichen Situation. Wenn es aber gelingt, die Welt in Richtung Zusammenarbeit zu lenken, wird Polen als glaubwürdiges Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und als eines der sechs größten Länder dort in einer vergleichsweise guten Situation sein. V.a. dann, wenn es im Bündnis mit Amerika bleibt.

Auch wenn es nur ein drittrangiger Verbündeter ist?

Auch als drittrangiger Verbündeter des stärksten Staates ist man im Allgemeinen in einer besseren Situation, als wenn man überhaupt nicht zu dessen Verbündeten gehört. Denn seine Interessen werden auf irgendeine Art durch den, der am meisten zu sagen hat, berücksichtigt.

Aber man kann doch folgendes feststellen: die globale Situation Amerikas wird durch China, Indien, Brasilien, die steigenden Ölpreise und die Umgestaltung des Islam schwächer. Die Dynamik der europäischen Integration wird ebenfalls schwächer, vielleicht entwickelt sich hier sogar eine moralische Krise. Längerfristig könnte sich auch der atlantische Vertrag als nicht stabil erweisen. Vielleicht muss man sich eine mögliche Ersatzkraft suchen, wie es Jarosław Kaczyński suggeriert.

Und wie soll dadurch Polen gestärkt werden? Ich meine, es gibt keine Alternative zu einer grundsätzlichen Entscheidung. (...) Die Bedrohung aus dem Osten führt dazu, dass sich Polen im Westen starke Unterstützung suchen muss, die durch das Bündnis mit Amerika gestärkt wird. Ein Bündnis mit Amerika ist nur so effektiv, wie die polnischen Beziehungen mit Deutschland, das Amerika als den wichtigsten Partner in Europa betrachtet, gut sind. Hier gibt es kein Feld für größere Manöver. Für die überschaubare Zukunft gilt, dass sich weder die Isolierung noch die Suche nach einem anderen Bündnis für Polen auszahlen wird.

(…) Ihrer Meinung nach haben wir keinen Manövrierraum zwischen Amerika, dem die polnischen Politiker so grenzenlos vertrauen und Europa, das ihnen im hohen Grad kulturell fremd ist?

Für Amerika ist ein mit Europa zerstrittenes Polen eher ein problematischer Bündnispartner. (…)   

(Cierpnie skóra, Na pytanie w rozmowie z Jackiem żakowskim odpowiada prof. Zbigniew Brzezński, Polityka Nr. 33 v. 19. August 2006; Überschrift von der Redaktion; Übersetzung: Wulf Schade, Bochum)