“Erzwungene Wege” -

Eine Ausstellung in Berlin

 

Von Karl Forster

 

Die Aufgeregtheit ist groß. Eine relativ kleine Ausstellung eines Vereins sorgt für Verstimmung auf höchster Ebene. Der Polnische Ministerpräsident kritisiert die Ausstellung in einer Rede im ehemaligen KZ Stutthof, sein Vorgänger und jetzt Stadtpräsident von Warschau sagt die Teilnahme an einer Feier zum 15. Jahrestag der Städtepartnerschaft Berlin-Warschau ab. Vor der Eröffnung der Ausstellung in Berlin demonstrieren Rechtsradikale aus Polen. Die Rede ist von der Ausstellung "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts".

 

Fast 150 Journalisten, darunter viele Kamerateams, drängen sich im Foyer des Kronprinzenpalais in Berlin, als Erika Steinbach die Ausstellung präsentiert. Doch was die Reporter vorfinden ist scheinbar sensationslos. Ein großer Raum mit modern layouteten Ausstellungstafeln, dazwischen ein paar Würfel mit Kopfhörern, aus denen Tondokumente aufgenommen werden können. Dahinter zwei kleine Räume mit riesigen Ausstellungsaufbauten mit Exponaten, darunter  Bücher, ein von einer Warschauer Mutter bei Kriegsbeginn genähtes Namensschild für ein Kind. An der Seite eine große Schiffsglocke, deren Hintergrund sich für viele erst beim Lesen der dazugehörigen Tafel erschließt, es ist die Schiffsglocke der Wilhelm Gustloff, dem Flüchtlingsschiff, das bombardiert wurde und sank.

Die aufgeregte Reaktion vieler Journalisten legte sich schnell. Die Ausstellung, so waren sich die meisten schnell einig, ist sachlich und nicht zu kritisieren. Nach 30 Minuten leerten sich die Räume. Nur einige machten sich die Mühe, intensiver nachzulesen und nachzufragen, zum Beispiel bei Ausstellungskurator Wilfried Rogasch, der den Eindruck erweckt als hätte er eine Ausstellung für irgendein Museum zusammengestellt und der Bund der Vertriebenen sei nur versehentlich dazugekommen. Natürlich habe es keinerlei Einfluss von Seiten des BdV gegeben. Frau Steinbach sei ja erst am Tag vor der Eröffnung erstmals dazugekommen, habe vorher gar nicht gesehen, was sie gemacht hätten. Und natürlich sei diese Ausstellung auch bedeutend breiter, unabhängiger und weniger angreifbar als die gegenüber im Deutschen Historischen Museum noch drei Tage hängende Wanderausstellung (s. POLEN und wir 3/2006, S. 16-17). Rogasch: "Hätten wir eine solche Ausstellung abgeliefert, hätte man uns in der Luft zerrissen".

Nun, tatsächlich ist die Ausstellung des BdV (Ja, er ist doch der Auftraggeber und Träger der Ausstellung) "korrekt". (Ich glaube, das ist das richtige Wort). Die Fakten stimmen, da ist nichts verfälscht. Und die Vertreibung ist nicht nur als deutsches Schicksal dargestellt. Im Gegenteil. Breit wird am Anfang das Thema Armenien ausgeführt, um dann bald zum Thema "Vertreibung der Juden" zu wechseln. Hier übrigens mit einer wirklich wichtigen Tafel zu beginnen: Die Vertreibung der Juden aus der deutschen Öffentlichkeit, z.B. Berufsverbote. Auf mehreren Tafeln wird dieses Thema bis zum Transport nach Auschwitz entwickelt. Dann bricht man ab, denn der Holocaust begann mit Vertreibung, ist dann aber ein Verbrechen besonderer Art, das man nicht mit dem Thema Vertreibung gleichsetzen kann.

Auch die Vertreibung der Polen wird korrekt abgehandelt, die Aktion Zamość, scheinbar eine normale Ausstellung. Dann die Vertreibung der Deutschen, auch hier keine übermäßige Breite, das Ganze gefolgt von Vertreibungen in der 2. Hälfte des Jahrhunderts, darunter im ehemaligen Jugoslawien.

Erst wer sich aber der Mühe unterzog, die Tafeln genau zu lesen, und zu vergleichen, stieß doch auf eine Reihe von Ungereimtheiten. Eine davon ist die unterschiedliche Sprachregelung. Der "Bevölkerungsaustausch" infolge des sogenannten Hitler-Stalin-Paktes beispielsweise: Im Süden zwischen polnischer und ukrainischer Bevölkerung eine sachliche Darstellung. Im Norden - hier sind die sogenannten Baltendeutschen und Deutsch-Litauer betroffen, sind die Aktionen "brutal", unmenschlich etc. Immer wieder begegnet man derartigen Unterscheidungen. Das eine hat stattgefunden, das andere war schrecklich. Ganz besonders fällt aber noch etwas anderes auf: Da hat die Sowjetunion (oder meist die "stalinistische Sowjetunion"), Polen oder die Tschechen bestimmte Gruppen der Deutschen vertrieben, verjagt. Auf der anderen Seite haben natürlich auch Verbrechen stattgefunden. Aber nicht durch die Deutschen oder Deutschland, sondern durch die Nationalsozialisten.  Das gipfelt in einer Darstellung, dass die Vertreibung aus der Tschechoslowakei mit verschuldet wurde durch eine falsche Darstellung von Henleins Nationalsozialistischer Sudeten-Partei, welche die Deutschen fälschlich zu Hitler-Befürwortern gemacht habe. Nein, die Deutschen waren wirklich alle samt und sonders brave unschuldige Menschen, nur die paar Nazis haben da Schreckliches veranstaltet.

Auf die Frage von POLEN und wir - Redakteur Karl Forster an Kurator Rogasch, ob nach seiner Äußerung, dass man um jede Formulierung lange gerungen habe, diese Sprachregelung also kein Zufall sei, zeigte sich dieser erstaunt: "Ich verstehe Ihre Frage gar nicht." Schließlich wisse jeder, dass das Nationalsozialistische Regime durch die Deutschen getragen wurde. Also braucht man über die Deutschen und ihre Beteiligung gar nicht mehr zu reden. Und so erzählte er zehn weitere Minuten über die Nationalsozialisten, die an allem Schuld waren.

Und dann erzählte er stolz, dass einige Vertreter der polnischen Regierung kurzfristig gekommen waren, um zu prüfen, ob auch nichts antipolnisches in der Ausstellung sei, weil sie sonst die Leihgaben wieder mitnehmen wollten - aber sie waren mit allem zufrieden und bestätigten, dass alles so bleiben könne.  Doch schon wenige Stunden später erlebte Rogasch, dass wieder einmal sein Wunschdenken überwogen hatte. Die ersten Exponate mussten zurückgegeben werden.

War also die Aufregung vor der Ausstellung unnötig und die nach der Eröffnung unverständlich? Nein. Dass in der Ausstellung keine sachlichen Fehler gemacht wurden, es nicht zu einer BdV-Propagandaschau wurde, war schon vorher klar. Ging es doch mit dieser Ausstellung nicht wirklich darum, ein Bild der Vertreibungen in die Öffentlichkeit zu bringen, sondern den noch übrig gebliebenen Kritikern - zum Beispiel im Deutschen Bundestag - zu zeigen: Seht her, wir machen doch eine Ausstellung, die Ihr nicht zu kritisieren braucht, also lasst mal euere Bedenken gegen das "Zentrum gegen Vertreibungen" beiseite. Die Werbeschau für den BdV sollte einfach auf den ersten Blick problemlos aussehen. Genau hinschauen würde ohnehin kaum jemand.

Doch diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Und das vor allem deswegen, weil man in Polen die Ausstellung gar nicht erst betrachtet hat, um nicht dieser Gefahr, sie für unproblematisch zu halten, ausgesetzt zu werden. Stattdessen spürte man, dass es um etwas anderes ging. Wenn diese Ausstellung problemlos über die Bühne gehen würde, wäre das Zentrum gegen Vertreibungen vielleicht nicht mehr aufzuhalten. Und so schoss man sich auf die Ausstellung ein - und ein wenig über das Ziel hinaus. Denn anstatt die nun wirklich nicht vom BdV getragene Städtepartnerschaft zwischen Warschau und Berlin zu nutzen, um hier zu zeigen, dass es bessere Wege der Verständigung gibt, als die Provokationen des BdV, sagte Warschaus Stadtpräsident und ehemaliger Ministerpräsident Marcinkiewicz bei Wowereit in Berlin ab. Aber erst wenige Stunden vor der Veranstaltung, nachdem er die Absage am Abend vorher bereits im polnischen Fernsehen verkündet hatte. Ein Affront, der die Falschen traf und leicht dazu führt, dass hier falsche Koalitionen entstehen.

Dabei hatte Kazimierz Marcinkiewicz, amtierender Stadtpräsident von Warschau, in einem Interview mit dem polnischen Rundfunk deutlich gemacht, dass er genau wusste, was Sache ist:

"Ungeachtet dessen, was in dieser Ausstellung gezeigt wird, handelt es sich dabei um einen weiteren, erzwungenen Schritt zur Gründung des Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin. Wir alle wissen genau, dass das Zentrum auf diese oder jene Weise unsere Geschichte verfälschen wird. (...)  Es geht noch nicht einmal darum, was dort ausgestellt wird (...), sondern vor allem um die Botschaft dieser Ausstellung und in welche Richtung diese Ausstellung strebt. Das ist das Wichtigste. Beachten Sie bitte, dass alles Schritt für Schritt in dieselbe Richtung strebt; trotz anhaltender Proteste, trotz der Tatsache, dass selbst in Deutschland viele Politiker protestieren, streben diese Kreise die ganze Zeit dasselbe an."

 

 

"Höchst peinliche Nötigung zur Geschichtsrevision”

 

Die Bundesregierung hat für den 2. September 2006 die Beflaggung öffentlicher Dienstgebäude angewiesen. Dazu erklärt Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestages:

 

„Die Beflaggungsorder gilt dem "Tag der Heimat" und sie gilt für alle Bundeseinrichtungen. Am selben Tag wird der "Bund der Vertriebenen" in Berlin tagen. Eine Organisation, deren Geschichte und deren Vorhaben nach wie vor im Zwielicht stehen.

Der "Tag der Heimat" gehört nicht zu den Beflaggungs-Daten, die auf Bundesebene gesetzlich vorgeschrieben sind. Wenn das Innenministerium dennoch die Beflaggung der Bundeseinrichtungen anweist, dann ist das ein bewusst gewählter politischer Akt. Ich halte ihn für mehr als fragwürdig.

Soweit das rechtliche und das politische Vorspiel.

Nun hat das Bundesinnenministerium mit seinem Erlass zugleich angewiesen, dass am Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas zum "Tag der Heimat" geflaggt werden soll. Das halte ich für einen politischen Skandal.

Ich appelliere an Bundeskanzlerin Angela Merkel, diese höchst peinliche Nötigung zur Geschichtsrevision umgehend zu revidieren.“

 

Die Beflaggungsanordnung des Holocaust Denkmal Berlin wie auch der KZ-Gedenkstätten wurde wohl nicht zuletzt auf Grund dieses Protestbriefes vom Innenministerium aufgehoben.