Exhumierungen
der Gebeine deutscher Soldaten in Polen
Der polnische
Verein POMOST hat in Westpolen bereits mehrere hundert Gräber geortet
Von Natasza Stelmaszyk
Tomasz Czabański ist ein viel beschäftigter Mensch. Doch er ist
kein Geschäftsmann, sondern ein Vereinsleiter. 1997 hat er in Poznań
(Posen) den Verein POMOST (die Brücke) zur Förderung deutsch-polnischer
Verständigung gegründet. Anfangs widmete sich der Verein neben wissenschaftlichen
Forschungen zur Geschichte Poznańs und der Grenzregion der Pflege
verwesener alter deutscher katholischer und evangelischer Friedhöfe. Heute
fährt Czabański mit seinen Mitarbeitern, die alle ehrenamtlich in dem
Verein tätig sind, fast täglich zu Gräbern, die außerhalb von allen Friedhöfen
liegen, doch nicht um sie zu pflegen, sondern um sie auszugraben.
Als sich 1945 auf dem Grenzgebiet
zwischen dem damaligen Westpolen und Ostdeutschland die Kriegsfront erstreckte,
sind mehrere Tausend Soldaten gefallen, Russen, Deutsche, Polen. Die schwersten
und erbittersten Kämpfe ereigneten sich zwischen der Wehrmacht und der Roten
Armee, die Ernte des Todes war reich. Doch auch zahlreiche Zivilisten haben
infolge der Kämpfe oder nach dem Einmarsch der Siegesarmee ihr Leben gelassen.
Die grausamen Spuren der damaligen Zeit sind vielerorts noch heute zu finden.
Die Arbeit von POMOST auf
verlassenen Friedhöfen hat auf sich aufmerksam gemacht. Nach und nach erhielten
Czabański und seine Mitarbeiter Anfragen aus Deutschland und Informationen
der Bevölkerung über Gräber, die auf keinem Friedhof zu finden waren. Seit 2000
spezialisiert sich der Verein, der offiziell und mit allen notwendigen
Genehmigungen sowie Verträgen arbeitet, in der Lokalisierung und Exhumierung
der Gebeine deutscher Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Sein Einsatzgebiet
erstreckt sich über die Großstadt Poznań, Großpolen und Lubusker Land.
Weitere ähnliche Vereine funktionieren in den Masuren und in Schlesien.
Die meisten russischen Gefallenen
wurden nach dem Krieg auf Ehrenfriedhöfen in Russland und Polen beigesetzt. Die
einzelnen Gräber und Massengräber der deutschen Soldaten hingegen, die sich auf
den besetzten östlichen Gebieten Deutschlands befanden, wurden nach 1945 in
vielen Fällen ihrem Schicksal überlassen. Um einige von Ihnen kümmerten sich
über die Jahrzehnte hinweg die zumeist aus den von Russland besetzten Gebieten
Polens eingereisten neuen Bewohner der Städte und Dörfer - und das trotz dem
ihrem Land von dem III. Reich zugefügten Unrecht.
Viele von den Massengräbern sind
aber nach und nach verfallen, im Laufe der Jahrzehnte unterschieden sie sich
immer weniger von der sie umgebenden Landschaft. Nur einige wenige Zeugen
wissen noch heute, das hier und dort die Gebeine deutscher Gefallener aus dem
Zweiten Weltkrieg zu finden sein müssten. Sie sind auch diejenigen, die Tomasz Czabański
ihr Wissen weiter geben. "Es sind heute ältere Menschen und manchmal
schaffen wir es nicht mehr, sie zu befragen, die Zeit läuft uns davon",
erzählt er. Die meisten Gräber, die nirgends registriert sind, wird man aber
nie entdecken, meint er. Es seien zu viele und es gibt zu wenige Organisationen,
die sich um ihr Auffinden bemühen, auch die nötigen Mitteln
fehlen oft dazu. Czabański selbst hat momentan an die 200 Meldungen von
Orten, wo die Leute von POMOST dringend Arbeiten durchführen müssten, und Tag
für Tag wird die Liste länger: "Das übersteigt aber unsere
Kapazitäten."
Czabański kann heute nicht
aus dem Stegreif sagen, wie viele Soldaten von POMOST bereits gefunden und
exhumiert wurden, es seien viele, sehr viele. Nur in den letzten zwei
Aprilwochen entdeckten seine Mitarbeiter wieder die Gebeine von fast 50
Soldaten, hundert weitere vermuten sie momentan an einem neuen Fundort in Poznań.
"Das große Massengrab befindet sich auf dem Gelände des Posener
Zoologischen Gartens, einer der vielen Fundstellen in Posen selbst, das Ende
1945 zur Festung Posen erklärt wurde. Wir haben an dieser Fundstelle bereits
eine erste Besichtigung gemacht, Stichproben genommen und die Stelle gesichert.
Mit der eigentlichen Exhumierung werden wir erst im Herbst anfangen, dann gibt
es im Zoogarten nicht mehr so viele Besucher, wir wollen kein Aufsehen
erregen."
Das Grab liege teilweise unter
einer Rasenfläche, teilweise unterm Asphalt. Gleich daneben stehen Tierzwinger.
Den genauen Fundort will Czabański aber nicht preisgeben - auch wegen der
so genannten Schatzsucher, die nach den Kennmarken und anderen Gegenständen,
die dann im Internet zum Kauf angeboten werden, suchen und das Grab schänden
könnten. Es sei auch schon früher profaniert worden. Czabański gibt an,
dass in den Siebzigern eine neue Wasserleitung mitten durch die zufällig bei
den Arbeiten entdeckte große Ansammlung an Gebeinen eindeutig deutscher
Wehrmachtssoldaten verlegt worden war. "Wir haben Informationen über
dieses Grab von den damaligen Arbeitern erhalten, die von ihrem Bauleiter
gezwungen wurden, eine Mulde durch die flach unter dem Boden versteckten
Knochen und Schädel mit Spaten und Hacken frei zu schlagen. Das Geschehen, von
dem sie damals kaum sprechen durften, hat ihnen bis heute keine Ruhe gegeben",
erzählt Czabański. Nach der Exhumierung werden alle gefundenen Gebeine wie
immer dokumentiert und registriert, an die Deutsche Dienststelle in Berlin (ehemals
Wehrmachtsauskunftsstelle) gemeldet und in dem deutschen Soldatenquartier auf
dem Posener Milostowo-Friedhof beigesetzt.
Die Identifikation der Gebeine
kann in nahezu 50. Prozent der Fälle anhand der Erkennungsmarken erfolgen, die
in den Gräbern gefunden werden. Zumeist sind es bereits abgebrochene
Erkennungsmarken - ein Zeichen dafür, dass der Tod des betreffenden Soldaten
noch am Ende des Krieges an das Rote Kreuz gemeldet sein dürfte. "So wie
ich es aber aus Erfahrung kenne, sind die abgebrochenen Teile in den
Nachkriegsjahren oft gar nicht weiter geleitet worden. Manchmal wurden sie
sogar von der polnischen UB (Staatssicherheit) konfisziert, später auch
vernichtet. Für einen gefallenen Wehrmachtssoldaten interessierte sich damals
im Nachkriegspolen, was zur gegebenen Zeit auch irgendwie verständlich war,
fast niemand", erzählt Czabański. So mancher Fall könne also erst
jetzt nach Fund des zweiten Teils der Erkennungsmarke endgültig aufgeklärt
werden. So erhalten viele der seit 60. Jahren namenlosen Menschen ihre
Identität wieder.
Nicht selten finden die
Mitarbeiter von POMOST bei den Gebeinen der Soldaten auch ganze, nicht
abgebrochene Erkennungsmarken. Dann erfahren die Angehörigen oft erst nach 60
Jahren, was tatsächlich mit dem Familienvater, einem Onkel oder Großvater
passiert ist. "Vor nicht langer Zeit hatten wir wieder einen solchen
Fall", berichtet Czabański. "Wir fanden eine ganze Marke von
einem Soldaten, von dem wir wussten, dass er von der Familie immer noch gesucht
wurde. Er war als vermisst gemeldet. Nun konnten wir ein würdiges Begräbnis auf
dem Milostowo-Friedhof für ihn organisieren. Seine ganze Familie, alle
Nachkommen sind aus Deutschland eingereist. Sein Sohn, der ihn nie gesehen hat
und ihn nur von Fotos kannte, weinte am Grab wie ein Kind..." Man merkt Czabański
an, dass ihm solche Ereignisse tief unter die Haut gehen. Die schwierigsten
Augenblicke in seiner Arbeit sind aber diejenigen, in denen er und seine
Mitarbeiter in den untersuchten Gräbern mehr finden, als zuerst vermutet.
"Manchmal fangen wir mit den
Arbeiten an einem Massengrab an, in dem nach Auskünften der Bevölkerung
deutsche Soldaten begraben sein müssten. Und wir finden tatsächlich Gebeine von
Männern in voller Ausrüstung, mit Kennmarken, manchmal auch eine Waffe oder ein
Helm. (...) Und plötzlich finden wir dazwischen Frauen und Kinder. (...) Es ist
schon schwierig, irgendwie berührend, wenn man Soldaten ausgräbt, aber wenn man
die Gebeine von Frauen und Kinder, zum Teil auch mit Spielzeug an der Seite,
zur Sicht bekommt, dann geht es einem wirklich an die Substanz (...)."
Solche Funde seien auf den Grenzgebieten keine Seltenheit, berichtet Czabański.
Für ihn gibt es nur eine Erklärung für diesen Zustand. "Die Massengräber
entstanden, nachdem die Rote Armee durch diese Gebiete gezogen ist. 1945 gab es
vom Januar bis zum Sommer ein halbes Jahr lang ein reines Chaos, es spielten sich
Szenen ab, die unbeschreiblich sind. Die Rote Armee ermordete zu der Zeit
zahlreiche Deutsche, Zivilisten, Frauen, manchmal auch Kinder. Die deutschen
Soldaten waren oft, wie unsere Forschungen ergaben, in einem der Soldatenlazarette
untergebracht und wurden von den Russen schlichtweg exekutiert." Andere
Zivilisten seien Czabański nach Opfer von Massenselbstmorden, die aus
Angst vor der sich nähernden Front begangen wurden. Es handelte sich dabei
meistens um allein gebliebene Mütter mit Kindern, oft auch mit mehreren
Kindern. Die entsprechenden Informationen erhalten die POMOST-Mitglieder von
den Überlebenden selbst. Ihre Erinnerungen werden demnächst in einem der vom
Verein herausgegebenen Bücher in Polnisch publiziert. Alle Titel, die POMOST
herausgibt, seien bislang in kürzester Zeit vergriffen. "Die Polen
interessieren sich für die Geschichte ihrer Region, auch dann, wenn sie
schmerzhaft war."
Tomasz Czabański fühlt sich
in seiner Arbeit bestätigt. In der polnischen Bevölkerung gibt es wachsendes
Interesse an den Arbeiten des Vereins: "Wir erhalten von den Polen viel
positives Feed-back". Die alten Wunden, die Abneigungen scheinen hier
überwunden zu sein. "Nur ein Mal mussten wir zwei Jahre lang um die Erlaubnis
einer Exhumierung auf einem privaten Grundstück kämpfen. Der Besitzer wollte
eine hohe Entschädigung ergattern. Letztendlich ist es uns aber doch gelungen,
ihn zu überzeugen, dass es keinen Sinn macht, dass er keine Geldleistung
erhält, dass die Ruhe der Gestorbenen, egal ob sie Polen oder Deutsche seien,
zu bewahren ist und er gab auf. Wir haben ihm den Garten dafür schön
hergerichtet, den Rasen gesät, das gefiel ihm zum Schluss doch auch",
erzählt Czabański. Solches Verhalten gehöre aber zu den absoluten
Einzelfällen. Vielmehr sind Polen an der Aufklärung der Geheimnisse der
Grabstätten aus dem Zweiten Weltkrieg interessiert und melden ihre eigenen
Funde auch sofort an POMOST. Schon ein kleiner Knochen, der in einem Waldstück
von einem Spaziergänger gefunden wird, kann, wie es schon ein paar Mal der Fall
gewesen sei, zur Entdeckung der Gebeine von mehreren Soldaten führen.
POMOST pflegt einen regen Austausch mit Deutschland, vor allem mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Tomasz Czabański ist stolz: "Die Deutschen bemühen sich auf unsere Anregung hin um die Auffindung der Gräber polnischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter, die in den vierziger Jahren in Deutschland starben. Sie exhumieren sie und bestatten sie auf einem würdigen Friedhof". So wurde zum Beispiel im Zeihain die Gebeine der Polen, die 1944/45 im Stalag IVB Mühlberg ihr Leben gelassen haben, aufgefunden und in einem gesonderten polnischen Quartier beigesetzt, und somit auch ihnen ihre Namen ‚zurückgegeben'. Im Jahre 2004 wurde eine Gedenktafel enthüllt. Czabański will um eine deutschsprachige Gedenktafel in Poznań kämpfen; der erste Antrag wurde von der Warschauer Behörde abgelehnt, aber er gibt sich nicht geschlagen und will auch die Entscheidungsträger im Staat von seiner Idee überzeugen. Der Posener Verein zur deutsch-polnischen Verständigung POMOST wandelt seinen Namen in konkrete Taten um.