Streifzüge einer Europäischen Freiwilligen in den Masuren (Teil 2)

 

Allein ein Lächeln bedeutet Solidarität!

 

Von Franziska Schneider

 

Inzwischen ist fast ein Jahr vergangen, seitdem ich Mitte September 2005 mit geschnürtem Rücksack nach Polen aufgebrochen bin. Mein Wunsch war rauszukommen aus dem Trott der Schule und den täglichen Gewohnheiten, die einem den Blick auf die Welt vernebeln. Und eines konnte ich bereits nach den ersten Wochen in der Fremde sagen: die Erlebnisse und Erfahrungen werde ich nie vergessen und sie werden mich und mein Weltbild entscheidend prägen. Die anfängliche Angst und Unsicherheit, ohne die schützende Hand der Eltern und ohne weitere Lebenserfahrungen einfach in ein zwar bekanntes, aber dennoch fremdes Land zu fahren, hat sich gelegt. Dazu beigetragen hat vor allem die unendliche Gastfreundlichkeit von den Menschen, mit denen ich tagtäglich zusammen treffe.

 

Aber vielleicht ist es auch die eigene Veränderung in mir selbst, die Freude und der morgendliche Optimismus, die sich im Laufe der Zeit in Polen in mir ausgebreitet haben.

"Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker." hat Che Guevara einmal gesagt. Erst hier werden mir die Bedeutung und die Dringlichkeit dieses Satzes bewusst. Ich wurde einige Male auf meinen Anstecker mit dem berühmten Che-Guevara-Abbild angesprochen. Ich dachte, die Frage, welcher Mann dies sei, wäre ein Witz. Mein Versuch, einen kurzen Überblick und Eindruck von Che zu geben und dann auch noch in Polnisch, ist mir, glaube ich, nicht sehr gut gelungen. Dennoch haben sich mir im Laufe der Zeit viele Dinge erschlossen, die mit Solidarität zusammen hängen. Die Republik Polen strahlt vielleicht nicht nach außen, aber zumindest in kleinen Teilen des Landes wie Mikołajki, Solidarität aus. Zum Beispiel im Januar des Jahres die Veranstaltung "Wielka Orkiestra świątecznej Pomocy", die jährlich für Hilfsbedürftige Menschen landesweit organisiert wird. Die Herzaktion ging auch durch deutsche Medien und sicherlich wird sich der eine oder andere noch daran erinnern. Oder auch meine individuelle Erfahrung der Einladung einer kleinen Familie, an Ihrem Osterfest teilzunehmen. Das Osterfest hat in Polen eine ganz andere Bedeutung und einen anderen Stellenwert als in Deutschland. Desto mehr verwundert und angenehm überrascht war ich. Beinahe alle Menschen, die ich in Mikołajki und Umgebung kennen gelernt habe, haben die gleichen katholischen Traditionen und Bräuche durchgeführt. Die Intensität hing von der jeweiligen Glaubensstärke ab. Eines habe ich schnell erfahren: Die Kirche ist beinahe überall präsent und man sollte sich an ihre meist in schwarz bekleideten Vertreter gewöhnen. Ob in der Schule oder zum halbstündlichen Glockenrhythmus. Die Kirche ist Treffpunkt und zentraler Ort der Stadt.

Eine weitere Überraschung war für mich der Feiertag des Dritten Mai. Schon am Vorabend wurde für den Konstitutionstag die polnische Flagge auf der Fahnenstange gehisst. Allein in der Straße meines Gastfamilienhauses war mindestens jedes zweite Haus mit einer Flagge geschmückt. Für mich war dies eine ganz neue Erfahrung, da wir Deutschen aus geschichtlichen Gründen diese Tradition nicht mehr pflegen und ich bis jetzt noch nie damit in Kontakt gekommen bin. Für mich war dies auch ein Zeichen, dass sich die Polen mit ihrer Republik identifizieren, obwohl die politische Situation mehr als schlecht aussieht. Eine Regierung der PiS (Recht und Gerechtigkeit) und der SO (Samoobrona) werden wohl nie der angespannten sozialen Lage im Lande standhalten können. Eine "solidarische IV Republik" ist die falsche Bezeichnung für öffentlich geäußerte Fremdenfeindlichkeit von bestimmten polnischen Politikern unter schwarzem Deckmantel der katholischen Kirche, angeführt vom Priester und Besitzer "Radio Marias". Mein bisheriger Eindruck in der vom Tourismus lebenden Kleinstadt Mikołajki zur laufenden Politik in Polen, ist verschieden. Einige Personen zeigen totales Desinteresse, andere wiederum machen Witze und verspotten die manchmal unglaublichen Aktionen der regierenden Politiker und ganz andere hoffen auf die Zukunft durch die EU-Erweiterung.

Dazu gehören zum Beispiel die Jugendlich en aus dem Marion-Dönhoff Lyzeum, die den ganzen Mai über Abiturprüfungen vorrangig in Deutsch und Englisch ablegten. Die Zukunft sehen die fast 18-Jährigen durch die Erschließung der Welt. Die Repräsentation eines gastfreundlichen, sauberen und starken Landes Polen erkennt man in den Augen der fleißigen Studenten. Mit Anzug und gediegenem Rock startet diese neue Generation allerdings vom Abitur in eine eher miserable Arbeitswelt. Doch eines habe ich von dem polnischen Gemüht und der polnischen Mentalität mitbekommen: Die Aufbruchstimmung und der Optimismus brodeln immer in den Seelen, auch wenn sie momentan nicht besonders zum Ausdruck kommen.

Die Außenwelt bekommt die kleinen Dinge, die individuell in den Gemeinden vonstatten gehen, nicht zu Gehör. Einige Male habe ich die Fortschritte und Veränderungen in den Köpfen der normalen polnischen Bevölkerung beobachten dürfen. Jeder versucht mit seinen eigenen Kräften und eigenen Möglichkeiten die Lebensbedingungen zu verbessern. Ein Beispiel dafür ist der "Dzień Europejski" in der Grundschule der Gemeinde Wożnice. Das Dorf liegt sieben Kilometer von Miko³ajki entfernt. Das zehn Personen starke Lehrerpersonal für die 85 Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren hat einen enormen Zusammenhalt. Es wird Hand in Hand alles für die Kinder organisiert. Ein beschämendes Gefühl überkam mich, als ich herzlichst, es fehlte nur noch der rote Teppich, und mit selbst gebackenem Kuchen empfangen wurde. Stolz wurden mir die selbst gestalteten Klassenräume gezeigt. Nicht nur allein daran konnte ich sehen, wie sehr die Kinder im Mittelpunkt stehen, sondern auch an der sehr aktiven und immer glücklichen "Pani Direktor". Sie hat jedes ihrer Kinder in ihr großes Herz geschlossen. Am Beginn der Veranstaltung, die ein Europa Quiz und eine internationalen Mini Playback Show umfasste, bekam ich den nächsten Schock. Alle Kinder, manche nicht größer als einen Meter, begannen stehend die Europäische Nationalhymne zu singen. In meiner bisherigen Schulausbildung musste ich noch nicht einmal meine eigene Nationalhymne auswendig lernen! Ich möchte mit diesem Beispiel verdeutlichen, dass es in Polen nicht nur die Clowns der politischen Schaubühne gibt, sondern auch die unbekannten Talente und Magier. Der Weg ist lang, aber die Frucht trägt die Jugend, die durch fleißige Helfer in eine Richtung gelenkt werden. Das Ziel auf dem langen Weg ist noch veränderungsfähig, aber die ersten Akteure können bald in die Manege gehen.

Auch Mikołajki hat den Vorhang für die Sommersaison geöffnet. Der lange Winterschlaf hat endlich ein Ende gefunden. Auch wenn schon Anfang April die Frühlingsblüher ihre Köpfe aus der harten Erde steckten, war es für die seit Monaten zugefrorenen Seen keine Leichtigkeit, die dicke Eisschicht abzulegen. Je wärmer es wurde, desto mehr Türen und Fensterläden öffneten sich und desto mehr Leuten begegnete man auf den sonst leeren Bürgersteigen. Der Winterputz für den schnell kommenden Tourismus passierte in einer unheimlichen Art und Weise. Beinahe kam der Wechsel von Heute auf Morgen und die Straßen füllten sich mit Eis schleckenden Deutschen Reisegruppen. Dabei beschäftigt sich mein Herz mit einem Gedanken: Dieser Durchreisetourismus sieht niemals die vielen Storchfamilien im Naturschutzgebiet und wird niemals das Gefühl verspüren, ein Teil der Stadt zu sein. Ich versuche mich in die Stadt zu integrieren und mich durch meine Arbeit jeden Tag mehr zu verändern. Ob es beim Winterputz mit Plastiksäcken durch den Wald und Park ging oder bei der Unterstützung eines alten Mannes, seine schweren Einkaufstaschen nach Hause zu transportieren.