Auszüge aus der Sejmdebatte über den deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag am

25. Januar 2007anlässlich des 15. Jahrestages seiner Unterzeichnung

 

Außenministerin Anna Fotyga

(...) Das Jahr 1989 bedeutete für Polen ein Jahr glanzvoller Ereignisse, großer Veränderungen und großer Hoffnungen. (...) Eine der wichtigsten Aufgaben für den damaligen Staat war natürlich die Sicherung unserer westlichen Grenze - einer Grenze, die lange Zeit Ursache für Diskussion und Unsicherheit war. Diese Sicherung brachte der 2+4 Vertrag sowie der folgende Grenzvertrag von 1990. Der Vertrag, der ein Jahr später von Polen und Deutschland unterzeichnet wurde, schuf so Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen den Staaten auf vielen Ebenen und in den folgenden Jahren entwickelte sich diese Zusammenarbeit tatsächlich sehr gut. Der Jumbo-Kredit wurde als Stiftung Polnisch-Deutsche Zusammenarbeit neustrukturiert, die die Realisierung von über 3000 Projekten ermöglichte. Deutsche Investitionen wurden auf dem polnischen Markt getätigt, die dazu führten, dass Deutschland heute eines der wichtigsten Investoren ist. Unser Handelsaustausch ist mit Sicherheit für beide Seiten ein Grund, stolz zu sein, umso mehr, als sich Polen freuen kann, dass sich die Bilanz seit einigen Jahren positiv für Polen gestaltet. Das ist sehr positiv zu sehen. (...)

Ich möchte noch zum Augenblick der Unterzeichnung des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit zurückkehren. Wie die Damen und Herren Abgeordneten mit Sicherheit wissen, wurde der Vertrag von einem Briefwechsel zwischen den damaligen Außenministern begleitet. In den Briefen wurden einige Angelegenheiten berührt, die Gegenstand unserer besonderen Sorge sind und die dazu führen, dass Ereignisse, die in den späten 90er Jahren stattfanden und die bis heute in einigen Aspekten andauern, bestimmte Ängste hervorrufen können, weil wir es hier nicht mehr mit nur sehr positiven Ereignissen unserer Zusammenarbeit zu tun haben (...)

Es war doch so, dass im Moment der Unterzeichnung des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Vorschriften existierten, die einige Jahre später in bestimmten Bereichen diese aus der Natur der Sache entstammenden guten Kontakte fragwürdig, unklar und zweifelhaft erscheinen ließen. Das betrifft mit Sicherheit die - durch die polnische Regierung als im gewissen Maße asymetrisch eingeschätzten -  Möglichkeiten der polnischen Minderheit, der ethnischen polnischen Gruppe in Deutschland, wenn man die Rechte und Möglichkeiten als Maßstab nimmt, derer sich die deutsche Minderheit in Polen erfreut. (...)

Es gibt einen weiteren Bereich, auf den sich der Brief von Minister Skubiszewski bezieht, und das ist die Stelle, die darüber spricht, dass der Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit nicht die Staatsbürgerschafts- und die Eigentumsfrage berührt. Und es zeigte sich, dass sich diese Frage auf beiden Seiten nach Jahren  guter und lebendiger Zusammenarbeit zu einem wirklichen Unruheherd entwickelte. Seit Ende der 90er Jahre sind Stimmen mit deutschen Ansprüchen zu hören, die an die Adresse des polnischen Staates gerichtet sind. Es gibt Gutachten, die eine Verantwortlichkeit auf Seiten des polnischen Staates sehen.

Dieses Damoklesschwert hängt schon seit einigen Jahren über Polen und der polnischen Gesellschaft und im Dezember 2006 fiel es herunter, als die Klagen von 22 Bürgern durch die Preußische Treuhand bei dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingereicht wurden.  Das vertiefte notwendigerweise die Unsicherheit auf polnischer Seite. Unsicherheiten, die auf jeden Fall die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland sowie zwischen der polnischen und deutschen Gesellschaft stören. Es darf nicht sein, dass sich ein Partner einer guten Nachbarschaft in seiner Situation so unsicher fühlt, zumal später auch Konsequenzen für das Budget möglich sind. Wir wollen ebenso in ernsthafte Gespräche mit unserem Partner eintreten, ohne irgendwelche rechtliche Formulierungen vorauszusetzen. Wir wollen, dass beide Seiten eine eindeutige Erklärung abgeben, wie sie sich eine Lösung vorstellen.

Ich denke, dafür gibt es gute Signale. Die Regierung von Frau Angela Merkel will über dieses Thema reden. Es gab bereits erste Konsultationen auf einer Expertenebene zwischen den Außenministerien. Ich versichere Ihnen, meine Damen und Herren Abgeordnete, dass sie laufend über die Ergebnisse der Konsultationen informiert werden.

Wir möchten, dass, in Übereinstimmung mit der Idee des Vertrages über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit, der Europäische Menschenrechtsgerichtshof sicher ist, dass die Regierungen in Polen und Deutschland tatsächlich mit einer Stimme sprechen und dass es keinerlei rechtliche Grundlagen weder im polnischen noch im deutschen, noch im internationalen Rechtssystem zur Erhebung solcher Ansprüche gibt. Solche Feststellungen müssen jedoch unmissverständlich sein, wenn man zum Geist der 80er Jahre zurückgelangen  und eine Stimmung schaffen will, die wir wirklich benötigen. Wir stimmen doch letztlich alle darin überein, dass gute, wirkliche Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland ein bedeutendes und nützliches Fundament für das Funktionieren der Europäischen Union werden kann. Es gibt eine Reihe von Fragen, die wir dann lösen können. (...)

 

Karol Karski (PiS):

Die parlamentarischen Beziehungen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickeln sich sehr gut, nicht zuletzt deshalb, weil wir Mitglieder der Europäischen Union sind. Diesbezüglich muss man Deutschland großen Dank sagen, dass es unser Förderer für die Aufnahme in die Europäische Union war (...)

Offensichtlich ist, dass Unterschiede zur Politik der deutschen Regierung bezüglich der Frage der Eigentümer bestehen, die von den Deutschen nach der Änderung der Grenze als Ergebnis des II. Weltkrieges zurückgelassen wurden. (...) Ich erinnere daran, dass die Finanzämter, also Einrichtungen des deutschen Finanzministeriums, von den Bürgern Deutschlands, die eine bestimmte symbolische Entschädigung für das zurückgelassene Eigentum erhalten hatten, die Rückgabe dieser Entschädigungen forderten, und ihnen rieten, sich mit ihren Ansprüchen an den polnischen Staat zu richten. Die deutsche Regierung unterband dieses Vorgehen. Und das war gut. Gleichzeitig wurde in einer gemeinsamen polnisch-deutschen Erklärung festgestellt, dass beide Regierungen keinerlei Ansprüche bezüglich des auf polnischen Boden nach dem II. Weltkrieg zurückgelassenen Eigentums unterstützen werden. Das ist gut, aber nicht ausreichend. Deutschland muss alle Ansprüche seiner eigenen Bürger übernehmen; Deutschland, als Staat, der den II. Weltkrieg auslöste (...)

Polen, das Opfer des II. Weltkrieges war, übernahm die Entschädigungsansprüche seiner Bürger, die ihr Eigentum außerhalb der neuen Grenzen ließen, die durch Jalta festgelegt wurden. Deutschland, das die gesamte Zeit der Aggressor war, meint, dass es keinerlei Verpflichtungen gegenüber seinen eigenen Bürgern habe. Das führt genau zu der Art von Verhalten, (...) wie die Klageerhebung vor dem Europäischen Menschengerichtshof. (...)

Gleichzeitig möchte ich auf eine Vorschrift in der deutschen Verfassung hinweisen, die total im Gegensatz zum Geist, ja den Buchstaben des Vertrages steht. Gemeint ist der Artikel 116 der Verfassung Deutschlands, der die Fiktion des Fortbestehens Deutschlands in den Grenzen von 1937 festschreibt und auch heute noch bekräftigt, dass sich neue Länder, und in den Grenzen von 1937 sind das nur die neuen östlichen Länder, östlich der Oder mit einer einseitigen Entscheidung Deutschland anschließen können. (...) Will man also den Geist des polnisch-deutschen Vertrages über gute nachbarschaftliche Zusammenarbeit und Freundschaft realisieren, so muss man den Artikel 116 der Deutschen Verfassung streichen, denn wenn er weiter existiert, stellt sich die Frage: Warum, wozu soll er nützlich sein? (...)

 

Bronisław Komorowski (PO):

(...) Der Regierung von Tadeusz Mazowiecki und dem Minister Krzysztof Skubiszewski wie auch der gesamten Solidarność-Generation gelang es erfolgreich, die Barrieren der historischen Feindschaft in den Beziehungen zu Deutschland zu überwinden. Das gelang, obwohl jeder von uns die Last der familiären Erfahrung und des familiären Schmerzes trägt, und weil sich jeder von uns an die erinnert, die ihr Leben durch deutsche Hände verloren. (...) Dieser Weg führte Polen erfolgreich aus den Fesseln von Jalta. Dieser polnische Weg in den Westen führte über Deutschland, über das vereinte Deutschland. Wer das nicht versteht, versteht von Politik nichts. (...)

Erinnern wir uns, ich hoffe, dass wir das noch tun, dass das geschah, als auf polnischem  wie auch auf ostdeutschem Boden noch Abteilungen der Roten Armee stationiert waren. Unter diesen Bedingungen entstand ein ganzes Paket von vertragsrechtlichen Abmachungen. (...) Diese berühmte 2+4-Konferenz , die eine schwierige Schlacht für die junge demokratische polnische Diplomatie bedeutete, weil durch die internationalen Mächte am Vortag der Unterzeichnung der Verträge mit Deutschland unsere polnisch-deutsche Grenze garantiert würde.  Nicht alle strittigen Fragen gelang es zu lösen. Das betrifft einige Eigentumsfragen sowie die Rechte der in Deutschland lebenden Polen. (...)

Ich habe dem Abgeordneten Herrn Karski zugehört. Zu Recht erinnerten Sie an das Problem der Doktrin im deutschen Staat, an die Verfassung, an die Rechte der Polen, mit ihren Kindern sprechen zu dürfen usw. (...) (Ich) freue mich darüber, dass Herr Karski die Sprache der Bürgerplattform gebraucht, denn wir haben appelliert,  geschickt und ohne Hetze, auf dem Wege diplomatischer Einwirkung, auf die öffentliche Meinung Deutschlands, auf die politischen Eliten in Deutschland, einzuwirken damit sich dort die Einsicht in die Notwendigkeit der Änderung der deutschen Staatsdoktrin entwickelt, denn sie ist schlecht. Sie, die diejenigen kritisieren wollen, die soviel im Rahmen der III. Republik taten, machen im Rahmen der IV. Republik mehr daraus. (...)

Wir müssen auf die Änderung der Rechtsdoktrin des deutschen Staates bestehen - hier müssen alle politischen Kräfte auf vernünftige Weise zusammenwirken, koordiniert durch das Außenministerium. (...) Und das polnische „Nein“ beim Problem mit den Vertriebenen, wie es von Frau Steinbach organisiert wird, muss sehr entschieden und sehr glaubhaft klingen. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, sich irgendwie zurückzuhalten. Dabei beunruhigt mich, dass sich die Frau Ministerin heute - sagen wir es offen - in der Sprache des Herrn Bełka äußerte, als sie über die rechtliche Eigentumsproblematik sprach. In identischer Weise sagte Marek Bełka: Regt euch nicht auf, die Angelegenheit ist gelöst, weil sich die deutsche Seite verpflichtete, dass keine deutsche Regierung diese Forderungen deutscher Staatsbürger unterstützen wird. Ich aber rufe die Frau Ministerin auf, dass sie - zwar nicht im PiS-Wahlkampfstil - den Deutschen mit starker Stimme sagt: Ändert eure Rechtsdoktrin. So wie Polen gegenüber seinen eigenen Bürgern die Verpflichtungen übernahm, die ihr Eigentum im Osten im Rahmen der Repatriierung verloren hatten, so ist auch der deutsche Staat verpflichtet, das selbe zu tun. (...)

 

Außenministerin Anna Fotyga antwortete direkt auf die Ausführungen von Komorowski:

(... Ich) habe ausdrücklich gesagt, dass bezüglich der zweiten Frage (...), der 22 Klagen beim Europäischen Menschenrechtstribunal (...), ein gewisses Abweichen von bisherigen Standpunkten notwendig ist, die dahin führen müssen, dass beide Seiten eine übereinstimmende und gleichzeitige Interpretation dieser Erscheinung beschließen müssen (...). Es laufen Verhandlungen zwischen der polnischen und deutschen Seite.

 

Jolanta Szymanek-Deresz (SLD):

Frau Ministerin, es scheint so, das Deutschland bessere Beziehungen zu Russland als zu Polen hat. (...) In der letzten Zeit waren wir Zeuge vieler Affronts, wie beispielsweise die Kritik von Premier Jarosław Kaczyński an Präsident Horst Köhler wegen dessen Teilnahme am deutschen Tag der Heimat, ohne seine Versöhnungsworte und seine Feststellungen über die berechtigten Befürchtungen der Polen wegen des Zentrums gegen Vertreibungen zu beachten. (...) War der Boykott der Einladung nach Berlin durch  den geschäftsführenden Kommissar von Warschau Kazimierz Marcinkiewicz notwendig? Was für eine Plattheit war der Vergleich des deutsch-russischen Gasleitungs-Vertrag mit dem Ribbentrop-Molotow Vertrag. (...) Die Kurzsichtigkeit, mit der unsere Außenpolitik geführt wird und nicht zu verstehen scheint, dass Deutschland eine der Säulen der Europäischen Union sowie der wichtigste Bündnispartner der Vereinigten Staaten ist, ist erstaunlich. (...) Die jetzige polnische Regierung sieht die Beziehungen zu Deutschland immer noch auf historischem, ich möchte fast sagen hysterischem Hintergrund. Ich zitiere die Professorin Anna Wolf-Powęska, die wie folgt unsere Außenpolitik charakterisiert: Anstatt einer Außenpolitik gegenüber Deutschland haben wir es hier mit einer unterschiedlichen Art an Verteidigungsreaktionen, Überempfindlichkeiten und unnötigen Komplexen zu tun, und unsere neurotische und hysterische Haltung verschlechtert das Ansehen Polens in der Welt.

 

Aus einem Kommentar zur Debatte in der Polityka, Nr. 5/2007, S. 18

Marek Ostrowski

Opposition - Fürchte dich nicht

Seit langem haben wir den Eindruck, dass die polnische Außenpolitik passiv und schlecht ist, eher streitbar als partnerschaftlich, und keine Akzente für eine Zusammenarbeit setzt. Endlich fand, wenn auch nur sehr kurz, eine lange aufgeschobene Debatte über die Realisierung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages im Sejm statt. Man muss vorsichtig die Ministerin loben, dass sie wenigstens versuchte, den konfrontativen Kurs gegenüber Deutschland zu unterbrechen, obwohl sie leider der deutlichen Darstellung gemeinsamer Interessen sowohl im bilateralen wie im europäischen Rahmen sehr wenig Zeit widmete. Es war auch ein Fehler, dass sie sich mit den individuellen Klagen auf Eigentumsentschädigungen einer kleinen Gruppe sklerotischer und unerfahrener Deutscher auseinandersetzte. Wäre es nicht besser, diese Angelegenheit zu ignorieren und sie den Gerichten zu überlassen, wo doch sowohl eine gemeinsame Rechtsexpertise wie auch eine mehrmals wiederholte Erklärung der deutschen Regierung vorliegt? (...)

(Übersetzungen: Wulf Schade, Bochum)